Über europäische Rechtsextremisten und ihre Antwort auf das Massaker

Der Mörder ist immer der Mossad

Die Rechtsexremisten in Europa reagieren unterschiedlich auf den Terroranschlag. Auch Verschwörungstheorien kursieren.

Die Frankfurter Schule hasst der Attentäter Anders Behring Breivik ganz besonders. Sie gehört für ihn zu jenem »kulturellen Marxismus«, dessen angebliche Hegemonie in Westeuropa nach 1945 gezielt die Grundlagen der dortigen Kultur unterminiert habe. So sehen das bekanntlich auch viele andere Rechtsextreme.
Die extremen Rechten in Europa haben ihre eigenen Denkschulen – und diese haben ihre jeweiligen Strategien im Umgang mit dem Attentat in Norwegen. Im Wesentlichen sind es drei Strategien: erstens die Distanzierung, zweitens die Schuldzuweisung an die politischen Gegner sowie an die »Verantwortlichen für Masseneinwanderung und Multikulturalismus« und drittens die von Drohungen begleitete Affirmation. Hinzu kommt noch eine vierte Abwehrstrategie, jene der Verschwörungstheoretiker, die sowieso alles bestreiten, was auch immer von Medien, Antifaschisten oder Politikern über den Anschlag und seine Hintergründe verbreitet wird.

Die erste Abwehrstrategie, jene der Distanzierung von dem Massenmord in Oslo und auf Utøya, war – und es wäre unter Gesichtspunkten der Realpolitik auch kaum anders möglich gewesen – jene aller größeren rechtsextremen oder rassistischen Wahlparteien in Europa. Der Niederländer Geert Wilders etwa sprach von einem »Rückschlag« für die von ihm so bezeichnete »islamkritische Bewegung«. Die FPÖ schloss in Wien am Donnerstag voriger Woche eilends den 58jährigen Nationalratsabgeordneten Werner Königshofer aus der Partei aus, nachdem dieser den Massenmord in Oslo heruntergespielt hatte, indem er auf die »Opfer der Abtreibungsgewalt« hinwies.
Beim französischen Front National hatte es die Parteispitze schwerer. Am 24. Juli, zwei Tage nach dem Anschlag in Norwegen, publizierte sie auf ihrer Website ein anderthalb Zeilen umfassendes Kommuniqué, in welchem sie »dem ganzen norwegischen Volk« ihr »Beileid« aussprach. Natürlich verurteilte Parteichefin Marine Le Pen das Attentat und drohte präventiv allen, die ihre Partei in die Nähe des Täters oder seiner Ideen rücken würden, mit Strafanzeigen. Doch zu ihrem Pech machten ihr gleich mehrere, auch prominente Mitglieder der eigenen Partei einen Strich durch die Rechnung.
Auf der rassistischen Website »La valise ou le cercueil« etwa veröffentlichte deren Verantwortlicher Jacques Coutela mehrere Artikel, in denen der Mörder von Oslo positiv dargestellt wurde. Coutela hatte im März dieses Jahres in Burgund für den FN zu den Bezirksparlamentswahlen kandidiert. Am 23. Juli erschien Breivik auf Coutelas Website zunächst noch als Opfer, denn bei »jungen Leute, die alle Qualitäten haben« – die Rede war von Breivik –, müsse ja wegen der ganzen »Multikultipolitik« früher oder später »eine Sicherung durchbrennen«. Am folgenden Tag hieß es, Breivik sei »ein neuer Karl Martell« und »der erste Verteidiger des Abendlands«. Ferner konnte man lesen: »Andere werden ihm folgen.« Nachdem einige Stunden später auch noch der Satz hinzugefügt wurde: »Machen wir ein Idol aus ihm«, erstattete die antirassistische Organisation MRAP Strafanzeige. Der Artikel wurde aus dem Netz genommen, und FN-Generalsekretär Steeve Briois erklärte, Coutelas Mitgliedschaftsrechte seien »eingefroren«, bis die Parteiführung über einen Ausschluss entschieden habe. Doch der Schaden für die Öffentlichkeitsarbeit der Partei war bereits angerichtet.
Einige Tage später meldete sich der Parteigründer und »Ehrenpräsident« Jean-Marie Le Pen, der Vater der jetzigen Vorsitzenden, zu Wort und fügte der »Politik der Entdiabolisierung« von Marine Le Pen einmal mehr erheblichen Schaden zu. Denn der Alt-Neofaschist ist, im Unterschied zu seiner Tochter, von deren Strategie, gesellschaftliche Salonfähigkeit zu erreichen, nicht überzeugt. Rundheraus erklärte Le Pen senior deswegen, die Mordanschläge von Oslo und Utøya – die er übrigens als »Unfall eines Individuums« während eines Anflugs geistiger Umnachtung bezeichnete – seien nicht so schlimm wie die Politik der norwegischen Regierung. Deren »Naivität« sei »viel gravierender«, seien doch die Polizisten in Norwegen »unbewaffnet«.
Die Strategien der Distanzierung, der Schuldzuweisung an die andere Seite – insbesondere an den »Multikulturalismus« – und der Drohung traten also innerhalb derselben Partei in Konkurrenz miteinander. In unterschiedlicher Dosierung findet man sie auch in anderen europäischen Ländern wieder, auch über die Kreise der extremen Rechten hinaus. In Rumänien behauptete ein Senator der regierenden Liberal-demokratischen Partei (PLD), Iulian Urban, »nicht Breivik« sei an dem Massenmord schuld, »sondern die aktuellen Anführer der Europäischen Union«, nämlich wegen des »aufgezwungenen Multikulturalismus«.
Die vierte Variante der Reaktion auf die Ereignisse von Oslo ist bei Rechtsextremisten ebenfalls sehr beliebt: die Verbreitung von Verschwörungstheorien. In Frankreich war dabei der Hinweis darauf, dass der Attentäter »in Wirklichkeit Freimaurer« gewesen sei, ein besonders beliebtes Argument. Es wurde quer durch alle Strömungen der ideologisch sehr zerklüfteten rassistischen Rechten verbreitet und fand sich auf antisemitischen Websites ebenso wieder wie bei ultrarechten Anhängern Israels, die den Staat als »Frontstaat des Abendlands gegen den Islam« sehen. Als Erster brachte der frühere Vizepräsident des FN, Bruno Gollnisch, das Argument in die Öffentlichkeit. In einer Pressemitteilung vom 23. Juli schrieb er, Breivik könne, anders als fälschlich behauptet werde, gar kein »christlicher Fundamentalist« sein. Schließlich sei er doch »Freimaurer«. Tatsächlich zeigt eine der drei Aufnahmen, die Breivik in dem von ihm publizierten zwölfminütigen Video zeigen, den 32jährigen in der Kluft einer Freimaurerloge. Dafür gibt es jedoch einen Grund: Den jungen Mann, der von der Gründung einer Sekte von »Tempelrittern« und Kreuzzüglern träumte, faszinierte jede Art von Geheimgesellschaften.

