Über Google+

Eingekreist von Google

Mit Verachtung blicken die Nutzer von Google+ auf andere Social Networks wie Facebook herab. Doch alles deutet darauf hin, dass auch Googles neue Plattform bald nach den Prinzipien anderer Netzwerke funktionieren wird.

Wann immer Google ein neues Angebot herausbringt, sind Begeisterung und Nachfrage gleichermaßen groß. Was auch daran liegt, dass das Unternehmen anfangs nicht etwa jeden mitmachen lässt, sondern auf ein Einladungsprinzip setzt. Die ersten Nutzer von Google+ konnten daher vor lauter Freude und Dankbarkeit, dazugehören zu dürfen, kaum an sich halten.

Etwa eine Viertelstunde nach dem Start der neuen Plattform kursierten bereits eigens angefertigte Bildchen, Videos und Sprüche, die wahlweise Schmähungen der Konkurrenz, also von Facebook, oder den eigenen Rang als »Early Adopter« zum Thema hatten. Dabei sind »Early Adopters«, jedenfalls diejenigen, die stolz auf ihren angeblichen Status als früh hinzugekommene User sind, ganz was Fieses: In Firmen erkennt man sie beispielsweise daran, dass sie jedem einzelnen ihrer Kollegen so lange auf die Nerven gehen, bis sie eine Einladung zum neuesten Google-Ding bekommen haben, und sogar Mitarbeiter, mit denen sie normalerweise wegen solider wechselseitiger Abneigung kein Wort wechseln, zur Not bis in die Tiefgarage verfolgen, um endlich, endlich auch dabei sein zu dürfen. Sind sie dann drin, verteilen sie aber keinesfalls großzügig Einladungen und fragen unter keinen Umständen herum, wer denn gerne auch einmal das schicke neue Thingie angucken würde.
Aber zurück zu den frühen Tagen von Google+. Das neue Netzwerk scheint vielen Usern wichtiger zu sein als alte Internetfeindschaften – am Anfang wird man durchaus von Leuten geaddet, die man eigentlich schon lange ignoriert. Was natürlich weniger daran liegt, dass sich irgendetwas an der gegenseitigen Abneigung geändert hätte, sondern an einem einfachen Umstand, der vor allem den unerfreulichen unter den »Early Adopters« schwer zu schaffen macht: Da es keine niedrige Mitgliedsnummer gibt, um später Hinzugekommene zu beeindrucken, wird versucht, mit der Masse zu verdeutlichen, dass man sich schon längst häuslich im Netzwerk eingerichtet hat.
Für diejenigen, die schon im richtigen Leben nicht daran interessiert sind, wie Systemadministratoren die Welt sehen oder was Beschäftigte in den Bereichen Marketing und Werbung zu sagen haben, sind diese ersten Tage von Google+ also nichts weniger als die Hölle. Denn der Personenkreis der Werber und IT-Leute hat zusätzlich eine Statistik der User mit den allermeisten Freunden entdeckt und macht sich umgehend daran, nun ebenfalls in die Statistik einzugehen. Was nichts anderes bedeutet, als dass diese Menschen alle adden, die ihnen über den Weg laufen, und die von ihnen Eingekreisten mit Nachrichten langweilen wie: »Ich habe meine Business-Visitenkarte geändert und meinen Google+-Account hinzugefügt.« Was aber fast besser ist als der besinnungslose Jubeltaumel, der durch das Google-Netzwerk schwappt und sich hauptsächlich darin äußert, Facebook oder – nachdem Sascha Lobo dekretiert hat, dass Google+ wohl eher Twitter Konkurrenz machen würde – Twitter zu dissen.
Offenbar denken viele User, dass es sich bei Google um eine Art NGO für Nerds handelt und nicht um ein Unternehmen, denn Kritik hört man derzeit gar nicht gern. Und außerdem gilt Google+ ja als äußerst innovativ. Denn abgesehen davon, dass man mit seinen Kontakten via Livecam chatten kann, darf man sie auch noch in »Kreise« stecken. Wow!
Das Einteilen von Kontakten in solche Kreise hat ein bisschen was vom Farmville-Spiel auf Facebook: Es macht schrecklich viel Arbeit, kostet Zeit und ist nur mäßig unterhaltsam. Wo man im Spiel auf ein Stück Land klicken, es von Unkraut befreien und pflügen muss, um anschließend auszusuchen, was man dann dort pflanzen möchte, ist das Adden bei Google+ nur unwesentlich weniger aufwendig. Und das erklärt sich so: Wann immer sich im Social Network etwas Neues ereignet, erscheint rechts oben in der Menüleiste eine Zahl in einem kleinen roten Quadrat. Klickt man darauf, sieht man die Namen der User, in deren Kreisen man sich nun befindet. Wenn man keine Ahnung hat, wer alle diese Leute sind, schaut man idealerweise in den entsprechenden Profilen nach, um sie dann in Zirkel zu verfrachten. Sich lustige Namen für die Kreise auszudenken, war jedoch nur in den ersten Tagen witzig. Nun, nach rund drei Wochen, sind alle möglichen Kombinationen mit den Worten Kreis, Zirkel oder Circle gefunden, weshalb jeder Neuankömmling irgendwo eingeordnet wird.

