Argentinien vor der Präsidentschaftswahl

Hauptstadt ohne Swing

Die Wahl des Bürgermeisters von Buenos Aires gilt als wichtiger Testlauf für die ­argentinischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober. Der konser­vative Kandidat gewann im ersten Wahlgang.

Vor Freude schwang Mauricio Macri das Tanzbein, als er am 10. Juli die Resultate der Bürgermeisterwahl von Buenos Aires hörte. Mit 47 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang hat der 52jährige seine Wiederwahl so gut wie gesichert. Die Stichwahl ist für den 31. Juli vorgesehen. Sein härtester Konkurrent, der ehemalige Bildungsminister Daniel Filmus vom Regierungsbündnis Frente para la Victoria (FpV), blieb fast 20 Prozentpunkte hinter Macri zurück. Ein solcher Vorsprung hat den seit 2007 regierenden Bürgermeister der argentinischen Hauptstadt wohl selbst überrascht. Dabei hatte der Anführer der konservativen Partei Propuesta Republicana (PRO) bereits an Popularität verloren.

Der Unternehmer, Millionärssohn und ehemalige Präsident des Fußballclubs Boca Juniors feierte als rechter Hardliner Erfolge. Macri nutzte die gestiegene Kriminalität in der Metropole am Rio de la Plata, propagierte den Kampf gegen das Verbrechen und hetzte gegen arme Immigranten aus den Nachbarstaaten. Bei der verunsicherten Mittelschicht der Porteños, wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden, wurde er damit ebenso populär wie bei den Profiteuren des neoliberalen Booms der neunziger Jahre, den Wohlhabenden der »Gated Communities«.
Als Gegenpol zur Bundes- und Provinzpolizei schuf er in Buenos Aires die Policía Metropolitana. Doch die neue Hauptstadtpolizei, die vor allem gegen informelle Straßenhändler und Parkplatzwächter vorgeht, hat dem Image des vermeint­lichen Saubermanns eher geschadet. Macri war zudem in mehrere Skandale wegen Korruption sowie in eine Affäre um illegale Telefonüberwachung verwickelt. Bespitzelt wurden unter anderem ein Journalist der linken Tageszeitung Página 12, einige Unternehmer und sogar Macris ­eigener Schwager. Der Bürgermeister verlor an Beliebtheit. Als Konsequenz gab er Anfang Mai bekannt, nicht zur Präsidentschaftswahl am 23. Oktober anzutreten.
Ein weiterer Grund für seine Entscheidung war die Beliebtheit der amtierenden Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Die Linksperonistin führt in Umfragen mit Werten zwischen 40 und 50 Prozent. Der von ihrem Gatten und Amtsvorgänger Néstor Kirchner gegründete FpV, der zum größten Teil aus dem linken Flügel des peronistischen Partido Justicialista (PJ) besteht, verlor zwar bei den Kongresswahlen im Juni 2009 die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Doch nachdem Néstor Kirchner, der als sicherer Kandidat für die Nachfolge seiner Frau galt, im Oktober vorigen Jahres an einem Herzinfarkt starb und die Bilder der trauernden Witwe sowie der Erinnerungskult um den Verstorbenen ihre Umfragewerte wieder steigen ließen, tritt die Präsidentin doch zur Wiederwahl an.

