Über den Begriff »Islamophobie«

Das Ding beim Namen nennen

Es gibt ein spezifisches religiös und kulturell definiertes Ressentiment, für das der Begriff Islamophobie zutreffend ist.

Sie sind eine Waffe des kleinen Mannes, sind Ideologiekritik auf Knigge-Niveau und Ausdruck einer halb trotzigen, halb neurotischen Realitätsverweigerung: die politischen Gänsefüßchen; zuweilen ergänzt um das ebenso verunglimpfende wie hilflose Adjektiv »sogenannt«.
Legion sind die Anführungsstriche, in die man in den Publikationen des Springer-Verlags die DDR jahrzehntelang zwängte. Springers Gänsefüßchen fielen gerade noch rechtzeitig vor der Ber­liner Mauer, aber noch heute hat jedes Tierchen sein Pläsierchen: der sogenannte Klimawandel, der sogenannte Stalinismus, die sogenannte Stadt Kaliningrad, der sogenannte Staat Israel, die sogenannten Christdemokraten, die sogenannte Partei Die Linke, der sogenannte Fortschritt, der sogenannte Frauenfußball.

Nun muss man natürlich nicht jeden Propagandabegriff und jeden Euphemismus übernehmen; es gibt gute Gründe, statt Marktwirtschaft Kapitalismus zu sagen, statt Entsorgungspark Müllhalde und statt Kristallnacht Pogromnacht. Wer aber allgemein gebräuchliche und halbwegs verständliche Begriffe in Gänsefüßchen setzt, offenbart nicht nur stilistisches Unvermögen, sondern auch fetischistisches Denken: Da gibt es etwas, das mir so gar nicht in den Kram passt. Weil ich es aber nicht beseitigen kann, verweigere ich ihm performativ die Anerkennung und schaffe es dadurch aus der Welt; wenigstens ein bisschen, wenigstens aus meiner Welt.
Freilich sind es nicht immer ideologische Gründe, die zu einer Politik der Gänsefüßchen führen. So beim Begriff Ehrenmord, den manche ablehnen, weil er einer schändliche Tat noch etwas Achtbares zubillige oder diese sogar rechtfertige. Man mag den Ehrenkodex für krank, archaisch oder bekloppt halten, aus dem heraus jemand seine Tochter, Schwester oder (selbst wenn diese Fälle oft komplizierter sein mögen) seine Ehefrau umbringt. Den Verweis auf das Motiv (die Ehre) zu tilgen aber bedeutet, das Besondere dieser Tat zu verwischen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Islamophobie. Lassen wir das Argument beiseite, das selbst dann keines wäre, wenn die ihm zugrunde liegende Behauptung zuträfe – die Behauptung nämlich, Ayatollah Khomeini habe das Wort erfunden –, dann sind es im Wesentlichen zwei Argumente, die den Begriff Islamophobie zum Gegenstand einer Politik der Gänsefüßchen werden lassen: Er sei ein Kampfbegriff, der interessierten Kreise dazu diene, Kritik abzuwehren und/oder den Antisemitismus zu relativieren.
Beide Argumente sind richtig. Und beide brauchen an dieser Stelle, wir sind ja hier unter uns, nicht entkräftet zu werden. (Preaching to converted ist langweilig.) Wichtiger ist etwas anderes: Beide Argumente richten sich gegen eine bestimmte Verwendung des Begriffs, sagen aber nichts darüber, ob der verhandelte Sachverhalt überhaupt existiert.
Noch vor ein paar Jahren sahen die meisten derer, die den Begriff Islamophobie ablehnten, stets nur »ordinären Rassismus« walten, wo ein spezifisches Ressentiment gegen Muslime am Werk war. Seit die Islamkritik zu einem Volkssport im Internet geworden ist und sich in etlichen Onlineforen ein ebenso blankes wie spezifisches Ressentiment auskotzt, räumen viele Gegner des Begriffs Islamophobie ein, dass den Muslimen eine besondere – hm, tja, äh … Feindschaft – zuteil wird.

Wenn es aber dieses spezifische Ressentiment gibt, das sich nicht nur gegen Muslime richtet, sondern alle, die aus muslimischen Ländern stammen, unter Erklärungszwang setzt; wenn dieses Ressentiment das Eigene und das Andere eben nicht ethnisch, sondern religiös und kulturell definiert; wenn es positive und negative Zuschreibungen säuberlich zwischen dem Eigenen und dem Anderen aufteilt; wenn es dem Anderen jede Fähigkeit zur Entwicklung abspricht; wenn es immer wieder in empirischen Untersuchungen nachgewiesen wird; wenn es schließlich Wahnvorstellungen wie die Eurabia-Theorie oder einen Anders Behring Breivik hervorgebracht hat, spricht alles dafür, dieses Ressentiment beim Namen zu nennen: Islamophobie.
Auf dieser Grundlage kann man nicht nur falsche Analogien wie jene zum Antisemitismus zurückweisen, sondern auch nach passenderen suchen; etwa nach den Ähnlichkeiten zur Katholophobie, die im 19. Jahrhundert in Preußen, Großbritannien und den USA grassierte und mit der Hannes Stein in der Welt die Islamophobie jüngst verglichen hat. Wer darauf besteht, dass die Kritik am Islam einen rationalen Kern hat, ist gut beraten, diese Kritik auch begrifflich vom Ressentiment zu unterscheiden. Wer hingegen politische Auseinandersetzungen mit Hilfe von Satzzeichen führt, hat schon verloren.