Der schwierige Arbeitskampf der deutschen Fluglotsen

Immer auf die Kleinen

Der Arbeitskampf der deutschen Fluglotsen ist ein bezeichnendes Beispiel für den Umgang von Unternehmen und Arbeitsgerichten mit kleinen Berufs- und Branchengewerkschaften. Die Deutsche Flugsicherung versucht, die Gewerkschaft der Flugsicherung zu schwächen, und wird dabei vom Frankfurter Arbeitsgericht unterstützt.

Viele Medienberichte reduzieren den geplanten Fluglotsenstreik auf einen Tarifkonflikt. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) fordert eine Tariferhöhung von 6,5 Prozent und eine Reform der im Tarifvertrag erfassten Vergütungsgruppen, da in den alten Gruppen der rasante Wandel des Berufsbildes mit seiner hohen Technisierung nicht mehr ausreichend berücksichtigt werde. Das Unternehmen Deutsche Flugsicherung (DFS) bietet 1,1 Prozent mehr Geld und von November an weitere 2,1 Prozent bei einer Laufzeit bis November 2012. Für die Jahre 2013 und 2014 schlägt sie einen Lohnzuwachs in Höhe der Inflationsrate vor. Die eigentlichen Gründe für den Konflikt sind jedoch das offensichtlich fehlende Personal und die Überstundenregelungen. Der DFS fehlen nach eigenen Angaben zurzeit 250 Fluglotsen, nachdem in den vergangenen Jahren nur wenige ausgebildet wurden. Die Gewerkschaft spricht von »einem Personalminus von 30 Prozent und mehr« an einigen Flughäfen.

Das Unternehmen habe insbesondere zwischen 2004 und 2008 die Ausbildung völlig vernachlässigt, bemängelt der GdF-Sprecher Matthias Maas. Statt 160 bis 200 jungen Menschen seien jährlich nur noch weniger als 30 ausgebildet worden. »Man wollte die Braut schlank machen für die Privatisierung«, sagt Maas. Von der Privatisierung der Flugsicherung versprach sich die damalige Bundesregierung Einnahmen von etwa einer Milliarde Euro. Interesse gezeigt hatten Fluggesellschaften wie Lufthansa, Air Berlin, der Tui-Konzern und internationale Finanzinvestoren. Nachdem der Bundestag dem Vorhaben im Frühjahr 2006 zugestimmt hatte, verweigerte allerdings der damalige Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift unter das zu diesem Zweck verabschiedete Gesetz, da Gutachter die Verfassungsmäßigkeit der Privatisierung angezweifelt hatten.
Den Personalmangel will die DFS zu Lasten der Fluglotsen durch die umfangreiche Ausweitung von Überstunden ausgleichen. Anfang 2010 einigten sich beide Seiten darauf, dass pro Lotse und Jahr 150 Überstunden geleistet werden müssen. Die Vereinbarung sollte bis 2015 gelten, doch die GdF kündigte sie Ende 2010. Daher greift im kommenden Jahr wieder die alte Regelung, die nur 80 Stunden Mehrarbeit vorsieht. Die DFS fordert nun, dass die Grenze auf 250 Überstunden angehoben wird, was die Gewerkschaft nicht akzeptiert, da sie auch die Sicherheit der Fluggäste gefährdet sieht. Viele Lotsen arbeiteten schon an der Belastungsgrenze, stellte GdF-Sprecher Maas fest. Die Forderung des Unternehmens führe zu 30 zusätzlichen Arbeitstagen im Jahr. Die Lotsen müssten dann noch häufiger als bisher sechs Tage hintereinander arbeiten und könnten anschließend nur einen Tag freinehmen. Eigentlich sind fünf Arbeitstage und drei freie Tage vorgesehen, eine Regelung, die den enormen Belastungen durch die ständig hohe Konzentration erfordernde Arbeit und der erheblichen Verantwortung der Beschäftigten für zahlreiche Menschenleben Rechnung tragen soll. Die Ausweitung der Überstunden ist der DFS derart wichtig, dass sie nicht bereit ist, über Tariffragen zu verhandeln, bevor eine Einigung in diesem Punkt erzielt ist.
Nachdem die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen worden waren, erklärte die GdF sie für gescheitert und kündigte für Donnerstag voriger Woche einen sechsstündigen Streik an, der mit großer Sicherheit beträchtliche Teile des Flugbetriebs lahmgelegt hätte – ein Druckmittel, das vor allem zur Urlaubszeit schnelle Wirkung gezeigt hätte. Anstatt aber ihrerseits die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und ein Schlichtungsverfahren anzustreben – wie es eigentlich in Arbeitskonflikten üblich ist –, verlegte die DFS sich darauf, Teile der Forderungen der Gewerkschaft als unzulässig darzustellen. So bedeute die Forderung, bestimmte Tätigkeiten nur von Angehörigen bestimmter Betriebe ausüben zu lassen, womit der Einsatz nicht ausreichend qualifizierten und erfahrenen Personals verhindert werden soll, einen zu starken Eingriff in die »unternehmerische Freiheit«. Zudem bestehe Friedenspflicht, solange das Unternehmen nicht seinerseits die Verhandlungen für gescheitert erklärt habe. Mit dieser Argumentation zog die DFS vor das Frankfurter Arbeitsgericht und bekam prompt recht. Die Gewerkschaft sagte den Streik vorläufig ab.

