Über den Prozess gegen Mubarak in Kairo

Machtlos im Käfig

In Kairo wird gegen Hosni Mubarak prozessiert. Die Verhandlung könnte auch die Mitglieder der Militärregierung in Verlegenheit bringen, die mit dem gestürzten Präsidenten zusammengearbeitet haben.

Als die Kameras des Staatsfernsehens zum ersten Mal auf das verbissene Gesicht des ehema­ligen Präsidenten zoomten, der auf einer Liege in den Käfig für die Angeklagten geschoben wurde, ging ein Aufschrei durch ganz Ägypten: Er ist tatsächlich da! Es war ein Schrei des Entsetzens auf Seiten derer, die in Hosni Mubarak noch immer ihren »Vater« und Präsidenten sehen. Schlägertrupps hatten mit Knüppeln und Steinen am frühen Morgen dessen Gegner gejagt, die sich auf dem weitläufigen Platz vor dem provisorischen Gerichtsgebäude in der Polizeiakademie am Rande Kairos versammelt hatten. Und es war ein Schrei der ungläubigen Freude bei der größeren Gruppe derer, die Mubarak gehasst, gefürchtet und gegen ihn gekämpft hatten. Sie hatten bis zu jenem Moment am Mittwoch vergangener Woche nicht wirklich geglaubt, dass Mubarak tatsächlich vor Gericht gestellt werden würde.
Am 11. Februar trat Hosni Mubarak nach 18 Tagen des Protests zurück, internationale Beobachter loben seither die rasche juristische Aufarbeitung der fast 30jährigen Herrschaft seines Regimes. Viele Ägypter haben das in den vergangenen Monaten anders gesehen, denn Prozesse gegen ehemalige Regierungsmitglieder und Polizisten waren immer wieder verschoben oder die Angeklagten gar freigesprochen worden. Der ehemalige Präsident lag weiterhin im Badeort Sharm al-Sheikh im Krankenhaus, seine Frau Suzanne kam nach einer Millionenzahlung frei. Als Ende Juni der Prozess gegen den ehemaligen Innenminister Habib al-Adly zum zweiten Mal vertagt wurde, brach die »zweite Revolution« aus, eine Welle von Protesten und Besetzungen, die wohl wesentlich dazu beigetragen hat, dass Mubarak am 3. August tatsächlich in Kairo vor dem Richter lag.

Angeklagt ist Mubarak dreier Delikte. Vorgeworfen werden ihm persönliche Bereicherung und Korruption, sein Vermögen wird auf 40 Milliarden, von manchen sogar auf 70 Milliarden Dollar geschätzt. Doch im Prozess wird es wohl vor allem um das brisante Gasgeschäft mit Israel gehen. Im Jahr 2005 schloss Ägypten geheime Verträge mit Israel, Gas sollte 15 Jahre lang zu einem Preis geliefert werden, der nur einen Bruchteil des Weltmarktpreise beträgt. Von dem Geschäft profitierten Mubaraks Vertraute, hauptsächlich sein Freund Hussein Salem, der eigens eine Firma gründete, um die Lieferungen abzuwickeln.
Salem wurde ebenfalls angeklagt, allerdings in Abwesenheit: Er ist nach Spanien geflohen, über seine Auslieferung wird derzeit verhandelt. Anwesend waren hingegen Mubaraks Söhne Alaa und Gamal, der ohne die Revolution wohl bald zu seinem Nachfolger ernannt worden wäre, eine Gruppe von Vertrauten des ehemaligen Präsidenten sowie al-Adly.
Der schwerste Vorwurf betrifft die Tötung von mehr als 800 Demonstranten während der Revolution. Dies ist besonders brisant, weil Mubarak und Adly die Todesstrafe droht – sofern man nachweisen kann, dass sie die Befehle gegeben haben. Im Gegensatz zu den Mubaraks, die alle drei angeschlagen wirkten, war al-Adly, der 13 Jahre lang als Innenminister über eine halbe Million Polizisten und Mitarbeiter der Staatssicherheit gebot, während des Prozesses guter Laune. Er musste gleich am nächsten Tag wieder in den Käfig gehen, die Beweise gegen ihn wurden vorgelegt. Sie werden in dieser Woche von den Anwälten begutachtet. Am 14. August wird der Prozess gegen Adly weitergehen, einen Tag später ist Mubarak an der Reihe.
Ein Ergebnis hat der erste Prozesstag gegen Mubarak nicht gebracht, und ob er schließlich verurteilt werden wird, ist unklar. Dennoch kann der 3. August als bedeutender Tag für Ägypten, wenn nicht die ganze Region gelten. Allein die Tatsache, dass der 30 Jahre lang als unantastbar geltende Präsident nun zu einem Richter »Jawohl, Herr Präsident, anwesend« sagte, machte viele Zuschauer glücklich. Zumindest einige Dinge haben sich nach der Revolution verändert. Kaum ein Ägypter versäumte es, den Prozess im Fernsehen zu verfolgen. Im Gerichtssaal durfte nur das Staatsfernsehen filmen, doch alle Sender wiederholten jede Szene wieder und wieder. Die Verhandlung gegen Mubarak ist der größte Publikumserfolg im diesjährigen Ramadan, einem Monat, in dem traditionell zahllose neue Serien und Filme im Fernsehen gezeigt werden.

