Shalom ohne Frieden
Im Mai 2007 wurde innerhalb von Solid, der Jugendorganisation der Linkspartei, ein Arbeitskreis gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus ins Leben gerufen. Zwar waren die meisten, die bei der Gründungsversammlung dabei waren, Mitglieder der Partei, jedoch hatten sich auch einige außerparlamentarisch orientierte Linke eingefunden, die sich der Linkspartei in unterschiedlicher Weise verbunden fühlten. Verabschiedet wurde eine Grundsatzerklärung, in der »die Entwicklungen der letzten Jahre, besonders nach den islamistischen Anschlägen in New York City am 11. September 2001«, als Grund angeführt werden, sich mit den eingangs genannten Themen zu beschäftigen.
Die Debatte darüber wurde als notwendiger Bestandteil einer neuen emanzipatorischen Gesellschaftskritik verstanden. Die Gründung des BAK Shalom stieß von Anfang an auf große Gegenwehr. Es gab Anstrengungen, ihn aus der Partei zu drängen und ihm die Finanzierung zu streichen. Er wurde als neokonservativ, islamfeindlich und antideutsch bezeichnet, seine bloße Existenz löste starke Abwehrreflexe aus. Wie konnte ein Arbeitskreis, der nur aus wenigen Aktiven bestand, ein derartiges Interesse hervorrufen?
Es ist dem BAK Shalom gelungen, die Diskussion über das Verhältnis zu Israel, über Kritik des Antizionismus und den Zusammenhang von Israel-Kritik und Antisemitismus in die Linkspartei hineinzutragen. Diese Debatte hatte in der außerparlamentarischen Linken nach der Wiedervereinigung begonnen und zu Zerwürfnissen und Neuorientierungen geführt. Die Linkspartei galt orthodoxen Antiimperialisten als sicheres Terrain. Diese Überzeugung wurde durch die Gründung des BAK Shalom zumindest angekratzt. Der BAK war ein neues Phänomen, das vielfach nicht verstanden wurde. Ein Teil der außerparlamentarischen Linken begrüßte, dass in der Linkspartei endlich eine notwendige Debatte beginne, ein anderer Teil fand zwar das Anliegen sympathisch, hielt es jedoch für vollkommen illusorisch und zum Scheitern verurteilt. Andere witterten gar Verrat an Prinzipien der Israel-Solidarität. Als der BAK Shalom 2008 den Rücktritt des damaligen außenpolitischen Sprechers Norman Paech forderte, erregte er Aufmerksamkeit auch in der überregionalen Presse.
Die Geschichte des BAK ist jedoch keineswegs eine reine Erfolgsgeschichte. Schnell wurden interne Differenzen offenbar, die aus seiner Struktur als parteinaher Arbeitskreis resultierten. Parteimitglieder und außerparlamentarische Linke hatten unterschiedliche Vorstellungen über das politische Handeln und das Verhältnis des BAK Shalom zur Linkspartei. Nach und nach stiegen fast alle Nicht-Parteimitglieder aus, weil sie sich an der zu starken Fixierung auf die Partei störten.
Mir selbst hat der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009 die immanenten Schwierigkeiten des BAK in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Es kam damals zu antiisraelischen und teilweise antisemitischen Ausfällen in der Linkspartei, die öffentlich hätten thematisiert werden müssen. Dies unterblieb aber mit dem Hinweis darauf, dass die Partei im Wahlkampf zusammenstehen müsse. Das ist die Logik der Parteipolitik: Trotz aller inhaltlichen Kritik steht im Zweifelsfall die Loyalität zur Partei im Vordergrund. Diese Meinung wurde auch von Mitgliedern des BAK Shalom vertreten, die sich selbst nicht sicher waren, ob die unterschiedlichen Positionen in der Linkspartei auf lange Sicht zu vereinen seien. Argumentiert wurde außerdem immer, dass der BAK auf seine Verbündeten in der Partei Rücksicht nehmen müsse. Auf die Nachfrage, wer denn die Verbündeten seien, folgte betretenes Schweigen. Die Verbündeten waren jedenfalls ziemlich gut versteckt, was nicht verwundert, weil eine dezidiert proisraelische Position einer Karriere in der Linkspartei gewiss nicht dienlich ist.
Diese Auseinandersetzung machte klar, dass der BAK in erster Linie ein Arbeitskreis innerhalb der Partei ist und dies auch bleiben wird. Sein Ziel ist es, die Linkspartei zu verändern und den innerparteilichen Gegnern das Leben etwas schwerer zu machen. Die ständige Rücksichtnahme auf vermeintliche Unterstützer und die Betonung der Parteiloyalität führten nicht nur zum Rückzug fast aller Nicht-Parteimitglieder, sondern auch dazu, dass der BAK für längere Zeit in der Versenkung verschwand. Die Stellungnahmen während des vergangenen Jahres waren inhaltlich schwach, selbst die zur Gaza-Flottille. Häufig fand gar keine Positionierung statt, und wenn doch, interessierte dies außerhalb der Partei niemanden und auch in der Partei immer weniger Leute. Das hat sich in den vergangenen Wochen mit der Diskussion über Antisemitismus in der Linkspartei ein wenig geändert.
