Über das italienische Sparpaket

Recht auf Staatsbankrott

Italiens Sparprogramm sieht Kürzungen im Sozialhaushalt und Privatisierungen vor. Die Krise soll nicht nur die außerparlamentarische Linke vereinen.

Auf Anraten seines Staatssekretärs schwieg der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi zum Haushaltsgesetz seiner Regierung. Er solle es nicht öffentlich kommentieren, »um die Märkte nicht zu verwirren«. Auch Finanzminister Giulio Tremonti wollte sich zu den Inhalten des von ihm vorgelegten »Sparpakets« erst am Wochenende äußern, »wenn die Märkte geschlossen sind«. So wurde Italiens milliardenschweres Sparprogramm am Freitag voriger Woche stillschweigend und ohne parlamentarische Debatte verabschiedet.
Über die genaue Höhe der Einsparungen wird noch spekuliert. Offiziell wurde deren Volumen von zunächst geplanten 47 auf über 70 Milliarden Euro erhöht. Mario Draghi, scheidender Vorstandsvorsitzender der italienischen Zentralbank und zukünftiger Präsident der Europäischen Zentralbank, mahnte jedoch schon vor der Abstimmung, dass noch höhere Einsparungen notwendig sein würden. Tatsächlich fiel der Mailänder Börsenindex am Montag nach dem Beschluss noch einmal um drei Prozent. Tremonti versicherte daraufhin, auch dieses nachgebesserte Sparprogramm weiter verschärfen zu wollen.
Fest steht dagegen bereits, dass die Staatsausgaben vor allem durch Kürzungen im Sozialhaushalt gesenkt werden sollen. Aus dem Verkauf von kommunalen Unternehmensbeteiligungen erhofft sich der Finanzminister zusätzliche Einnahmen zur Schuldentilgung. Mit sofortiger Wirkung wird ein erst vor wenigen Jahren abgeschafftes Gesundheitsticket wieder eingeführt. Ein Facharztbesuch kostet künftig zehn Euro, eine Behandlung in den Erste-Hilfe-Stationen der Krankenhäuser 25 Euro. Die weitesten reichen Veränderungen betreffen die staatliche Altersvorsorge. Das Renteneintrittsalter wird an die derzeitige Lebenserwartung angepasst, also noch einmal angehoben. Hohe Renten werden ab August mit einem Solidaritätssteuersatz belegt. Dass gleichzeitig auch der Inflationsausgleich für mittlere Renten gesenkt wird, trifft nicht nur die Pensionäre, sondern mittelbar auch deren Kinder und Enkel, die infolge ihrer prekären Erwerbssituation häufig auf die Unterstützung durch die ältere Generation angewiesen sind. Darüber hinaus werden Familien mit Kindern durch die Abschaffung verschiedener Steuerfreibeträge zusätzlich belastet. Gewerkschaften und die katholische Bischofskonferenz rechnen mit jährlichen Mehrkosten bis zu 2 000 Euro pro Familienverband. Schon heute leben nach den neuesten Angaben des zentralen Statistikamtes Istat mehr als acht Millionen Menschen in Armut, das sind knapp 14 Prozent der italienischen Bevölkerung.

