Kritisiert die deutsche und europäische Politik gegenüber dem »arabischen Frühling«

Stammeln und lavieren

Als sei in der arabischen Welt nichts geschehen, halten Deutschland und die EU an ihrer vermeintlichen Stabilisierungspolitik fest.

Längst vergangen sind die Zeiten, als Deutschland sich noch bevorzugt als Mentor »menschenrechtsorientierter Außenpolitik« und der »Konfliktprävention« präsentierte. Werden Panzer an die klerikalautokratischen Saudis geliefert, geschieht dies zur Erhaltung der Stabilität und soll dem »nationalen Interesse« dienen, also der Exportbilanz ebenso wie einem vermeintlich geostrategischen Kalkül.
Wenn Matthias Weiter, ehemaliger Beamter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die jahrelange deutsche Unterstützung des syrischen Diktators als kluge Politik verteidigt, weil Bashar al-Assad die Region stabilisiere und damit auch in deutschem Interesse handele, ist das wenigstens ehrlich. Schließlich hatte selbst die Stiftung Wissenschaft und Politik, der wichtigste deutsche außenpolitische Think Tank, diesen Kurs gepredigt.
Wie man feststellen musste, ist es mit der Stabilität von abgehalfterten Diktaturen im Nahen Osten nicht sonderlich weit her. Das brachte die Strategen in Berlin dann doch ein wenig durch­einander. Empört sei er, stammelte etwa Außenminister Guido Westerwelle angesichts der jüngsten Massaker des bis vor kurzem von ihm hofierten syrischen Diktators, den er einmal mehr aufforderte, die Gewalt einzustellen. Doch was, außer weiteren halbherzigen Sanktionen, hat Assad von Deutschland oder der EU zu befürchten? Schließlich ist die ganze Region in Aufruhr. Der Jemen, immerhin ein »Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit«, könnte sich endgültig in einen failed state verwandeln. Ägypten droht nicht nur ein wirtschaftlicher Kollaps, die Konflikte zwischen dem regierenden Militär, den Islamisten und den anderen Kräften der Opposition verschärfen sich täglich. Die UN sucht per Haftbefehl Mitglieder der libanesischen Hizbollah, deren Schutzpatron, der Iran, weiter an seinem Atomprogramm arbeitet und terroristische Organisationen in der Region unterstützt.
Es entsteht der Eindruck, all dies geschehe nicht in der Nachbarschaft Europas, sondern irgendwo auf einem exotischen Eiland im fernen Pazifik. Die Floskeln deutscher Politiker klingen bestenfalls wie Pflichtübungen, die Angelegenheit »arabischer Frühling« wird an Stiftungen und NGO delegiert. Vergeblich sucht man eine Strategie, wie in den kommenden Jahren die Demokratisierung in der Region unterstützt werden könnte.
Dabei geht es, jenseits aller Moral, um Fragen, die für die europäische Ökonomie von existentieller Bedeutung sind: Wer kontrolliert den Golf von Aden, den Suez-Kanal und die Ölquellen? Es würde das politische Establishment Europas in eine beispiellose Krise stürzen, kämen Millionen junger Ägypter, Syrer und Libyer zu dem Schluss, eine Zukunft für sie gäbe es nur nördlich des Mittelmeers. Schon ein paar tausend Flüchtlinge aus Tunesien gelten der EU als kaum mehr zu meisternde Herausforderung.
Während man in Deutschland plan- und hilflos herumlaviert, verfolgen andere in der Region, allen voran Iran und Saudi-Arabien, ungehindert ihre eigenen außenpolitischen Ziele. Mit Geld, Personal und Waffen unterstützen sie radikale Islamisten. Mit denen kann Deutschland dann einen Dialog führen.