Über das Ende des Ölzeitalters

Scheichs ohne Öl

Einiges spricht dafür, dass das Ende des Ölzeitalters näher rückt. Der Rückgang der konventionell erschließbaren Ölreserven ist bereits spürbar und hat Auswirkungen auf die Emirate am Persischen Golf. Diese bereiten sich auf die Zeit nach dem Öl vor.

Die am Golf regierenden Öl-Oligarchen sind sich längst der Gefahren bewusst, die die demokratischen Protestbewegungen im arabischen Raum auch für ihre Macht bedeuten. Sie versuchen, diese gezielt abzuwehren: einerseits mit milliardenschweren Sozialprogrammen, die die Bevölkerung beschwichtigen sollen, und andererseits durch verstärkte Repression gegen potentielle Unruhen. Die Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates (GCC) – Saudi-Arabien, Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate – bauen zurzeit nicht nur ihr Militär aus, sie arbeiten auch an einer wirtschaftspolitischen Einigung: Nach der Liberalisierung des Handels und der 2003 in Kraft getretenen Zollunion ist für 2015 die Einführung einer gemeinsamen Währung geplant, ein ambitioniertes Vorhaben, das bisher an der Rivalität zwischen den Regierungen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate gescheitert ist.
Da die Öl- und Erdgasförderung weitgehend in staatlicher Hand liegt, verfügen die Golfregime über einen relativ großen Handlungsspielraum. Die Staaten des GCC verfügen über 40 Prozent der weltweiten bekannten Ölreserven und über 23 Prozent der Erdgasvorkommen. Mehr als die Hälfte der Ölexporte geht schon heute in asiatische Länder. Trotz vieler Parallelen sind die Entwicklungsperspektiven in den verschiedenen Golf-Staaten sehr unterschiedlich.

Saudi-Arabien besitzt nach offiziellen Angaben immer noch die größten konventionell förderbaren Erdölreserven weltweit. Neben dem Pilgertourismus ist die Ölindustrie der bestimmende Wirtschaftszweig, um den sich nahezu alles dreht. Optimistische Prognosen behaupten, dass die Ölvorräte noch für 75 Jahre ausreichen. Zudem verfügt das Land auch über erhebliche Erdgasvorräte. Für Irritationen sorgten allerdings kürzlich Berichte, denen zufolge die saudischen Ölreserven um bis zu 40 Prozent geringer seien als bisher angegeben. Bereits ab 2020, so neuere Prognosen, werde die Ölförderung kontinuierlich zurückgehen. Die bereits seit 2004 spürbare Rückgang der Fördermengen und die hohe Arbeitslosenquote von offiziell mehr als zehn Prozent – inoffizielle Schätzungen gehen von über 20 Prozent aus – sorgt allmählich für Unruhe bei der Regierung, die im März unter dem Eindruck der Ereignisse in anderen arabischen Ländern ankündigte, bis 2030 fünf Millionen neue Jobs zu schaffen und zugleich den Anteil der Arbeitsmigranten, die im vergangenen Jahr 27,8 Prozent der insgesamt über 28 Millionen Einwohner ausmachten, deutlich zu reduzieren.

Bahrain versucht energisch, die Industrie und den Dienstleistungssektor zu entwickeln, um die Abhängigkeit von der Ölförderung zu vermindern, die inzwischen nur noch zwölf Prozent des BIP erwirtschaftet. Voraussichtlich werden die Öl- und Erdgasvorkommen bereits 2015 erschöpft sein. In Bahrain leben etwa 1,2 Millionen Einwohner, davon sind nur 46 Prozent Bahrainis, der Rest sind Arbeitsmigranten. Von den rund 660 000 Bahrainis sind 66 bis 70 Prozent Schiiten, die auf dem Arbeitsmarkt stark diskriminiert werden. So stellen sie lediglich 18 Prozent der Staatsbediensteten. Die bahrainische Regierung bietet sunnitischen Arbeitsmigranten gezielt die Staatsbürgerschaft an, um den schiitischen Bevölkerungsanteil zu senken. Die Arbeitslosenquote in der Gesamtbevölkerung wird auf 15 Prozent geschätzt, von denen die Schiiten einen beträchtlichen Teil ausmachen.

Auch in Kuwait besteht die Bevölkerung mehrheitlich aus Arbeitsmigranten, die vor allem aus Indien, Pakistan, Bangladesh und anderen asia­tischen Ländern stammen. Lediglich 40 Prozent der knapp 2,8 Millionen Einwohner sind kuwaitische Staatsbürger. Im Gegensatz etwa zu Bahrain scheinen die kuwaitischen Öl- und Gasreserven jedoch noch lange nicht erschöpft zu sein. Über 102 Milliarden Barrel an konventionellen Ölreserven soll das Land verfügen, was für die nächsten 113 Jahre die Förderung sichern würde. Und so sieht die kuwaitische Führung bisher auch wenig Anlass, ihre fast vollständig erdölbasierte Wirtschaft auf andere Grundlagen zu stellen.