Für viele Argentinier war es Néstor Kirchner, der nach seinem Amtsantritt 2003 das Land aus der tiefsten Krise seiner jüngeren Geschichte rettete. Vor zehn Jahren noch so gut wie pleite, verzeichnete Argentinien 2010 ein Wirtschaftswachstum von beachtlichen 8,5 bis 9,2 Prozent. Kirchner stand in der Wirtschaftspolitik für Staatsinterventionen und eine großzügige Sozialpolitik. Im Rahmen des »Kirchnerismo« wurden die Mindestlöhne erhöht. Auch die Mindestrente stieg, und 2,5 Millionen alte Menschen, die keine Rente erhielten, wurden ins Pensionssystem eingegliedert, eine halbe Million Immigranten aus den Nachbarländern wurde legalisiert und die Homo-Ehe wurde eingeführt. Schließlich hob das Oberste Gericht die Amnestie für während der Militärdiktatur begangene Menschenrechtsverletzungen auf, so dass zahlreiche Prozesse stattfanden und ehemalige Junta-Mitglieder zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden.
Zwar ging wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs die Arbeitslosigkeit von mehr als 20 Prozent auf knapp acht Prozent zurück. Trotzdem leben Informationen von Index Mundi zufolge nach wie vor etwa 30 Prozent der Argentinier unter der Armutsgrenze. Zudem ist die Inflationsrate hoch. Sie lag laut Regierungsangaben im Vorjahr bei neun bis elf Prozent, unabhängige Institute beziffern den Preisanstieg auf das Dreifache. Der weltweite Soja-Boom hat Argentinien viel Geld eingebracht, das Land ist mittlerweile der drittgrößte Exporteur von gentechnisch behandeltem Soja, zugleich aber wurden Tausende Menschen vom Land in die Villas Miserias, die Armenviertel der Städte, getrieben.
Eine Stärke und zugleich Schwäche des »Kirchnerismo« ist seine Nähe zur mächtigen Gewerkschaft CGT. Ihr Vorsitzender Hugo Moyano sprach sich bei den Feiern zum 1. Mai eindeutig für Cris­tina Kirchner als Präsidentin aus, fordert aber eine Regierungsbeteiligung der CGT. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, können die Gewerkschaften mit Streiks und Blockaden jederzeit das ganze Land lahmlegen.

Bisher kam Christine Kirchner vor allem die Schwäche und Orientierungslosigkeit der Opposition zugute. Ihr wichtigster gegenkandidat ist Ricardo Alfonsín. Wie einst sein 2009 verstorbener Vater, der frühere Präsident Raúl Alfonsín, gehört er der Unión Cívica Rádical (UCR) an, der ältesten Partei Argentiniens. Sie vertritt traditionell die Mittelschicht und ist in eine linke und eine rechte Fraktion gespalten. Allerdings kommt Alfonsín in Umfragen derzeit nur auf zwölf bis 22 Prozent. Ihm folgt Eduardo Duhalde, der von 2002 bis 2003 übergangsweise das Land führte und den Meinungsforschern zufolge mit sechs bis sieben Prozent der Stimmen vorlieb nehmen muss. Duhalde vertritt den »dissidenten« beziehungsweise »föderalen« Flügel der Peronisten, der sich von den Kirchners distanziert hat und rechts von ihnen einzuordnen ist. Seine Basis hat er in der Provinz Buenos Aires sowie unter rechten Gewerkschaftern. Weitere Kandidaten außerhalb der peronistischen Partei sind Elisa Carrió vom Bündnis Coalición Cívica und Hermes Binner von der Sozialistischen Partei. Auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet hat hingegen Fernando »Pino« Solanas von der kleinen, sich selbst der linken Mitte zurechnenden Gruppierung Proyecto Sur. Er entschied sich für die Bürgermeisterwahl von Buenos Aires, kam aber mit knapp 13 Prozent der Stimmen nur auf den dritten Platz. Der berühmte Filmregisseur hatte mehr erwartet.
Buenos Aires ist traditionell eine Hochburg der Bürgerlichen und der Linksliberalen. Während der Partido Justicialista auf dem Land dominiert und vor allem in der Provinz Buenos Aires um die Hauptstadt eine starke Hausmacht besitzt, sind die Porteños seit jeher dem Peronismus gegenüber skeptisch eingestellt. Das wurde Daniel Filmus zum Verhängnis. Der Popstar Fito Paez kritisierte die Wähler Macris in der Zeitung Página 12: »Ich ekle mich vor der Hälfte von Buenos Aires. Das sind Leute, die nur an sich selbst denken. Menschen ohne Ideen, ohne Swing.« Diese Worte sagen eigentlich alles über die seit dem 19. Jahrhundert bestehende Abneigung der Nicht-Porteños gegen die als arrogant verschrienen Hauptstädter. Macri sieht die Verbalattacken gelassen. Er bastelt langfristig an einem Oppositionsbündnis gegen Cristina Kirchner und will sich damit für die Präsidentschaftswahl 2015 in eine gute Ausgangsposition bringen.