Neue Psychotests beim Jobcenter

Psycho-Parcours im Jobcenter

Die Bundesagentur für Arbeit plant ein neues Betreuungsprogramm für Arbeitslose. Künftig sollen Fallmanager in Zusammenarbeit mit Psychologen nach bisher unentdeckten Talenten Ausschau halten.

Der Hinweis klingt bedrohlich. Es sei noch nicht entschieden, ob es im Fall einer bundesweiten Einführung des Programms bei der Freiwilligkeit bleibe, teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit. Das Programm trägt den sperrigen Namen »Kompetenzdiagnostik«, in den Medien wurde hingegen die wesentlich treffendere Bezeichnung »Psychotest« bevorzugt. »Wir wollen künftig stärker auf die Stärken als auf die Schwächen unserer Kunden schauen«, sagte Markus Schmitz, Geschäftsführer bei der Bundesarbeitsagentur, in der vorigen Woche der Süddeutschen Zeitung. Die BA plant ein neues Betreuungsprogramm, durch das Arbeitslose lernen sollen, sich besser zu vermarkten.

Die »Kompetenzdiagnostik« soll von Hartz-IV-Beziehern und den Empfängern von ALG I genutzt werden. Das neue Programm besteht aus mehreren »Angeboten« der BA, beispielsweise einem Fragebogen, dessen Beantwortung Aufschluss über das Sozialverhalten der Arbeitslosen geben soll. »Wenn ich der Meinung bin, dass ich recht habe, fällt es mir schwer, mich der Teamentscheidung unterzuordnen«, ist eine der insgesamt 102 Fragen, der Befragte kann auf einer Skala von eins bis fünf »überhaupt nicht«, »teilweise« oder »voll und ganz« zustimmen. Neben einer Einschätzung der Bereitschaft, sich unterzuordnen, interessiert sich die BA auch für die Belastbarkeit der Arbeitslosen. »Bei schwierigen Kunden muss ich mich anstrengen, nicht die Geduld zu verlieren«, lautet eine andere Frage des umfangreichen Katalogs. In einem weiteren Test für die »Kompetenzdiagnose« wird die Fähigkeit geprüft, Probleme zu erfassen und zu lösen. In Form eines Intelligenztests wird die Auffassungsgabe des Teilnehmers erfasst. (vgl. Jungle World 22/11)
Fügsamkeit, Belastbarkeit und Strategien zur Problembewältigung sind nach Ansicht der BA anscheinend »Kompetenzen«, die für einen Arbeitsplatz auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt eine unabdingbare Voraussetzung sind. Angesichts der Studien, die von Krankenkassen veröffentlicht wurden, liegt sie mit dieser Einschätzung leider nicht ganz falsch. Mittlerweile leidet hierzulande jeder fünfte Arbeitnehmer wegen zu hoher Anforderungen am Arbeitsplatz an psychischen ­Erkrankungen. Zu diesem Ergebnis gelangte eine Studie der Techniker Krankenkasse, die Ende Januar vorgelegt wurde. Vor zwei Wochen präsentierte die Krankenkasse KKH eine Untersuchung, derzufolge innerhalb der ersten sechs Monate dieses Jahres bei 14,3 Prozent der Krankschreibungen von den Ärzten als Diagnose ein Burnout-Syndrom oder eine Depression angegeben wurde. In der vorigen Woche legte die Barmer GEK ihren großen Krankenhaus-Report vor, in dem ein dramatischer Anstieg von stationären Behandlungen wegen psychischer Erkrankungen verzeichnet wird. Die Zahl der Betroffenen ist innerhalb von 20 Jahren um 129 Prozent gestiegen.

