Sprecher des Berliner »Mietenstopp«-Bündnisses im Gespräch über den Protest gegen steigende Mieten in Berlin

»Es geht um Verdrängung«

Für den 3. September organisiert ein Bündnis linker Kiezinitiativen aus Berlin die »Mietenstopp-Demo«. Die Jungle World sprach mit Susanne Bruhn* und Lutz Haag* vom Demonstrationsbündnis über Hintergründe und Ziele des Protests.

Mit dem Slogan »Damit noch was zum Leben bleibt … « ruft das Bündnis zur »Mietenstopp-Demo« in Berlin auf. Welche gesellschaftlichen Entwicklungen will es thematisieren?
Bruhn: Wir richten uns gegen Verdrängung aus den Innenstadtkiezen und gegen steigende Mieten, die dies bewirken. Aber es geht auch gegen Armut generell: Immer mehr Menschen müssen von immer weniger Geld leben und davon geht auch noch ein zunehmender Anteil für die Miete drauf. Und es geht uns um den kapitalistischen Umstrukturierungsprozess der Stadt insgesamt.
Lange galt Berlin als Stadt, in der es sich mit wenig Geld relativ gut leben ließ. Deshalb kommen weiterhin Künstler und Linke aus London, Barcelona oder New York nach Berlin. Verhindert das steigende Mietniveau in­zwischen das gesuchte Nischenleben?
Bruhn: Das kommt darauf an, aus welcher Stadt man kommt. Wenn man aus Paris kommt, dann findet man es hier immer noch billig. Aber es geht uns nicht darum, die Hinzuziehenden für die Mietsteigerungen verantwortlich zu machen, dahinter stehen strukturelle Mechanismen. Diejenigen, die mehr zahlen können, werden gegenüber weniger Begüterten bevorzugt. Und dazu zählen eventuell auch Künstlerinnen und Künstler, die gerade aus Paris verdrängt wurden.
Haag: Daran sieht man zudem, dass der Prozess der Stadtumstrukturierung europaweit und sogar weltweit vor sich geht und in immer mehr Metropolen Alltag geworden ist. Damit setzen über Ländergrenzen hinweg Verdrängungsprozesse ein, die wiederum lokale auslösen.
Von wem gehen die starken Veränderungs- und Gentrifizierungsprozesse in Berlin aus – gibt es Verantwortliche für diese Entwicklung oder haben wir es hier nur mit dem Wirken subjektloser Marktmechanismen zu tun?
Haag: Beides. Einerseits gibt es den Immobilienmarkt mit seinen Verwertungsmechanismen. Andererseits gibt es aber auch Akteure im Aufwertungsprozess. Der Berliner Senat etwa macht sich mit seinen Aufwertungsstrategien zum Akteur – zumal er gleichzeitig den sozialen Wohnungsbau eingestellt hat.
Bruhn: … und privatisiert …
Haag: Ja, ganze Wohnungsbaugesellschaften und riesige Flächen wurden privatisiert, z.B. durch den Berliner Liegenschaftsfonds. Dazu kommen beispielsweise noch die Mediaspree-Vorzeigeprojekte. Auf Quartiersebene betreiben die Quartiersmanagements oder Bürgermeister wie Heinz Buschkowsky in Nordneukölln klar Gentrifizierungspolitik. Dort werden die Kieze für die Mittelschicht attraktiv gemacht. Im Zuge dessen werden ohnehin marginalisierte Gruppen, die nicht zum Image des hippen Berlin bzw. aufstrebenden Neukölln passen, weiter ausgegrenzt und verdrängt, wie durch die sogenannte Task Force Okerstraße, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Sinti und Roma sowie »Trinkergruppen« aus dem öffentlichen Sichtfeld zu verbannen.
Gleichzeitig kann man Leuten, die beispielsweise ihre Wohnungen in Ferienwohnungen umwandeln, wodurch Wohnraum dem Markt entzogen wird, das nicht individuell vorwerfen, weil sie meist selbst nur eine Möglichkeit zum Überleben suchen. Deshalb ist es schwierig, Akteure zu benennen und anzugreifen. Es ist hauptsächlich die kapitalistische Logik, die sich durch deren Handeln durchsetzt.
