Über die Proteste im Senegal

Feuer und Flamme für Karim

Der Plan des senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade, seinen unpopulären Sohn Karim zum Nachfolger zu machen, hat heftige Proteste ausgelöst.

Zumindest ein Senegalese wird die französischen Soldaten vermissen. Dass am Sonntag 900 von bislang 1 200 ständig im Senegal stationierten Soldaten der ehemaligen Kolonialmacht abzogen, gilt allgemein als Stärkung der nationalen Souveränität. Die französische Armee ist seit mehr als 200 Jahren in dem westafrikanischen Land präsent. Doch seit Montag unterhält Frankreich nur noch zwei große Militärbasen auf dem afrikanischen Kontinent, eine in Gabun an der Atlantikküste und eine in Djibouti am Horn von Afrika. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar bleibt nur eine »Operationsplattform«, ähnlich wie im zentralafrikanischen Tschad, eine Versorgungs- und Transportbasis, die einen schnellen Truppeneinsatz in 15 Ländern der Region ermöglicht.
Um ihren Abschied zu feiern, führte die französische Armee am 10. Juni ein Licht- und Tonspektakel in Dakar auf. Dem Publikum wurden Bilder von den beiden wichtigsten Einsätzen in der Region gezeigt, die von Dakar aus gestartet wurden. In den Jahren 1977 und 1978 hielt die französische Armee die Offensive der Befreiungsbewegung der Westsahara (Polisario) auf, die gegen die Besetzung der früheren spanischen Kolonie durch das Königreich Marokko kämpfte. Andere Bilder präsentierten die französische Intervention in der Côte d’Ivoire, die Opération Licorne.
Einen MilitäreinsatzFrankreichs hätte jedoch auch im Senegal selbst stattfinden können, wenn man den Wunsch des senegalesischen Präsidentensohns Karim Wade erfüllt hätte. Der 85jährige Abdoulaye Wade, der das Land seit dem Jahr 2000 regiert, machte seinen Sohn zum »Superminister« für Energieversorgung, Transport, Infrastruktur, Luftverkehr und »internationale Zusammenarbeit«. Diesem werden auch Ambitionen nachgesagt, die Nachfolge seines Vaters im Präsidentenamt anzutreten. Allerdings scheint der ehrgeizige Karim Wade es nicht zu schaffen, seinen Aufgaben zur Zufriedenheit der Bevölkerung nachzukommen. Sehr viele Senegalesen halten ihn schlicht für unfähig, Mitte Juni kündigten Oppositionsgruppen Proteste gegen die Pläne an, Karim Wade zum Nachfolger seines Vaters zu machen.