Ich selbst werde ständig mit dem BAK Shalom assoziiert und von allen Seiten dafür kritisiert. Nicht selten wird mir vorgeworfen, ich sei ein »Karrierist« und hätte mich von der Ideologiekritik verabschiedet, weil ich mich in die Niederungen der Parteipolitik begebe. Noch viel vehementer reagieren die Antiimps und die orthodoxen Kommunisten. Für die Junge Welt bin ich ein »neokonservativer Bellizist«. Auf Blogs wurde unterstellt, dass ich mit der israelischen Botschaft verbandelt sei, und bei einer Veranstaltung, auf der ich mit jemandem von der Kommunistischen Plattform auf dem Podium saß, wurde ich gefragt, von wem ich eigentlich bezahlt würde. Bis heute existiert eine Website namens »BAK Shalom Watch«, und Verschwörungstheorien, wer eigentlich hinter diesem Arbeitskreis stecke, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Auch dies zeigt: Der BAK ist ein Störfaktor in der Linkspartei, allerdings war er nie vorrangig Teil der israelsolidarischen Szene, sondern vielmehr der Partei. Sein Zweck ist auch nicht die theoretische Auseinandersetzung mit Gesellschaftskritik, hierfür empfiehlt sich noch immer der Adorno-Lesekreis. Der BAK beabsichtigt primär die interne Veränderung der Linkspartei. Damit einher gehen viele Probleme, die der parteipolitische Rahmen mit sich bringt. Parteipolitisches Engagement ist nicht ohne strategisches Handeln zu haben, allerdings wurde im BAK die Strategie nicht selten fetischisiert, was nur auf Kosten der inhaltlichen Klarheit gehen kann. Nicht selten hörte ich: »Ja, du hast ja recht, aber … « Die Kritik an der starken Fokussierung auf die vermeintlich richtige Taktik wurde ignoriert und Gedanken über Sinn und Unsinn des BAK wurden als unnötig abgetan. Die Bedingungen der Diskussion sind in parteinahen Organisationen andere als in linksradikalen Kleingruppen. Das muss man nicht mögen und man kann es auch einfach sein lassen. Denjenigen, die sich anders entschieden haben, aber vorzuwerfen, sie würden parteipolitisch agieren, ist absurd.
Seit seiner Gründung hat der BAK an Bedeutung verloren und auch die Diskussion der vergangenen Wochen wird kaum zu einer Renaissance beitragen. Neu in der aktuellen Situation ist aber, dass Bundestagsabgeordnete wie Stefan Liebich, Jan Korte oder auch Landtagsabgeordnete wie Klaus Lederer und Katharina König deutlich gemacht haben, dass die Partei ein Problem mit antizionistischem Antisemitismus hat. Das ist bedeutsamer als jede Pressmitteilung des BAK Shalom. Aber zugleich wäre diese Position nicht denkbar ohne die beständigen Interventionen des BAK Shalom in den vergangenen Jahre.
Diese Funktion wird der BAK auch in Zukunft behalten. Für die Linkspartei wird die Frage nach dem Verhältnis zu Israel wichtig bleiben, gerade weil sie als Katalysator für andere Meinungsverschiedenheiten fungiert. Der Riss innerhalb der Partei geht tief. Nicht zufällig ist er aber in voller Heftigkeit anhand des Nahost-Konflikts aufgebrochen. Daran werden sich eine mögliche Neuausrichtung und ein Bruch mit dem obsoleten Antiimperialismus ablesen lassen. Um glaubwürdig zu bleiben, wäre es aber das Mindeste, dass der Reformflügel der Partei nicht mehr länger schweigt, sondern die dogmatischen Antiimps kritisiert und letztlich auch aus der Partei drängt. Der BAK Shalom wird indes erst überflüssig, wenn antizionistische Positionen in der Linkspartei keinen Platz mehr haben.
Dann könnte man aufhören, über ihr Verhältnis zu Israel zu reden und sich stärker mit der Prekarisierung der Arbeitsbedingungen, den Verarmungstendenzen in der Gesellschaft oder der zunehmenden Repression gegen Transferleistungsbezieher befassen. Auf absehbare Zeit ist dies völlig utopisch, und da der Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, bedürfte es zu seiner Abschaffung einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse. Die steht aber auch nicht an. Es bleiben eben die Parteipolitik oder der Adorno-Lesekreis. Vielleicht geht ja auch beides zusammen.