Sharia statt Shisha

»Wo kommen die bloß alle her?« Fassungslos steht eine Gruppe ägyptischer Aktivistinnen und Aktivisten am Rande des Tahrir-Platzes. Eigentlich wollen sie zum Camp in der Mitte des Platzes, um Freunde zu treffen, doch es ist kein Durchkommen: Schon in den Straßen rund um den Tahrir-Platz strömen Gruppen von Männern in langen Gewändern, viele die Kappe der Salafisten auf dem Kopf, in Richtung Platz. Auf dem Platz selbst drängen sich die Männer dicht an dicht, Frauen sind nirgends zu sehen. Einige drehen die Gebetskette zwischen den Fingern, lesen im Koran. »Ich danke Gott, dass ich das erleben darf!« sagt ein junger Mann. »Nie habe ich mit so vielen Brüdern gemeinsam gebetet, ich danke Gott!«
Die radikal-islamischen Gruppen der Muslimbrüder, der Salafisten und der al-Gamaa al-Islamiyya hielten sich vom Tahrir-Platz fern, seit im Mai das Bündnis mit den jungen Protestierenden zerbrach. Nun wollten sie für einen »Freitag der Einheit« auf den Platz zurückkehren. Doch von Einheit ist nichts zu sehen. Aus dem ganzen Land haben vor allem die Salafisten ihre Anhänger nach Kairo gekarrt, sie wollen Stärke zeigen. An die Abmachungen, keine religiösen oder kontroversen Parolen zu rufen, hält sich schon am Morgen niemand mehr. »Einen islamischen Staat!« beginnen Rufe. »Wir verlangen das islamische Recht!« Und sie preisen in Rufen das herrschende Militär – eine Provokation für die säkularen Gruppen, die seit Wochen auf dem Platz gegen eben dieses demonstrieren. Die Aktivistinnen und Aktivisten geben auf und lassen sich in einem Straßencafé einige Straßen weiter auf die Stühle fallen. »Sitzt besser drinnen heute«, sagt der Kellner und schaut zu den Gruppen von Salafisten, die auf der anderen Straßenseite vorbeiziehen. »Vorhin kam schon einer und meinte: Wie könnt ihr hier Shisha anbieten, wisst ihr nicht, dass das Sünde ist?« Die säkularen Protestierenden in der Mitte des Platzes haben sich in ihrem Camp verschanzt und twittern: »Das ist unser Platz! Wir lassen uns den nicht wegnehmen!«