Am 27. Juni brachen heftige Unruhen in Dakar und in der Küstenstadt Mbour aus, die Demons­tranten protestierten gegen die häufigen Stromabschaltungen. Die nationale Elektrizitätsgesellschaft Senelec gilt als korrupt, die Investitionen in die Instandhaltung des Stromnetzes sind zu gering. Seit dem Frühjahr häuften sich die mitunter zwei Tage andauernden Notabschaltungen zur délestage (Netzentlastung). An jenem 27. Juni zogen Tausende wütender Menschen los und zündeten Büros, Fahrzeuge und Computer von Senelec an, auch Unterlagen für Stromrechnungen verbrannten. In mehreren Stadtteilen von Dakar brannten Niederlassungen der Elektrizitätsgesellschaft und auch öffentliche Gebäude.
Verantwortlich für Senelec ist Karim Wade, dem offenkundig äußerst mulmig zumute war. Er bat die französische Regierung, ihre Soldaten gegen die Protestierenden einzusetzen: »Da sind Tausende von Demonstranten, man weiß nie, es könnten französische Interessen berührt werden.« Mit diesen Worten, so berichtete der Anwalt Robert Bourgi, der als einflussreicher Vermittler zwischen Frankreich und dem Senegal gilt, habe Wade ihn um Fürsprache gebeten. Bourgi lehnte ab, die französischen Soldaten blieben auf ihrer Basis. Die Zeiten, in denen ein Eingreifen französischer Truppen zugunsten verbündeter afrikanischer Regierungen selbstverständlich war, sind vorbei. Stattdessen marschierten senega­lesische Soldaten am 28. Juni vor den öffentlichen Gebäuden auf.
Bereits am 23. Juni, vier Tage vor den »Stromrevolten« war es in Dakar zu heftigen Zusammenstößen zwischen Tausenden von Demonstranten und der Polizei gekommen. Mehr als 100 Menschen, unter ihnen auch 13 Polizisten, wurden bei den Protesten vor dem Sitz der Nationalversammlung verletzt, mehrere Parteigebäude der Regierungspartei PDS gingen in Flammen auf. Alioune Tine, der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Afrikanisches Treffen für Menschenrechte (Raddho) und einer der wichtigsten Kritiker des Präsidenten, wurde, mutmaßlich von gedungenen Schlägern, in seinem Auto angegriffen. Er musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Im Parlament berieten die Abgeordneten am 23. Juni über den eine Woche zuvor im Kabinett angenommenen Entwurf für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten den Weg zum nächsten Wahlsieg wie auch zur Machtübergabe an seinen Sohn ebnen sollte. Bei den für Februar 2012 geplanten Wahlen hätten dem führenden Kandidaten im ersten Wahlgang 25 Prozent der abgegebenen Stimmen ausgereicht, um Präsident zu werden. Es hätte dann genügt, mit In­trigen und finanziellen Zuwendungen dafür zu sorgen, dass sich die Oppositionellen nicht auf einen Kandidaten einigen können.
Überdies sollte der Kandidat ein »Ticket« mit einem »Vizepräsidenten« bilden und diesem im Laufe der Amtsperiode das Mandat übertragen können, ohne dass Neuwahlen erforderlich wären. Die meisten Senegalesen glaubten, dass der greise Abdoulaye Wade beabsichtige, seinem Sohn Karim im Lauf der Amtszeit die Macht zu übergeben. Mit einer Mehrheit kann der unpopuläre Präsidentensohn wohl nicht rechnen, bei den Kommunalwahlen im Jahr 2009 erlitt er in der Hauptstadt Dakar eine vernichtende Niederlage. Dann wurde er im Oktober 2010 zum »Superminister« erhoben, doch hat seine bisherige Leistung seine Popularität nicht gesteigert.
Sogar in der Regierungspartei gab es Kritik an der geplanten Verfassungsänderung, auf den Straßen kam es zu heftigen Protesten mit dem Slogan »Touche pas à ma constitution« (Rühr meine Verfassung nicht an). Noch am 23. Juni, während der Beratungen über die Verfassungs­reform im Parlament, sah Präsident Wade sich gezwungen, seine Pläne aufzugeben. Seine Regierung ist nun geschwächt, die Opposition hat neuen Auftrieb, einschließlich der Sozialistischen Partei, die vor 2000 unter Präsident Abdou Diouf autokratisch regierte. Damals galt Wade als Repräsentant des demokratischen Wandels, nun wird ihm ein autoritärer Regierungsstil vorgeworfen und die Sozialisten hoffen auf ein Comeback.

Es gibt im Senegal jedoch auch eine soziale Opposition aus der »Zivilgesellschaft«, die sich nicht durch solche Parteien repräsentiert fühlt. Sehr populär unter diesen Protestierenden ist das Rapperkollektiv »Y en a marre« (etwa: Das Maß ist voll). Am Montag vergangener Woche wurde ­einer der Gründer des Kollektivs, der Rapsänger Thiat, mit bürgerlichem Namen Cyrill Touré, von der Polizei festgenommen. Nachdem er ohne Nennung eines Grundes bei der Kriminalpolizei vorgeladen worden war, hielt diese ihn fest und verhörte ihn zu den angeblich von ihm verübten Delikten der »Präsidentenbeleidigung« und »öffentlichen Beleidigung«. Die Anhänger des Kollektivs belagerten daraufhin jedoch das Polizeigebäude und schafften Matratzen herbei, um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, dort Tag und Nacht zu bleiben. Einen Tag später wurde Thiat wieder freigelassen.
Am Wochenende zuvor hatten sowohl die Oppositionellen als auch die Anhänger des Präsidenten demonstriert. Wade ließ Hunderttausende, unter ihnen viele bezahlte Claqueure, mit Bussen aus den entlegensten Landesteilen nach Dakar schaffen. So gelang ihm noch einmal eine Demonstration der Stärke. Die nun in der Bewegung des 23. Juni vereinte Opoosition fordert hingegen, dass Wade auf eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2012 verzichtet.