Andere Herrscher in der Region dürften mit geringerer Begeisterung zugeschaut haben. Ägypten gilt als Führungsmacht und als Modell für die anderen arabischen Staaten. Der Prozess ist in jeder Hinsicht eine ägyptische Angelegenheit, er kann daher nicht einmal als imperialer Schauprozess verunglimpft werden. Er zeigt auch, dass die ägyptische Justiz sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt hat. Mubaraks Anwälte versuchen, den Prozess zu verzögern, doch der Richter Ahmed Refaat hat ihn routiniert geleitet und scheint dem Druck, einerseits einen fairen Prozess führen zu müssen, andererseits aber mit hohen Erwartungen konfrontiert zu sein, gewachsen zu sein.
Deutlich wurde bereits am ersten Prozesstag, dass Mubarak keine Macht mehr hat. Dass er und seine Partei im Hintergrund weiterhin die Politik lenkten, kann nun kaum mehr behauptet werden. Ägypten hat jetzt andere Herrscher, auch wenn möglicherweise Angehörige des alten Regimes ihre Posten retten können. Mubarak hatte, so ist zu vermuten, bereits in der letzten Phase seiner Regierungszeit an Einfluss verloren. Al-Adly kam vermutlich eine größere Rolle bei den Entscheidungen der vergangenen Jahre zu, als es in den Anklagepunkten zum Ausdruck kommt.
Vor allem regierte wohl das Militär, das sich dezent im Hintergrund hält, aber die Politik in Ägypten seit fast 50 Jahren bestimmt und nach Mubaraks Rücktritt offiziell die Macht übernommen hat. Gezwungenermaßen stellt sich das Militär auf die Seite der Revolution und grenzt sich vom alten Regime ab – obwohl bekannt ist, dass etwa General Mohamed Hussein Tantawi, der Vorsitzende des herrschenden Militärrats (SCAF), ein enger Vertrauter Mubaraks war.

Auch das macht den Prozess brisant. Mubarak ist General, die anderen Generäle haben ihm nun die gesamte Verantwortung für die Herrschaftspraktiken zugeschoben, als hätten sie nie etwas mit dem alten Regime zu tun gehabt. Mubarak könnte nun Interna über die Mitglieder des SCAF ausplaudern oder dies androhen, um diese unter Druck zu setzen. So kam der wohl spannendste Moment des ersten Prozesstags ganz am Schluss, als Richter Refaat verkündete, für den nächsten Verhandlungstag werde er hochrangige Politiker und Militärangehörige als Zeugen vorladen – unter anderem General Tantawi.
Den Generälen dürfte diese Vorladung einiges Kopfzerbrechen bereiten. Sie zu ignorieren, ist angesichts des öffentlichen Drucks fast unmöglich. Werden Tantawi vor laufender Kamera heikle Fragen über seine Rolle bei der Unterdrückung der Proteste gestellt, könnte rasch offensichtlich werden, dass das Militär ein Teil des alten Systems war. Vor allem Aktivisten befürchteten, dass die Militärregierung den Prozess nutzen könnte, um von ihrem immer offensichtlicher werdenden Bündnis mit islamistischen Gruppen und der Repression gegen die Protestierenden abzulenken. Zwei Tage vor Prozessbeginn prügelten Tausende Soldaten die Besetzer vom Tahrir-Platz, den sie anschließend mit Panzern abriegelten. Nach dem ersten Prozesstag sieht es so aus, als könnte der Prozess gegen die alten Herrscher auch die neuen Machthaber diskreditieren.