Doch Verschwörungstheorien gibt es nicht nur in Frankreich. Auf einer regionalen Website der deutschen NPD schreibt der sogenannte Wirtschaftsexperte der Partei, Per Lennart Aae, unter der Überschrift »Die Botschaft eines inszenierten Massenmordes« unter anderem: »Dieses Erfolgsrezept kennen wir nur zu gut, nicht zuletzt hier in Deutschland. Ob Bologna-, Oktoberfestattentat u.s.w. – Verbrechen, die niemals aufgeklärt wurden und unverkennbar die Handschrift von Geheimdiensten tragen – oder die vielen milieu-, alkohol- oder sonstwie umstandsbedingten Schlägereien oder Übergriffe (…), die Handschrift der ›intelligence agencies‹ staatlicher oder überstaatlicher Provenienz ist so gut wie immer deutlich erkennbar, wenn man sie nur erkennen will.«
Die Beliebtheit von Verschwörungstheorien geht weit über die extreme Rechte hinaus. Die altstalinistische Website Canempechepasnicolas von Jean Lévy in Frankreich oder die Rote Fahne, eine rotbraune Querfrontpublikation, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen früheren Zeitung der KPD, behaupten beide, der Mossad stecke hinter dem Attentat, weil die norwegischen Jungsozialisten am Vortag des Massenmords über Wirtschaftssanktionen gegen Israel zur Durchsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung diskutiert hatten. Auch der deutsche Kopp-Verlag und der notorische Verschwörungstheoretiker Gerhard Wisnewski orakeln, das Attentat könne eine »mögliche Bestrafung Norwegens wegen seiner Haltung im Libyen-Krieg und in der Palästina- und Israel-Frage« sein.