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Wir können uns bisher nicht über unsere Nachbarschaft beschweren. Die martialischen Schreie, die die Schülerinnen und Schüler in der ein Stockwerk unter uns liegenden Kung-Fu-Schule während des Trainings ausstoßen, amüsieren uns eher, als dass sie uns stören. Die Betreiber der Teppichhandlung im Erdgeschoss begegnen uns immer mit einem Lächeln und haben die Kollegin, die neulich umgezogen ist, und den Kollegen, der seinen Proberaum der Akustik wegen mit dämmendem Material auskleiden musste, mit allerlei brauchbaren Teppichresten versorgt. Geradezu drollig ist es, wenn sich Schülerinnen und Schüler des nahegelegenen Gymnasiums in unserem Hinterhof verstecken, um sich zwischendurch die Langeweile mit Zigaretten oder Joints zu vertreiben. Und vor unserer Haustür gibt es einen kleinen Supermarkt, einen Kiosk und etliche Lokale, so dass wir rundum gut versorgt sind.
Doch diese einigermaßen erträgliche Lage in unserer näheren Umgebung wird bald aufs Empfindlichste gestört. Denn am 22. September hält nur 500 Meter von unserer Redaktion entfernt das Grauen Einzug. Es trägt einen weißen Umhang, seltsame Mützen und eine goldene Halskette mit einem ziemlich großen Kreuz daran. Wie gesagt: Bislang konnten wir uns nicht über unsere Nachbarn beschweren. Doch im September ist das vorbei. Dann kommt der Papst nach Berlin und wird für eine Nacht unser Nachbar. Er logiert in Kreuzberg, in der Apostolischen Nuntiatur, der Vertretung des Vatikans, die sich direkt vor unserer Haustür befindet. Papst Benedikt XVI. besucht die Jungle World. Darauf hätten wir gern verzichtet. Noch dazu laufen Medienberichten zufolge »die Sicherheitsvorkehrungen im Kiez auf Hochtouren«. Eine größere Anzahl an Polizisten als sonst ist uns bis jetzt nicht aufgefallen. Wir können also nur spekulieren, welche ­Sicherheitsvorkehrungen in unserer Nachbarschaft getroffen werden. Werden Kondomautomaten abgebaut? Müssen Apotheken Verhütungsmittel aus ihrem Sortiment nehmen? Dürfen im nahegelegenen Urbankrankenhaus keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorgenommen werden? Müssen die Darkrooms schließen, die sich in der angekündigten »Sperrzone« befinden? Wir werden sehen. Und Sie werden es dann von uns erfahren. Wir halten die Augen offen in unserer Nachbarschaft.