Bei der »Kompetenzdiagnostik« arbeitet die BA eng mit ihrem Psychologischen Dienst zusammen. Nachdem die Arbeitslosen den Fragebogen und die Überprüfung ihrer Auffassungsgabe absolviert haben, erwartet sie als weiteres »Angebot« ein Interview mit einem Psychologen der BA. Nach diesem Gespräch wird den Jobsuchenden als Highlight eine Visite in einem Assessment-Center in Aussicht gestellt. Dieses Auswahlverfahren erfreut sich bei zahlreichen Unternehmen wachsender Beliebtheit, in Bewerbungsratgebern wird es häufig mit erläuternden Zusätzen wie »Trainingslager«, »Terror-Test« oder »Psycho-Parcours« versehen. Die Bewerber sollen im Assessment-Center zeigen, wie sie in unterschiedlichen Situationen reagieren und mit Druck und Belastung umgehen. Anders als im Vorstellungsgespräch werden sie dort in Gruppen geprüft, um ihre Team- und zugleich ihre Konkurrenzfähigkeit unter Beweis zu stellen. Im Assessment-Center kann der Arbeitslose »praxisnah« erleben, wie es um die Erfolgsaussichten seiner vorherigen Trainingseinheiten bestellt ist. Abschließend werden sämtliche Ergebnisse des Fragebogens, des Tests der Auffassungsgabe, des psychologischen Gesprächs und der Performance im Assessment-Center vom Psychologen und dem Fallmanager, der den Arbeitslosen betreut, gemeinsam ausgewertet. Das Ergebnis nennt sich dann »Kompetenzdiagnose«.

Derzeit wird das neue Betreuungsverfahren in Augsburg, Hagen und Merseburg getestet, Schmitz glaubt, schon jetzt von einem Erfolg der »Kompetenzdiagnostik« sprechen zu können. Die Reaktionen der Jobsuchenden, die »freiwillig« am »Probelauf« teilnahmen, zeigten, dass das Verfahren die Arbeitslosen ganz neu motiviere. »Arbeitslose können künftig bei sich selbst auf Talentsuche gehen. Der Vermittler und unser psychologischer Dienst helfen ihm dabei«, sagte Schmitz der Süddeutschen Zeitung. Der SZ-Autor, dessen Artikel euphorisch »Zeigen, was man kann« betitelt war, jubelte, dass 2012 eine »Kulturrevo­lution« in den Arbeitsagenturen und Jobcentern eingeläutet werde. Datenschutzrechtliche Bedenken und die Fragwürdigkeit dieser »Kultur der Bewertung« schienen seine Begeisterung nicht zu stören. In der Welt, in Focus und auf Spiegel Online kommentierte man die Pläne der BA zwar nüchterner, aber auch dort hegte man keinerlei Bedenken, ob mit dem Psycho-Coaching ein Psychologe der BA und ein Fallmanager des Jobcenters betraut werden sollen. Aussuchen kann sich der Arbeitslose seine »Helfer« bei der »Talentsuche« nicht, sie werden ihm von der Behörde zugeteilt.
Wilhelm Adamy, der als Arbeitsmarktexperte für den DGB im Verwaltungsrat der BA sitzt, findet es zwar generell sinnvoll, dass sich die BA auf die Kompetenzen und Talente der Jobsuchenden konzentrieren möchte, aber im Gespräch mit der Berliner Zeitung äußerte er Bedenken, dass mit der »Kompetenzdiagnostik« eine »Selektion« einhergehen könne. Wenn beispielsweise die Tester zu der Einschätzung gelangten, dass ein Arbeitsloser eine Fortbildung nicht durchhalten würde, dürfe man ihn nicht fallen lassen. Der Modellversuch in den drei genannten Städten soll noch bis Herbst fortgesetzt werden, danach wird der Verwaltungsrat der BA entscheiden, ob das neue Betreuungsprogramm bundesweit eingeführt wird.
Schmitz sagte der SZ, mit ihren Plänen für die »Kompetenzdiagnostik« habe die BA auf Veränderungen des Arbeitsmarktes reagiert. »Die große Zertifikats-Gläubigkeit geht zurück, zumal die in der beruflichen Ausbildung erworbenen Fachkenntnisse schnell veralten können«, beschreibt er diesen Wandel. Die stetig zunehmenden Klagen über den Mangel an Fachkräften erlauben eigentlich kaum die Schlussfolgerung, dass das Interesse an Zertifikaten seitens der Arbeitgeber nachlässt. Aber vielleicht sinkt bei der BA die Bereitschaft, Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren, schließlich entstehen während des derzeitigen »Aufschwungs« vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Es sei entscheidend, angesichts eines steigenden Fachkräftebedarfs und der wichtiger werdenden Schlüsselqualifikationen »die Ressourcen der Kunden bestmöglich zu erkennen und zu fördern«, teilte die BA mit. Mit einer von Psychologen und Fallmanagern zertifizierten Belastbarkeitsressource könnten Arbeitslose zumindest eine Chance haben, die Posten von Burnout-Kandidaten zu ergattern, die ihren Dienst quittieren mussten.