Tremontis erster Entwurf des Sparprogramms war auf vier Jahre angelegt gewesen und hatte mit Einsparungen in Höhe von knapp 50 Milliarden Euro kalkuliert. Die Umsetzung des Sparvorhabens war allerdings nicht mehr für die laufende Legislaturperiode geplant, sondern größtenteils auf die Jahre 2013 und 2014 verschoben worden. Kritik, wonach die Sparanstrengungen nicht weit genug gingen, hatte der Finanzminister barsch zurückgewiesen. Wer verlange, Italien solle mehr sparen oder die geplanten Einsparungen vorziehen, der habe nichts verstanden: »Wenn wir das tun, richten wir das Land zugrunde.« Wiederholt beteuerte er, mit seinem Haushaltsgesetz »den Märkten ein starkes Signal zu geben«. Binnen weniger Tage stellte sich heraus, dass Tremonti die Situation falsch eingeschätzt hatte. An der Mailänder Börse stieg die Rendite für langjährige Staatsanleihen, vorübergehend musste Italien den Anlegern bis zu sechs Prozent Zinsen anbieten. Wegen der Turbulenzen an den Finanzmärkten drohten plötzlich alle Anstrengungen, den Staatshaushalt zu konsolidieren, durch die steigende Zinslast vereitelt zu werden. Mit einer Staatsverschuldung von 120 Prozent des Bruttoinlandprodukts ist Italien ohnehin nach Griechenland das EU-Land mit dem zweithöchsten Schuldenstand.
Erst vor einem Jahr hatten sich italienische Politiker dagegen verwahrt, ihr Land unter die »Schweinestaaten« eingereiht zu sehen. Anders als den sogenannten PIGS, Portugal, Irland, Griechenland und Spanien, drohe Italien kein Staatsbankrott. Der Staatshaushalt sei unter Kontrolle und das italienische Bankensystem solide. Vorige Woche nun schnellten nicht nur die Zinsen für Staatsanleihen unkontrolliert in die Höhe, auch die Aktien der italienischen Banken gerieten unter Druck. Obwohl sich die EU-Finanzexperten beeilten, die Unterschiede zwischen Italien und Griechenland hervorzuheben, wuchs plötzlich die Sorge, die Schuldenkrise könne sich auf Europas drittgrößte Volkswirtschaft ausweiten. Neben der konstant schlechten Wirtschaftsleistung des Landes gelten Zweifel an der Stabilität der Regierung als Auslöser für die Krise. Zuletzt wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen einen engen Mitarbeiter des Finanzministers wegen Korruption ermittelt.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Pressekonferenz ausplauderte, sie habe Berlusconi in einem Anruf das »Vertrauen« der EU-Partner ausgesprochen, gleichzeitig aber den sofortigen Beschluss einschneidender Sparmaßnahmen gefordert, wurde das in Rom nicht so sehr als Einmischung in die italienische Haushaltspolitik gewertet, sondern vielmehr als Warnung ernst genommen. Staatspräsident Giorgio Napolitano beschwor den »nationalen Zusammenhalt«, um den vermeintlich bevorstehenden Staatsnotstand abzuwehren. Die Rechtskoalition legte daraufhin ihre internen Streitigkeiten um das »Sparpaket« bei. Sogar Berlusconi, der Tremonti noch jüngst vorgeworfen hatte, kein »Teamplayer« zu sein, und durchblicken ließ, dass er ihn schnellstmöglich »auswechseln« wolle, beugte sich jetzt den Vorgaben des ungeliebten Finanzministers. Die Oppositionsparteien versicherten, einer zügigen Verabschiedung des Sparprogramms nicht im Wege stehen zu wollen, schließlich sei man sich der »nationalen Verantwortung« im 150. Jahr der italienischen Einheit bewusst. Auch Romano Prodi appellierte an den Nationalstolz und die »Opferbereitschaft« zugunsten der europäischen Sache. Als Ministerpräsident hatte er Mitte der neunziger Jahre eine Europa-Steuer eingeführt, damit sein Land die Kriterien zur Einführung des Euro erfüllen konnte. Heute sieht der ehemalige EU-Kommissionspräsident allerdings nicht mehr nur sein Land in der Pflicht, vielmehr mahnt er zu einer größeren politischen Einheit Europas.

Für die außerparlamentarische Linke sind reformistische Umverteilungspläne und traditionelle Forderungen zur Verteidigung sozialstaatlicher Errungenschaften, wie sie aus den Reihen der Demokratischen Partei in vorsichtiger Abgrenzung zu Tremontis »Sparpaket« erhoben werden, anachronistisch. Schon vor Wochen erklärte sie sich solidarisch mit den griechischen Protesten gegen das aufgezwungene Sparprogramm und plädierte für das »Recht auf Staatsbankrott«. Nicht zuletzt die Erfahrung der privaten Insolvenz habe in den vergangenen Monaten die Prekären aus den Universitäten und Fabriken zum Bündnis »Vereint gegen die Krise« zusammengeführt, daraus seien die Kämpfe für eine »soziale Grundsicherung« und neue demokratische Formen der Organisation der Gemeingüter entstanden. Auch die verschiedenen Basisgruppen, die im Juni erfolgreich zu den Volksentscheiden aufgerufen hatten, dürften sich jetzt nicht zurückdrängen lassen. Stattdessen müsse aus ihrem Kampf für die öffentliche Verwaltung der gemeinnützigen Ressourcen ein nachhaltiges Wachstumsmodell und eine neue soziale Ordnung entwickelt werden. Das Mailänder Netzwerk »San Precario« hofft, dass sich die Bewegung der Empörten zu einem transnationalen Subjekt entwickelt und im Herbst für eine radikal andere, gemeinsame europäische Finanz- und Steuerpolitik mobilisiert.