Proteste in den Niederlanden gegen Kulturkürzungen

Unsichtbare Kunst

Dem niederländischen Kultursektor stehen drastische Kürzungen bevor. Die Kunstszene politisiert sich und kündigt weitere Proteste an.

Halbe Zijlstra mag die härtere Gangart. Der niederländische Staatssekretär für Bildung, Kultur und Wissenschaft entspannt sich nach der Arbeit gerne zu den Klängen von Metallica. Ob Stücke wie »No remorse« oder »Seek and destroy« ihn zu den anstehenden drastischen Einsparungen im Kulturbereich inspirierten, ist nicht bekannt. 200 von 900 Millionen Euro des Jahresbudgets sollen gestrichen und die staatlichen Fonds für Bildende Kunst und Bühnenkunst beschnitten werden, überdies soll die Zahl der subventionierten Projekte stark reduziert werden. Die Mehrwertsteuer für beide Bereiche wurde bereits von sechs auf 19 Prozent erhöht.
Damit steht die Existenz vieler kleiner und mittlerer Theater-, Tanz- und Musikgruppen auf dem Spiel. Weitgehend verschont bleiben Prestigeprojekte wie bedeutende Museen, die Niederländische Oper oder das Nationalballett. Die Empfehlung des Kulturrats, eines gesetzlichen Beratungsorgans der Regierung, die Einschnitte ausgewogener zu gestalten, wies Zijlstra, der einen »Kulturumschwung in der Kultur« fordert, zurück. Dass er, wie seine Kritiker behaupten, ohnehin wenig kulturaffin ist, hält er sogar für einen Vorteil. Dis­tanz zum Objekt, erläuterte er, erleich­tere die Kürzungen.

Allerdings geht Zijlstra nur auf dem Weg voran, den ihm andere bereitet haben. Schon im Koalitionsvertrag einigte sich seine wirtschaftsliberale Partei VVD mit den Christdemokraten unter Duldung der Rechtspopulisten auf die Einsparung von 200 Millionen Euro, die, entgegen der Planung, schon von 2013 an voll zu Buche schlagen soll. Seither verteidigt die Minderheitsregierung ihr Vorhaben mit einer Vehemenz, die darauf schließen lässt, dass sie vorhat, im Kulturbereich ein Exempel zu statuieren. Gibt sie hier nach, beginnt ihr 18 Milliarden Euro umfassendes Sparprogramm auch an anderen Stellen zu wackeln.
In den vergangenen Monaten regte sich zunehmend Protest gegen die Sparmaßnahmen. Knapp 10 000 Menschen nahmen Ende Juni an einer nächtlichen Wanderung von Rotterdam ins 25 Kilometer entfernte Den Haag unter dem Motto »Marsch der Zivilisiertheit« teil. Am Vortag war das renommierte Boijmans van Beuningen Mu­seum in Rotterdam besetzt worden. »Wenn die Politik unsere Kultur verdünnt und in den Abfluss laufen lässt, müssen wir politisch werden«, forderte Jos Houwelings, Direktor des Grafik­instituts Sandberg bei der Museumsbesetzung. Hinter der Aktion stand eine Initiative bildender Künstler, die unter dem Namen »Schuilen in het Rijks« (Schutz suchen im Reichsmuseum) im Februar das Amsterdamer Rijksmuseum »besetzte«, indem sie die Höchstzahl zulässiger Besucher dazu mobilisierte, sich früh morgens vor dem Museum einzufinden und den Rest des Tages zu bleiben.
Zur Vorstellung des Regierungshaushalts im September rufen Künstler zur »größten Demo nach dem Krieg« in Den Haag auf. »Es wird weniger freundlich. Auf unsere Argumente hört man nicht. Dadurch entsteht eine Stimmung, dass wir nichts mehr zu verlieren haben«, erklärt Eric Jan van de Geer, Mitinitiator von »Schuilen in het Rijks«, den Wandel der Proteste. Die bildenden Künstler sind auch frustriert, weil sie sich weder durch die bedeutenden Gewerkschaften noch medial ausreichend repräsentiert sehen. »Der Kampf ist ideologischer geworden«, resümiert van de Geer.
Das meint auch Hartmut Wilkening, Bild­hauer in Amsterdam. In den vergangenen Monaten beobachtete er, dass in der Szene, die zuvor aus kleinen Grüppchen bestand, das Bewusstsein eines gemeinsamen Interesses wächst. Im Juni ergriff Wilkening die Initiative und umhüllte einige Skulpturen, die er im Auftrag der Stadt entworfen hatte, mit schwarzer Folie, auf denen ein weißes »X« prangte. Mit diesem Symbol wurden in den vergangenen Wochen auch in ­anderen Städten Objekte verborgen, »um dem ­Publikum sichtbar zu machen, was bald verschwindet«.