Es kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass die GdF sich kampflos geschlagen gibt. Im Fall eines Streiks kann die DFS entweder erneut vor Gericht ziehen oder ein Schlichtungsverfahren fordern und damit den Streik erneut verhindern, denn während des Verfahrens herrscht Friedenspflicht. In der Zwischenzeit wird versucht, über die Medien Druck auszuüben. So sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CDU), er habe »kein Verständnis« für einen Streik zur Urlaubszeit. Die Berichterstattung erweckt weitgehend den Eindruck, es handele sich um einen klassischen Tarifkonflikt, bei dem die ohnehin fürstlich verdienenden Fluglotsen die DFS erpressen und Millionen Urlauber als Geiseln nehmen würden.
Doch die GdF ist eine besondere Gewerkschaft: Sie entstand 2004 aus der Fusion der beiden Berufsverbände der Fluglotsen und der Flugsicherheitstechniker, die bis dahin ihre tariflichen Interessen in Kooperation mit Verdi vertreten hatten, sich von der Großgewerkschaft jedoch nicht mehr angemessen repräsentiert sahen. In der GdF sind 2 600 der insgesamt 5 600 Beschäftigten der DFS organisiert, ein Großteil der 1 900 Fluglotsen gehört ihr an. Durch die exponierte Stellung ihrer Mitglieder hat sie, ähnlich wie die Pilotenvereinigung Cockpit, eine beträchtliche Verhandlungsmacht. Die DFS zeigt Härte. Vor allem das juristische Vorgehen gegen einen Arbeitskampf spricht dafür, dass das Unternehmen in der GdF eine kleine Gruppe von Querulanten sieht, die sie eigentlich nicht als Gewerkschaft anerkennen möchte. Zugleich prüft die Lufthansa bereits Schadensersatzforderungen gegen die GdF. Es werde derzeit die Höhe des Schadens ermittelt, der durch die Streikandrohung entstanden sei, teilte dazu eine Sprecherin der Lufthansa öffentlich mit. »Mit großen Gewerkschaften wie Verdi oder der IG Metall würde man so etwas nie machen. Aber wir halten das aus«, sagte dazu der GdF-Tarifvorstand Markus Siebers.

In mancher Hinsicht erinnert der Konflikt an den Bahnstreik 2007 und den Umgang mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, ebenfalls eine kleine Berufsgewerkschaft, gegen die teilweise auf ähnliche Weise vorgegangen wurde. Auch die vom DGB-Bundesvorstand gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber geplante Initiative zur Tarifeinheit richtete sich gegen die kleinen Betriebs- und Branchengewerkschaften und sollte diesen de facto das Recht nehmen, Tarifverträge auszuhandeln. Dass der massive Widerstand aus den Reihen der DGB-Gewerkschaften, und gerade bei Verdi, gegen eine derartige weitere Einschränkung des Streikrechts solche Pläne des DGB-Bundesvorstands vereitelt hat, war eine positive Überraschung. Aber das deutsche Streikrecht mit all seinen Einschränkungen bleibt nach wie vor auf die Bedürfnisse der Unternehmer zugeschnitten. Und besonders deutlich wird dies, wenn kleine Gewerkschaften, die spezielle Beschäftigtengruppen organisieren und außerhalb des institutionellen Rahmens des DGB handeln, versuchen, einen Streik zu führen, der ein wirkliches Druckmittel und nicht nur ein wirkungsloses Ritual ist.