Die steigenden Mieten politisieren den Berliner Wahlkampf

Ab in die Randlage

Kommenden Monat wird in Berlin gewählt. In der wichtigen letzten Phase des Wahlkampfs versuchen Mietervereine, Stadtteil­initiativen und gewerkschaftliche Gruppen auf die Missstände des Wohnungsmarkts aufmerksam zu machen. Mittlerweile sind viele Geringverdiener und Hartz-IV-Bezieher gezwungen, an den Stadtrand zu ziehen.

Auf dem Berliner Wohnungsmarkt sieht es düster aus. Dieser Meinung ist Joachim Oellerich, Mitglied der Berliner Mietergemeinschaft (BMG) und Chefredakteur der Zeitschrift Mieterecho. In der vergangenen Woche luden gewerkschaftliche Erwerbslosengruppen und die BMG zu einer Veranstaltung unter dem Titel »Die Zeichen stehen auf Sturm!« ins Berliner DGB-Haus. Im randvollen Wilhelm-Leuschner-Saal stellte Oellerich die Lage so dar: Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum sei stark gestiegen, während gleichzeitig das Angebot immer knapper werde. Als Folge der Mechanismen von Angebot und Nachfrage stiegen die Mieten in Berlin rapide an, vor allem in der Innenstadt.

Das zeigt auch der im Mai erschienene Mietspiegel: Die Mieten in Berlin sind seit 2009 um 7,9 Prozent gestiegen. Dieser Wert übertrifft die durchschnittliche Steigerung der Einkommen und ist fast so hoch wie die Inflationsrate in demselben Zeitraum. Dabei werden im Mietspiegel die Mieterhöhungen in Bestandsmietverträgen noch nicht einmal berücksichtigt. Hinzu kommen die durch die zurückliegenden Privatisierungen von öffentlichen Versorgungsunternehmen, insbesondere der Wasserbetriebe, enorm gestiegenen Nebenkosten.
Es gibt verschiedene Gründe für die steigenden Mieten. Für die zunehmende Nachfrage haben zum einen die etwa 60 000 Zuzügler in den vergangenen zehn Jahren gesorgt. Zum anderen steigt die Anzahl der Haushalte signifikant an, nach München hat Berlin anteilig inzwischen die zweithöchste Zahl von Singlehaushalte in deutschen Großstädten. Gleichzeitig gibt es in Berlin aber, anders als München oder Hamburg, einen überproportional großen Anteil an Haushalten mit geringem Einkommen.
Noch schlimmer sieht es auf der Angebotsseite aus. Schätzungen zufolge müssten in Berlin jährlich 12 000 bis 19 000 Wohnungen neu entstehen, um den Bestand zu halten. Tatsächlich sind aber seit 2003 durchschnittlich nur etwa 3 500 Wohnungen jährlich neu gebaut worden – und das fast ausschließlich in einer Preisklasse, die sich nur Personen mit einem mindestens mittleren Einkommen leisten können. Zum Vergleich: In Hamburg gibt es jedes Jahr ungefähr die gleiche Zahl an Neubauten, bei einer nur halb so großen Bevölkerungszahl.
Erwerbslose sind deswegen inzwischen häufig gezwungen, an den Stadtrand zu ziehen. Nach Behördenangaben sind beispielsweise innerhalb eines Jahres jeweils über 700 Hartz-IV-Empfänger mehr nach Marzahn-Hellersdorf und Spandau gezogen als von dort weg, vor allem aus den immer teurer werdenden Innenstadtbezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Charlottenburg. Die Diakonie warnte bereits vor »sozialräumlicher Polarisierung« und »ghettoähnlichen Zuständen« am Stadtrand.
Ein weiteres Problem ist die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen. Für eine wochenend- oder wochenweise Vermietung können Haus- und Wohnungseigentümer bei geschickter Vermarktung sehr viel mehr Miete einstreichen als mit Dauermietern. Der Hotel- und Gaststättenverband schätzt, dass bereits mehr als 10 000 Wohnungen derart umgewandelt und damit dem Mietwohnungsmarkt entzogen wurden.

Oellerich kritisierte während der Veranstaltung besonders die seit 2002 regierende rot-rote Koalition. Rhetorisch fragte er: »Was macht eigentlich die Politik?« Und gab die Antwort gleich mit: »Gar nichts!« In der Regierungszeit von SPD und Linkspartei seien »genau null« öffentlich geförderte Wohnungen entstanden. Der Senat habe in die sem Zeitraum sogar den Bestand der in öffentlicher Hand befindlichen Wohnungen durch Privatisierungen von Wohnungsbaugesellschaften von 400 000 auf 260 000 reduziert. Damit seien auch die Möglichkeiten politischer Einflussnahme erheblich gesunken. Inzwischen würden Wohnungen in öffentlicher Hand sogar besonders teuer vermietet, die Preise lägen teilweise um 20 Prozent über dem Mietspiegel.
Die SPD verhält sich in dieser Frage besonders dreist. Vor dem Wahlkampf bekundeten die Berliner Sozialdemokraten zwar, den öffentlichen Wohnungsbau wieder aufnehmen zu wollen – mit einer lächerlichen Summe von zehn Millionen Euro. Wie die SPD die Sache wirklich sieht, machte ihr Spitzenkandidat, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, aber schon im Januar klar. Steigende Mieten seien ein gutes Zeichen für die wirtschaftliche Entwicklung, man werde sich »daran gewöhnen müssen, dass Berlin in vielen Bereichen teurer wird«, teilte das Mitglied des Hausbesitzervereins »Haus und Grund« damals während einer Podiumsdiskussion des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller und der Industrie- und Handelskammer mit.
Auch von der Linkspartei ist nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts wenig zu erwarten. Wahlweise suchen ihre Vertreter die Schuld bei der Berliner Haushaltsnotlage, bei vom Land nicht beeinflussbaren Bundesgesetzen oder bei der sozialdemokratischen Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer. In der vergangenen Woche begaben sich deshalb Protestierende auf eine Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei und hielten dem Wahlkampfhelfer Gregor Gysi Plakate und Schilder entgegen, auf denen die »Linke« bezichtigt wurde, sich als Regierungspartei an einer »neoliberalen Stadtpolitik« zu beteiligen.

Bei diesem Protest allein soll es nicht bleiben. Die Personen, die die Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei durcheinanderbrachten, gehören einem Bündnis aus verschiedenen Stadtteilinitiativen, Mietervereinen, politischen Organisationen und Antifa-Gruppen an. Dieses ruft zu einer Demonstration am 3. September auf, die unter dem Motto »Jetzt reicht’s – Gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut« steht. Im Aufruf heißt es: »Ganz offensichtlich nehmen Politikerinnen und Politiker in Kauf, dass Leute mit kleinem Einkommen aus ihrem Zuhause verdrängt und aus ihren sozialen Zusammenhängen gerissen werden.«
Das Bündnis hält die derzeitigen Aussagen und Versprechen der Parteien und Politiker zur Wohnsituation in der Stadt für ein Wahlkampfmanöver. »In Wahrheit haben sie den sozialen Wohnungsbau abgeschafft, öffentliches Eigentum wie die Wasserbetriebe verhökert, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verscherbelt oder auf Gewinn getrimmt«, kritisiert es. Die Beteiligung von Parteien an der Demonstration und das Zeigen von Parteisymbolen sind deshalb unerwünscht.