Von wegen abwarten und Tee trinken – die Tea-Party-Bewegung in den USA

Every man for himself

Für die Tea-Party-Bewegung in den USA ist die Kürzung von Sozialleistungen keine bedauerliche Notmaßnahme, sie soll der Umerziehung der Unterschichten dienen.

Wem sind die Herausgeber des Wall Street Journal verpflichtet? »Sie sind vor allem daran interessiert, denen zu helfen, die bereits sehr reich und mächtig sind.« Wie können die Militärausgaben gesenkt werden? Die »kurzfristige Lösung« ist, »unsere Truppen aus dem Irak und Afghanistan zurückzuholen«.
Das sind keine Äußerungen von Linken. Das Wall Street Journal wird von der Website Conservatives4Palin kritisiert, den Truppenabzug fordert das rechtslibertäre Cato Institute, ein der Tea-Party-Bewegung nahestehender Think Tank. Zu den Gründern des Instituts zählt Charles Koch, der gemeinsam mit seinem Bruder David, einem der wichtigsten Finanziers der Tea-Party-Bewegung, Koch Industries besitzt, das zweitgrößte Familienunternehmen der USA. Doch es wäre falsch, die Tea-Party-Bewegung als eine Verschwörung der Reichen zu betrachten.
Die Wall Street und ihr Journal propagierten den »Staatskapitalismus«, glaubt man bei Conservatives4Palin, und dieser sei »gleichbedeutend mit Faschismus«. Staatskapitalistisch sei »seit Franklin Delano Roosevelt sogar vieles in der amerikanischen Ökonomie«. Viele Anhänger der Tea-Party-Bewegung folgen dem mythologischen Ideal des Pioniers, der alles aus eigener Kraft schaffen und vom Staat nicht behelligt werden will. Sie sehen sich als Repräsentanten der »Main Street«, der Hauptstraße der Dörfer und Kleinstädte, in der sich Familienunternehmen ansiedeln, und hassen »die Wall Street« mindestens ebenso sehr wie die Linken. Es war daher tatsächlich nicht von vorneherein klar, ob eine Mehrheit im Kongress für die Anhebung der Schuldenobergrenze rechtzeitig vor der Zahlungsunfähikeit zustande kommen würde. In ihrem marktwirtschaftlichen Ex­tremismus sind viele Anhänger der Tea-Party-Bewegung so konsequent, staatliche Eingriffe zur Rettung bedrohter Banken und Unternehmen abzulehnen. Präsident George W. Bush hatte Ende 2008 erhebliche Probleme, eine ausreichende Zahl von republikanischen Kongressabgeordneten für seine »Rettungspakete« zu gewinnen. Nun wird über Staatsverschuldung und Steuern gestritten, und die kurz vor dem Ablauf der Frist am Dienstag vergangener Woche erzielte Einigung (siehe Seite 3) ist nur ein vorläufiger Kompromiss.

Aus der Sicht der meisten Konservativen und Rechtslibertären sind die beschlossenen Kürzungen erst der Anfang. Spätestens im Oktober wird der Streit erneut ausgetragen werden, und die Tea-Party-Bewegung kann ihn mit größerem Selbst­bewusstsein führen. Sie konnte zwar nicht alle ihre Ziele erreichen, aber die Grundsätze ihrer Politik durchsetzen: Gekürzt wird ohne Rücksicht auf die sozialen und ökonomischen Folgen, und Steuererhöhungen zur Steigerung der Staatseinnahmen sind vorerst ausgeschlossen.
Es erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, dass nicht nur Milliardäre wie die Kochs, sondern auch Angehörige der unteren Mittelschicht, Arbeiter und Kleinunternehmer, die die Basis der Tea-Party-Bewegung bilden, sich so halsstarrig gegen eine Steuererhöhung für die reichsten Amerikaner aussprechen. Es geht jedoch nicht nur, und für die meisten wohl nicht einmal vorrangig, um Geld. Der Kampf für den »schlanken Staat« ist ein ideologisches Programm.
Das Cato Insitute, das wohl als der renommierteste Think Tank der mit Analytikern und Theo­retikern nicht reich gesegneten Bewegung gelten kann, beruft sich auf die »Cato’s Letters«, eine in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts unter dem Pseudonym »Cato« erschienene Reihe von Essays. Die Briefe wenden sich gegen staatliche Tyrannei, zur Freiheit gehöre aber auch »das Recht jedes Mannes, (…) sein Geld selbst auszugeben, (…) für seinen eigenen Nutzen zu arbeiten und nicht für andere, die im Müßiggang leben«.
Solche Forderungen richteten sich damals gegen die Anspüche des Adels und absolutistischer Monarchen. Die Tea-Party-Bewegung hat jedoch andere »Müßiggänger« im Sinn: die Empfänger staatlicher Sozialleistungen. Kürzungen im Sozialbereich gelten nicht als bedauerliche, aber notwendige Maßnahme, mit ihrer Hilfe soll ein gesellschaftspolitisches Programm durchgesetzt werden. Denn libertär sind die Anhänger der Tea-Party-Bewegung nur, wenn es um ihre eigenen Rechte geht. Die Unterschichten sollen einem Umerziehungsprogramm unterworfen werden.

»Downsizing the Federal Government«, ein Projekt des Cato Insitute, fordert daher, »das gesamte Wohlfahrtssystem für arbeitsfähige Individuen mit geringem Einkommen zu eliminieren«. Damit soll das »Arbeitsethos« verbessert werden, man will aber auch die traditionellen Familienstrukturen wiederherstellen. »Der beste Weg zum Aufstieg für Menschen mit geringem Einkommen ist es, zu heiraten und verheiratet zu bleiben.« Ökonomischer Druck soll Alleinerziehende dazu zwingen. Die Rechte der Gewerkschaften will das Cato Institute ebenfalls weiter einschränken.
Auch die Forderung nach einem Truppenrückzug folgt im übertragenen Sinn dem Ideal des Mannes, der »für seinen eigenen Nutzen« arbeitet. Das Cato Insitute kritisiert die Bemühungen, im Ausland zum nation building beizutragen. Ein eng gefasster Begriff des »nationalen Interesses« soll die Grundlage der Außenpolitik sein. So kann auch die Forderung nach einer Kürzung der Militärausgaben zum Bestandteil eines rechten Programms werden.
Der Streit um Schulden und Steuern wird mit so großer Härte geführt, weil er für die Tea-Party-Bewegung ein culture war, ein Kampf um Werte ist. Immerhin scheint nun erstmals eine größere Zahl von Linken und Linksliberalen zu erkennen, dass change nicht ein Ergebnis der Loyalität zum Präsidenten ist. Im Repräsentantenhaus stimmten 95 Demokraten gegen den Budget Act, und die Proteste gegen gewerkschaftsfeindliche Gesetze in Wisconsin (Jungle World 9 und 11/11) zeigten, dass die Bereitschaft zu sozialen Protesten größer geworden ist.