Über Argentiniens Fußballverbandsvorsitzenden Julio Humberto Grondona

El Padrino und die wilden Kicker

In Argentiniens Fußball regiert seit 32 Jahren Julio Humberto Grondona. Noch kann er die Opposition kleinhalten.

Nationaltrainer ausgetauscht, Länderspiel abgesagt, neues Ligaformat eingeführt – in der vorigen Woche wurde der gesamte argentinische Fußball auf den Kopf gestellt. Fehlt nur, dass Diego Armando Maradona zurückgeholt wird. Aber dazu müsste wohl erst auch noch der allmächtige Verbandspräsident Julio Humberto Grondona gehen. Und das ist unwahrscheinlich.
Grondona, der im September 80 Jahre alt wird, steht seit 32 Jahren an der Spitze des Argentinischen Fußballverbandes Afa. Zudem ist er Senior-Vizepräsident der Fifa sowie Präsident der Fifa-Finanzkommission und des Fifa-Rats für TV und Marketing. Sein Name taucht außerdem immer auf, wenn es beim Weltfußballverband um Korruption und Bestechung geht. Also sehr oft.
Nur wenige Tage nach der Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar im Dezember 2010 waren Vorwürfe laut geworden, mehrere Fifa-Exekutivmitglieder, darunter Grondona, hätten Bestechungsgelder aus dem Emirat angenommen. Grondona wies damals sämtliche Anschuldigungen zurück, räumte später aber ein, dass Korruption im Weltverband möglich sei.
Aber auch in seiner Heimat sieht sich »der Pate« (el Padrino), wie ihn seine Kritiker nennen, heftigen Angriffen ausgesetzt, seit er angekündigt hat, im Oktober für seine achte Amtszeit kandidieren zu wollen. Angeführt wird die Liste der Gegner von Diego Armando Maradona, der gerade erst einen Trainerjob bei al-Wasl in Dubai angetreten hat. Hinzu kommt Daniel Vila, Medienunternehmer und Präsident von Independiente Rivadavia, einem Club seiner Herkunfts­provinz Mendoza, der in der Nacional B, der zweiten Liga, spielt. Während es Vila wohl auf den Präsidentenposten der Afa abgesehen hat, dürfte Maradona vor allem auf Revanche hoffen.
Die Angriffe gegen den allmächtigen Vorsitzenden begannen Anfang Mai, als Vila in seinem Fernsehkanal in Buenos Aires einen Spot ausstrahlte, der Grondona diskreditierte. Darin wurde ein Foto von 1979 gezeigt, dem Jahr, als Grondona an die Spitze der Afa gelangte, das ihn zusammen mit dem argentinischen Diktator Jorge Videla zeigt. Videla, der die Militärdiktatur von 1976 bis 1981 führte, wurde Ende 2010 wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Spot wirbt für ein Gesetzesprojekt, das den Clubs der Provinz im Verband mehr Gewicht zu geben soll, vor allem gegenüber den großen Vereinen aus Buenos Aires. Gerade einmal drei der 20 Vereine in der ersten Liga kamen in der abgelaufenen Saison nicht aus der Provinz Buenos Aires – Colón, Godoy Cruz und Newell’s Old Boys.
Der ewige Chef der Afa erreichte aber, dass alle Clubs der Primera División und – mit Ausnahme von Independiente Rivadavia de Mendoza – alle Clubs der Nacional B ein Dokument zur Unterstützung von Grondona unterzeichneten: Das Treffen mit Videla, heißt es da, habe rein protokollarischen Charakter gehabt, und das von Vila befürwortete Gesetz diene nur dazu, die Umwandlung der Clubs in Aktiengesellschaften zu ermöglichen.
Trotz dieser selbstorganisierten Ehrenerklärung kam der Gesetzesentwurf in den Kongress. Bei einer Anhörung im Sportausschuss Mitte Juni wurde Vila, der an der Sitzung teilnahm, beschimpft und bedroht. Er musste den Saal verlassen. Er scheiterte nicht zuletzt daran, dass Grondona und die Regierung durch ein gemeinsames Interesse am Fernsehvertrag aneinander gekettet sind: Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und Grondona hatten 2009 vereinbart, dass die Afa den Fernsehvertrag mit der Clarín-Gruppe, dem mächtigsten Medienkonzern Argentiniens, kündigt, nachdem sich die Regierung und Clarín überworfen hatten. Seither schüttet der argentinische Staat jährlich 100 Millionen Euro an die Clubs aus – im Gegenzug werden alle Ligaspiele im Free-TV gezeigt.
Das ist aber nur eine vorübergehende Lösung. Derzeit wird ein neuer millionenschwerer Fernsehvertrag ausgehandelt, der allerdings nach dem Abstieg des Traditionsclubs River Plate aus Buenos Aires weniger Geld wert ist. Deshalb wurde eine Ligareform ersonnen, die den Abstieg Rivers faktisch rückgängig gemacht hätte. Zur Spielzeit 2012/13 sollten erste und zweite Liga quasi zusammengelegt werden.
Bei der Clarín-Gruppe ist zu hören, dass diese Idee ursprünglich von Daniel Vila gekommen sei. Aber Grondona machte sich die Idee zu eigen, um seinerseits die Beziehungen zu den Clubs zu stärken. Auch die Regierung signalisierte Zustimmung. Doch die Anhänger liefen landesweit Sturm. Nun wurde die Reform erst einmal für sechs Monate auf Eis gelegt – bis nach der Wahl des Afa-Präsidenten.
Ein weiterer machtvoller Gegner von Julio Humberto Grondona ist Diego Maradona. Spätestens seit dem WM-Aus 2010 in Südafrika tragen er und der Altpräsident ihre Fehde aus, denn Grondona war die treibende Kraft bei Maradonas Entlassung als Nationaltrainer. Und Maradona verzeiht nicht. Zudem beschuldigte Maradona Grondona kürzlich, in den WM-Ausscheidungsspielen 1993 zwischen Argentinien und Australien mit der Fifa die Aussetzung der Dopingkontrollen ausgehandelt zu haben. Die Trainer hätten den Spielern »etwas in den Kaffee getan, damit wir schneller laufen«, sagt Maradona. Grondona gab mittlerweile zu, interveniert zu haben, allerdings, wie er sagt, weil er Befürchtungen hegte, was die Spieler in den europäischen Clubs so zu sich nähmen. Außerdem unterstellte Grondona, Maradona sei möglicherweise immer noch drogenabhängig. Der Superstar nannte den Präsidenten »gaga« und verklagte ihn – »wegen Verletzung meiner Würde«.
Wie der Machtkampf ausgeht, ist schwer vorherzusagen. Aber dass Maradona mit einer Einschätzung Recht hat, dafür gibt es Indizien: Als Grondona im Juli 2003 in einem Fernsehinterview gefragt wurde, warum es keine jüdischen Schiedsrichter in Argentiniens Fußball gebe, antwortete er: »Die Juden schaffen es nicht, Schiedsrichter in der ersten Liga in Argentinien zu werden, weil die Welt des Fußballs ein bisschen schwierig und arbeitsaufwendig ist. Und die Juden mögen keine schwierigen Sachen.« Das daraufhin angestrengte Verfahren gegen Grondona wurde irgendwann eingestellt; der Journalist jedoch, der das Interview geführt hatte, verlor seinen Job und arbeitete auch danach nie wieder für die Medien.