Irgendwann muss das Ganze dringend aufgeräumt werden, erinnert man sich an den Vorsatz von gestern (und von vorgestern und so weiter), während man die Liste mit den Kreisen aufruft. Was aber noch mehr Arbeit bedeuten würde, also so eine Art Farmville in der verschärften Version wäre, und das sind keine verlockenden Aussichten. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass Google mit seinem neuen Netzwerk in 30, 40 Jahren das Genre des Rentner-Porträts prägen wird: »Gefragt, was er mit der neu gewonnen Freizeit anfangen wolle, antwortete der ehemalige Abteilungsleiter, dass er zunächst schon lange Liegengebliebenes erledigen und seine Kreise bei Google+ aufräumen werde. Er habe schon einen Plan, nach welchen Kriterien er seine Kontakte umgruppieren wolle, die Formel sei allerdings streng geheim. Wenn er danach noch fit und gesund sei, wolle er mit seiner Frau eine Kreuzfahrt machen.«
Noch aber sind die zukünftigen Rentner und Rentnerinnen damit beschäftigt, Google+ toll zu finden, bis auf diejenigen, deren Freunde vom Unternehmen suspendiert wurden, weil sie nicht ihren wirklichen Namen verwendeten. Nach deutschem Recht dürfen sie deshalb zwar gar nicht suspendiert werden, denn Anbieter müssen Usern die Möglichkeit einräumen, anonym teilzunehmen, aber das Unternehmen kümmert sich nicht um solche kleinlichen Vorschriften, sondern schließt hinausgeworfene Nick-Verwender sogar von weiteren Diensten wie Googlemail, Cloud und Buzz aus. Die Google+-Fanboys finden das nicht weiter schlimm, wenn’s einem nicht passe, könne man ja zu Facebook gehen und da dann Farmville spielen. Das erfolgreiche Spiel der Firma Zynga steht bei Anhängern von Google+ stellvertretend für alles Böse, das bei Facebook zu finden ist. Entsprechend gruselt man sich auch schon vor dem Moment, in dem sich nicht mehr nur technikvernarrte »Early Adopters«, sondern auch ganz normale Leute anmelden und »hier alles verschmutzen werden«.

Die selbsternannte Internet-Elite könnte jedoch schneller von der Realität eingeholt werden als gedacht: Nach einer Meldung des Magazins Endadget deuten einige Stellen im Quellcode von Google+ darauf hin, dass in naher Zukunft auch Spiele eingebunden werden. Das Portal »The Next Web« berichtete überdies, dass Google gerade einen Produktmanager für den Bereich Spiele sucht – bereits im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen die auf Social Gaming spezialisierte Firma Slide gekauft.
Auch der Kauf von Aardvark vor einem Jahr – Google gab 50 Millionen Dollar für das Unternehmen aus – dürfte mit dem nun gestarteten Social Network zu tun haben. Aardvark hatte im Jahr 2009 ein Tool entwickelt, mit dem User die geeignete Person zur Beantwortung einer Frage finden können. Im Code ist jedenfalls eine Stelle enthalten, in der es heißt: »You might try rephrasing or tagging your question to make it easier for someone to answer.« Wenn nicht alles täuscht, dürfen die Klarnamen-Fanatiker also schon sehr bald Getreide ernten, Fragen beantworten, Quiz spielen und all das tun, was bei Facebook schon jetzt möglich ist.