Deborah Edel im Gespräch über die Lesbian Herstory Archives in New York

»Die Definition von Frauen kann sich ändern«

Mitte der siebziger Jahre gründeten Aktivistinnen der Gay-Liberation-Bewegung in New York die Lesbian Herstory Archives, eine Mischung aus Bibliothek, Museum und politischem Zentrum. Sie sollten der Unsichtbarkeit lesbischer Kultur und dem, auch innerhalb der Gay-Bewegung, patriarchalen Blick darauf eine eigene Sichtweise entgegensetzen und lesbisches Selbstbewusstsein stärken. Zunächst befand sich das Archiv in der Wohnung von Joan Nestle, einer der Gründerinnen, in Manhattan. Anfang der neunziger Jahre wurden eigene Räume im New Yorker Stadtteil Brooklyn bezogen. Deborah Edel gehörte zu den Mitbegründerinnen der Lesbian Herstory Archives und ist heute noch dort und anderweitig politisch aktiv. Jungle World sprach mit ihr in New York.
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Wie hat sich das Archiv im Laufe der Jahre verändert?
Allgemein werden Lesben gesellschaftlich besser akzeptiert. Das hat sich auch auf das Archiv ausgewirkt. Heute braucht es länger, sich daran zu erinnern, dass wir politische Ziele haben. Wir sehen das, was wir tun, als radikal an, auch wenn es manchmal sehr traditionell und durchschnittlich erscheint. Das hängt von der Perspektive ab.
Da wir von Traditionen sprechen – die Bücher hier sind nach den Vornamen der Autorinnen sortiert, um patriarchale Strukturen zu durchbrechen.
Wir machen das aus Spaß und weil wir ein Zeichen setzen wollen. Das ist eine unserer Traditionen, aber wir haben uns im Lauf der Jahre auch verändert. Zu Beginn durften weder schwule noch heterosexuelle Männer das Archiv benutzen. Sie mussten eine Lesbe finden, die die Recherche für sie übernahm. Heute sind wir für alle offen. Das ist eine der großen Veränderungen. Aber auch schwule und heterosexuelle Männer haben sich verändert. Wenn das nicht so wäre, hätten wir womöglich noch dieselben ­Regeln.
Welchen Einfluss hat das Archiv auf die lesbische Community?
Wir sind gut vernetzt und arbeiten mit anderen Archiven und Gruppen zusammen, solange wir unsere eigene Arbeit nicht vernachlässigen müssen.
In welchem Verhältnis steht das Archiv zur Queer Community? Würden Sie den Fokus auf ein Archiv für und von Lesben aufgeben?
Nein. Wir würden diesen Anspruch niemals aufgeben, weil das Kernstück des Archivs für uns immer das altmodische Lesbenbild »Frauen, die Frauen lieben« bleiben wird. Doch die Definition von Frauen kann sich ändern. So hatte ich beispielsweise einen Briefwechsel mit einer sogenannten lesbischen Separatistin, einer der Frauen, die in den siebziger Jahren nur mit Lesben in Kontakt traten. Heute lebt sie als Mann in Kalifornien. Wir haben ihre separatistische Poesie hier im Archiv. Ich kann die zukünftige Entwicklung nicht abschätzen, aber wir bemühen uns um eine möglichst breite Perspektive. Wir hatten hier Frauen, die ehrenamtlich für das Archiv gearbeitet und sich dann durch ihre Transition zum Mann anderen Dingen zugewendet haben, weil ihre Identität sich veränderte. Aber wir haben hier manchmal auch Transfrauen, die ehrenamtlich mitarbeiten.
Solange sie eine Frau ist und Frauen liebt, darf sie hier mitarbeiten?
Transpersonen, die Männer lieben, sind willkommen, wenn sie das Archiv besuchen wollen, aber nicht, um hier zu arbeiten. Wir versuchen, unsere Grenzen möglichst offen zu halten. Alle, die sich hier wohlfühlen, sollen auch hierher kommen können.
Wurde das Archiv im Lauf der Zeit stärker wahrgenommen?
Das Archiv ist national und international sehr bekannt. Andererseits ist die Chance, an bestimmte Bücher zu kommen, heutzutage enorm gestiegen. In den siebziger und achtziger Jahren gab es nicht so viele Möglichkeiten und wir waren eine viel wichtigere Anlaufstelle für Leute, die nach einem bestimmten Buch suchten. Heute gehen alle in den Buchladen um die Ecke oder bestellen im Internet.
Wie viele Frauen arbeiten hier?
Wir haben hier 13 bis 14 Koordinatorinnen, die verantwortlich für die Organisation des Archivs sind. Und dann gibt es noch 15 bis 20 Ehrenamt­liche, die aushelfen und an einzelnen Projekten arbeiten.