Katar sticht unter den Golfstaaten durch einen besonders hohen Migrantenanteil hervor, sie machen etwa 80 Prozent der 1,4 Millionen Einwohner aus. Der anhaltende Rohstoffreichtum dürfte jedoch den absolut herrschenden Emir und seine Beraterclique vor sozialen Unruhen schützen – ebenso wie die 2009 aus Deutschland gelieferten 36 Leopard-Panzer und weiteres modernes Kriegsgerät, die ein Indiz dafür sind, dass die Herrscherfamilie ihre Macht um jeden Preis schützen will. Die Ölvorkommen sollen angeblich nur noch etwa 40 Jahre lang reichen. Inzwischen wurden auf der kleinen Halbinsel allerdings die größten Flüssiggasvorkommen der Welt entdeckt. Zugleich verfolgt die Regierung ein ehrgeiziges Industrialisierungsprogramm, von dem auch die Bauwirtschaft profitiert, so dass Katar für das Jahr 2011 voraussichtlich ein Wirtschaftswachstum von 20 Prozent verzeichnen wird. Die Profite aus der Rohstoffgewinnung werden zunehmend in ausländischen Kapitalanlagen investiert, so sicherte sich der staatliche Investmentfond Quatar Investment Authority Beteiligungen an Porsche sowie am Baukonzern Hochtief.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) gibt es unterschiedliche Entwicklungen. In Dubai, wo die Ölreserven bereits zur Neige gehen und vermutlich etwa 2020 erschöpft sein werden, ist die Ölproduktion von einst 400 000 Barrel pro Tag im Jahr 1991 auf weniger als 100 000 gesunken. Das Öl macht nur noch drei Prozent des BIP aus. Das Emirat setzte in den vergangenen 15 Jahren auf gigantomanische Bauprojekte, Tourismus, der inzwischen ein Viertel der Gesamteinnahmen ausmacht, und ein Glitzerimage, das vor allem Finanzinvestoren beeindrucken soll. Doch mit dem Platzen der Immobilienblase brachen auch die großen Investitionsprogramme zusammen. Der gerade noch abgewendete Konkurs des Prestige-Unternehmens »Dubai World« und das Ende des Baubooms in der Krise haben gezeigt, wie zerbrechlich eine Wirtschaft ist, die auf Finanzdienstleistungen und Immobilien beruht. Das benachbarte Abu Dhabi steht dagegen weitaus besser da. Die Ölreserven des Emirats reichen noch für etwa 40 Jahre, Staatsfonds agieren weltweit mit großen Kapitalmengen, der Prozess der Diversifizierung der Ökonomie ist in vollem Gange und umfasst neben Finanzinvestitionen auch Industrieprojekte im eigenen Land. Abu Dhabi erweist sich derzeit als das wirtschaftliche Rückgrat der sieben Emirate, von denen fünf über keine nennenswerten Rohstoffe verfügen.

In Oman steckt der Sultan in den kommenden fünf Jahren 78 Millionen US-Dollar in Infrastrukturprojekte, um die Arbeitslosenquote von knapp 14 Prozent zu senken und größere Unruhen gegen die abolute Monarchie in dem Land mit 2,9 Millionen Einwohnern zu verhindern. Durch eine Politik der »Omanisierung« versucht das Regime, von ausländischen Arbeitskräften unabhängiger zu werden. Ökonomisch ist die Lage stabil, allerdings ist das Ende der Ölförderung absehbar: Falls keine neuen Ölfelder gefunden werden, wären die Reserven bei gleichbleibender Förderquote etwa 2024 erschöpft. Die Regierung kündigte daher an, die Gasproduktion bis 2015 um 44 Prozent zu erhöhen.

Die enormen Infrastrukturprogramme und Bauvorhaben aller Golfstaaten im Wert von insgesamt etwa 1,1 Billionen US-Dollar sind nicht nur ein Versuch, soziale Revolte im Keim zu ersticken, sondern sollen auch eine ökonomische Entwicklung jenseits des Ölbooms ermöglichen. Doch das gigantische Entwicklungsvorhaben bringt auch neue Probleme mit sich: Die Golf-Staaten sind nicht mehr nur Energieproduzenten, sondern zunehmend auch -konsumenten. Sie haben beim Energieverbrauch die höchsten Wachstumsraten weltweit. Bereits 18 Prozent ihrer Ölproduktion konsumieren die GCC-Staaten selbst.