Bruhn: Ja, solange Wohnraum als Ware gehandelt wird, ist klar, dass immer die bevorzugt werden, die mehr zahlen können. Und jeder Vermieter wird die Miete erhöhen, wenn er kann, er wird sich innerhalb des Systems rational verhalten. Zumindest aber eine Politik, die die Verwertungsprozesse fördert und vorantreibt, ist als Akteur klar zu benennen.
Der Aufruf zur Demonstration richtet sich ­gegen »Mieterhöhungen, Verdrängung und Armut«. Warum wird dieser Problemkomplex nicht wie so häufig unter dem Schlagwort »Gentrifizierung« verhandelt?
Haag: Gentrifizierung ist zwar ein Begriff, von dem die meisten Leute schon gehört haben, aber die wenigsten haben sich damit wirklich beschäftigt. Wenn man versucht, Menschen auf einer breiten Ebene zu erreichen, dann bringt es nichts, zu sagen: Das ist Gentrifizierung. Du musst mit Begriffen arbeiten, unter denen sich die Leute etwas vorstellen können: Es geht um Verdrängung und es geht um gesellschaftlich hergestellte Armut!
Bruhn: Es spielt auch mit hinein, dass Gentrifizierung ein Szenebegriff von Leuten ist, die sich selber fragen, ob sie Teil des Ganzen sind. Das ist zu selbstbezogen. Verdrängung verdeutlicht auch die gewaltsame Komponente, dass Leute rausfliegen aus einem Stadtgebiet und dann zusehen müssen, wo sie bleiben.
Die Demonstration wird von Kiezinitiativen organisiert, als linke Gruppen sind nur die ALB und Avanti beteiligt. Haben linksradikale Gruppen das Thema verschlafen oder steckt ein politisches Konzept dahinter?
Haag: Es ist ein politisches Konzept, die Kiezinitiativen zu stärken und über das klassische linksradikale Spektrum hinaus zu wollen. Uns geht es darum, dass wir uns als Nachbarinnen und Nachbarn über unsere Probleme austauschen, uns vernetzen und gemeinsam Widerstandsformen und Lösungsstrategien entwickeln.
Im Berliner Wahlkampf sind steigende Mieten zum relevanten Thema geworden. Ist das euer Erfolg oder haben sich die Aufwertungsprozesse in Berlin so verschärft, dass das Thema alle beschäftigt?
Bruhn: Beides. Die Beschäftigung mit dem Thema in der Öffentlichkeit und in den Medien ist auf jeden Fall ein Verdienst der linksradikalen Szene. Das Thema wurde gesetzt durch die Antigentri­fizierungskämpfe. Aber natürlich hat sich die Situation in den letzten Jahren auch zugespitzt. Das sieht man bei jeder neuen Studie zur Entwicklung der Mieten.
Im Demonstrationsaufruf steht, dass den Parteien nicht getraut wird: Sie versprechen soziale Stadtentwicklungspolitik, betreiben aber Aufwertungspolitik. Trotzdem ist die Demonstration zwei Wochen vor den Wahlen angesetzt. Ist das nicht ein Widerspruch?
Haag: Wir machen unsere Demo, wann wir dazu Lust haben. Es geht uns nicht darum, direkt auf die Politik Druck auszuüben, sondern zu sagen, so, hier sind wir und wir nehmen die Sache jetzt selbst in die Hand.
Bruhn: Aber wir nutzen die Öffentlichkeit, die uns der Wahlkampfrummel bietet. Und Stadt- und Wohnungspolitik ist ein Beispiel dafür, dass Wahlen hier nichts verändern. Im Bereich der Stadtentwicklungspolitik haben wir ein Themenfeld, wo offensichtlich wird, dass alle Parteien mehr oder weniger die gleiche Politik fahren.

* Namen von der Redaktion geändert