Wie genau ist die Arbeit hier organisiert?
Wir treffen uns alle drei Wochen in der Koordinierungsgruppe, um anstehende Dinge zu planen. Als wir in den siebziger Jahren begannen, hatte der Selbstverständigungsprozess noch eine derart große Bedeutung, dass die Arbeit zum Erliegen kam. Die Frauen versuchten über Wochen und Monate hinweg, ihre Gefühle in der Gruppe zu klären, so dass die organisatorische Arbeit nie beginnen konnte. Also trafen wir sehr bewusst die heute noch gültige Entscheidung, den Schwerpunkt auf unsere Arbeit zu legen.
Ein zweiter wichtiger Punkt unserer Arbeit sind Konsensentscheidungen. Dass wir uns für dieses Verfahren entschieden haben, verdanken wir denjenigen unter uns, die früher Erfahrungen im politischen Aktivismus oder im Quäkertum gesammelt hatten. Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit der analytischen Betrachtung von Konsensentscheidungen. Der Senat von New York stimmte vor kurzem mit 32 zu 29 Stimmen für die gleichgeschlechtliche Ehe. Das kann für den Senat funktionieren, weil es ihm um Gesetze geht, aber wenn wir so vorgehen würden, wären 29 Leute nicht engagiert bei der Arbeit. Sie würden ihre Energie darauf verwenden, gegen die anderen zu arbeiten. Es mag zwar länger dauern, Einstimmigkeit zu erreichen, weil wir diskutieren und diskutieren und immer wieder eine dagegen ist. Aber wenn wir uns dann einig sind, ist auch jede engagiert mit dabei.
Es gibt hier eine Hausmeisterin. Wie wird sie gewählt? Aufgrund ihrer Qualifikation als ­Archivarin?
Nein, die Hausmeisterin muss verfügbar sein und sich um die Sicherheit des Hauses kümmern, nicht um die Sammlung. Wenn wir eine Klempnerin oder einen Elektriker brauchen, kümmert sich die Hausmeisterin darum. Mit der Sammlung und den Besucherinnen und Besucher hat sie nichts zu tun. Die Stelle der Hausmeisterin ist auf drei Jahre begrenzt und wird nur verlängert, wenn sich keine andere Frau für die Stelle interessiert.
Die Hausmeisterin lebt hier im Archiv. Arbeitet sie Vollzeit?
Nein, sie bekommt keine Bezahlung und wir erwarten, dass sie als Miete einen Betrag in den Spendentopf einzahlt.
Der Katalog des Archivs umfasst mehr als 11 000 Bücher von und über Lesben. Leider ist er nicht online abrufbar.
Wir arbeiten daran, den Katalog online zugänglich zu machen. Vor kurzem haben wir ein erhebliches Darlehen erhalten, durch das wir in der Lage waren, die nötige Software zu kaufen.
Warum versuchen Sie nicht, zusätzlich staatliche Gelder zu beantragen, um den Katalog schneller online zur Verfügung zu stellen oder um andere Kosten zu decken?
Das ist für uns keine Option, weil die Regierung in der Vergangenheit immer gegen uns war. Es hat so viele Jahre gedauert, die gleichgeschlechtliche Ehe in New York zu legalisieren, und New York ist weitaus liberaler als die anderen Bundesstaaten. In zwei Jahren könnte sich die Regierung wieder dagegen entscheiden. Oder sie könnte in fünf Jahren entscheiden, Lesben zu kriminalisieren. So wenig wie du der Regierung trauen kannst, so wenig kannst du Geld von ihr entgegen nehmen.
Wie viele der Gründerinnen sind noch hier?
Es gibt noch mich und Joan Nestle in Australien, die unserer Arbeit sehr eng verbunden ist.
Haben Sie Stücke im Archiv, die Sie besonders schätzen?
Oben steht eine hinreißende Origami-Figur in Form von zwei lesbischen Nonnen, die sich an den Händen halten. Und dann gibt es natürlich noch ein paar Bücher, die mir sehr gefallen.
Sie arbeiten daran, ein zweites Gebäude mit mehr Lagerraum und Platz für Ausstellungen und Veranstaltungen zur Verfügung zu haben. Wie läuft die Arbeit daran?
Das dauert noch Jahre. Wir müssen erst einmal genug Geld für die alltäglichen Ausgaben sammeln und einen soliden Kapitalstock zusammenbringen, damit wir in Zukunft auch genug haben, um den Fortbestand des Archivs zu sichern. Es ist noch ein langer Weg, aber auch ein schöner Traum.