Das Verhältnis westlicher Staaten zu Saudi-Arabien

Stabilität um jeden Preis

Nicht nur die USA haben in den vergangenen Jahrzehnten auf die Saudis als Verhandlungs- und Bündnispartner im Nahen Osten gesetzt. Auch europäische Staaten wie Frankreich verstehen das saudische Königshaus als Verbündeten in der Re­gion. Nach den arabischen Revolutionen ist das Verhältnis der westlichen Staaten zu Saudi-Arabien komplexer und ambi­valenter geworden.

Beim Frühlingserwachen flüchtete sich der französische Premierminister François Fillon in den tiefsten Winter. Soeben war Ägyptens Präsident Hosni Mubarak durch Massenproteste zum Rücktritt gezwungen worden. Drei Wochen zuvor hatte sich der tunesische Potentat Zine el-Abidine Ben Ali ins Exil nach Saudi-Arabien geflüchtet. Auf der halben Welt begann man vom »arabischen Frühling« zu sprechen, da beeilte sich der französische Regierungschef dorthin zu gelangen, wo dieser Frühling am fernsten war – nach Saudi-Arabien.
Am 12. Februar, keine 24 Stunden nach Mubaraks Rücktritt, besuchte der französische Premier zunächst den atomgetriebenen französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle vor der saudischen Küste. Dieser nahm zu dem Zeitpunkt an einem gemeinsamen Manöver mit den Streitkräften Saudi-Arabiens im Roten Meer teil. Später am Tag unterhielt sich Fillon mit dem saudischen Kronprinzen und Verteidigungsminister, Sultan ben Abdel Aziz. König Abdullah befand sich gerade in medizinischer Behandlung in einer marokkanischen Klinik.
Saudi-Arabien ist das mächtigste Bollwerk der Reaktion in der Region. Dass Fillon als erster französischer Premierminister seit 1994 sich gerade zu diesem Zeitpunkt in dem monarchisch regierten Wüstenstaat aufhielt, war ein klares Signal: Nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks werden Verbündete gesucht, die dem Treiben der Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern Einhalt gebieten können, wie es Saudi-Arabien im März mit der Truppenentsendung nach Bahrain tat. Frankreich hatte zuvor die Präsidentengarde und die Bereitschaftspolizei in Bahrain ausgebildet, kündigte jedoch am 18. Februar, kurz nach Ausbruch der Massenproteste, an, diese Aktivität einzustellen. Am selben Tag hatte auch Großbritannien angekündigt, seine Verträge über die Lieferung von »Sicherheitsmaterial« mit Bahrain einzufrieren. »Die Bindungen zwischen Frankreich und Saudi-Arabien haben sich verstärkt«, erklärte Fillon auf einer Pressekonferenz anlässlich seines Besuchs, »auf politischer Ebene drückt sich diese Partnerschaft durch sehr enge Abstimmungen bezüglich des regionalen Kontextes aus.« Gleichzeitig warb er für ein milliardenschweres Schnellbahnprojekt für die Strecke Jeddah-Mekka-Medina, an dem die französische Bahngesellschaft SNCF beteiligt ist.

Wichtiger noch als Frankreich ist für die saudischen Monarchie jedoch die Partnerschaft mit den USA, und dies seit dem »Quincy-Pakt«, der im Februar 1945 von Präsident Theodor Roosevelt und König Abdel Aziz ibn Saud unterzeichnet wurde. Dem Abkommen zufolge zählen die Stabilität Saudi-Arabiens und der gesamten Arabischen Halbinsel sowie die regionale Führungsrolle des Königreichs zu den »vitalen Interessen« der USA. Die wirtschaftliche Elite Saudi-Arabiens hat außerdem rund 600 Milliarden Dollar in den USA angelegt. Infolge des Anwachsens einer inneren islamistischen Opposition, die den fundamentalistischen Anspruch des Regimes für bare Münze nimmt, hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten seit dem 11. September 2001 jedoch zeitweilig getrübt. Vor diesem Hintergrund schlossen die USA im Dezember 2002 ein Verteidigungsabkommen mit Katar, infolge dessen vor dem Angriff auf den Irak ein Großteil der in der Region stationierten US-Truppen dorthin verlagert wurde. Nichtsdestotrotz sind die USA bislang nie ernsthaft von ihrer Unterstützung des saudischen Königshauses abgewichen. Im März dieses Jahres sprach die US-Administration allerdings eine, wenn auch folgenlose Warnung aus, das Demonstrationsrecht müsse auch in Saudi-Arabien gewährleistet werden.

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts Zogby International für die Arab American Institute Foundation über das Ansehen der USA in der arabischen Bevölkerung. Demnach genießt die US-Politik derzeit in Saudi-Arabien mit Abstand die höchste Popularität. Sofern man den Ergebnissen der Befragung Glauben schenken kann, waren die USA in den Jahren 2008, dem letzten Jahr von George W. Bushs Präsidentschaft, und 2009, nach dem Amtsantritt von Barack Obama, in Marokko oder in Ägypten wesentlich beliebter als in Saudi-Arabien. Doch heute hat sich das Verhältnis umgekehrt.
Ursache dafür ist, dass die arabischsprachigen Bevölkerungen unterschiedliche Erwartungen an den neuen US-Präsidenten stellten, die auf unterschiedliche Weise enttäuscht worden sind. In der Mehrzahl der arabischsprachigen Länder erhofften sich die meisten Befragten vom neuen US-Staatsoberhaupt eine Verringerung des Abstands zwischen Nord und Süd, eine »gerechte Lösung des Palästina-Problems« oder »eine Beendigung des Kriegs im Irak«.
In der jüngsten Umfrage wird Obama vor allem vorgeworfen, dass sich unter seiner Administration die Position der Palästinenser im Nahost-Konflikt nicht verbessert habe. Außerdem haben demnach die Einrichtung eines Flugverbots über Libyen und die Tötung von Ussama bin Laden dazu beigetragen, dass das Ansehen von Obama bei der arabischen Bevölkerung gesunken ist. Die Mehrheit der Saudis, die an der Umfrage teilnahmen, interessiert sich hingegen für ein anderes Thema: Die Unterstützung der arabischen Golfstaaten durch den Westen bei der Eindämmung der regionalen Machtbestrebungen des Iran.