Abdruck aus dem Roman: »Geld!«

Geld!

Peter Rosei erzählt vom Altern eines reichen Mannes, der früher auch nur ein armer Bube war.

1.
Georg Asamer hatte unlängst erst seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Wenn er sich auch gern sagte und noch lieber es sich von anderen sagen ließ, dass er immer noch sehr jugendlich aussehe, überkam ihn doch bei Gelegenheit die niederdrückende, weil unabweisbare Gewissheit, er würde einmal sterben müssen. Nicht dass ihm der Gedanke nicht auch früher schon gekommen wäre. Die Vorstellung, sterben zu müssen, hatte aber eine Art von Direktheit und Unmittelbarkeit angenommen, die es ganz und gar ausschloss, die Sache von einem philosophischen und also überlegenen Standpunkt aus zu betrachten.
Ja, er, mit diesen seinen Armen und Beinen, mit seinem Kopf und seinem immer noch schön gewölbten Brustkorb, würde dereinst in der Erde liegen, umgeben von nichts anderem als Lehm und Kieseln, eventuell noch umrankt von den Wurzeln von Bäumen oder Sträuchern, die in der näheren Umgebung seines Grabes etwa wachsen würden.
Beim Zähneputzen in der Früh, wenn er sich, zum Spiegel über dem Waschtisch hin, einen aufmunternden Blick zuwarf, der doch immer geholfen hatte, seine Schlaftrunkenheit oder die Abgemattetheit nach einer eventuell durchfeierten oder durcharbeiteten Nacht aufzuheben, wenn er sich derart im Badezimmerspiegel erblickte, spürte er manchmal plötzlich die Kieferknochen unter dem Fleisch seiner Wangen, er sah, jetzt hatte alles die plastische Eindringlichkeit eines Traumbilds angenommen, seine Zähne in diesen abgewinkelten, solide gebauten Knochenspangen stecken, und es ließ sich auch nicht verheimlichen, dass da und dort ein Zahn fehlte oder durch ein künstliches Machwerk ersetzt worden war.
Am lächerlichsten kamen ihm dann immer seine Füße vor, zu denen er für gewöhnlich den Blick senkte, um sich von seiner Anwandlung zu befreien: Da standen sie platt auf dem kühlen Fliesenboden, mit ihren dämlichen Zehen und Nägeln – die doch nie etwas vom Sterben gehört oder gewusst hatten und auch nie etwas wissen würden!
Es wäre nun ganz falsch, den Georg Asamer auf derlei Gedanken zu reduzieren oder reduzieren zu wollen. Vielmehr endete diese Szene im Badezimmer meist damit, dass er zu schmunzeln anfing, sich selber einen Dummkopf nannte oder, auch das kam vor, sich in einer plötzlichen, innigen Aufwallung religiöser Gefühle mit ein paar Dankesworten an einen ihm im Übrigen ganz fernstehenden Herrgott wandte, ihm zu versichern, dass er, Georg Asamer, sehr wohl wusste, wie privilegiert er unter den Menschen war, dass alles überhaupt viel schlechter für ihn hätte ausgehen können.
Außerdem war der Zorn auf seine Füße ungerecht. Sie sahen gar nicht so übel aus für sein Alter, immer noch rosig und von einer Art pummeliger Festigkeit oder Feistheit des Fleisches – richtige Nichtstuerfüße eigentlich; Kinderfüße; Füße eines Spaziergängers oder die eines Weiberhelden. Dabei bin ich alles andere als gerade das, dachte Asamer, nicht ohne einen mürben Stolz dabei zu empfinden, der ihn mit dem Wohlgefühl des Gerechtfertigt-Seins berührte und gleich wieder anödete durch seine immanente Kleinkariertheit.
Das Haus, in dem Georg Asamer in Hietzing draußen wohnte oder, besser gesagt, residierte, erzählte mit seiner Struktur gewissermaßen die Stationen seines vergangenen Lebens, stellte mit seinen Gegebenheiten, mit der Anordnung der Räumlichkeiten einen aufs Wesentliche konzentrierten und doch sprechenden Abriss seiner Herkunft dar.
Die im Untergeschoss gelegenen und zum Garten hin sich öffnenden Zimmer hatten einstmals der Mutter des Asamer zur Wohnung gedient. Nun – sie war lange tot – benützte er die Räume dort unten als eine Art Gartensalon, als sein bevorzugtes Rückzugsgebiet an heißen Sommertagen, wo er, bei geöffneten Fenstern und Türen, las oder, was häufig vorkam, mit einem Drink in der Hand sich seinen meist ins Vergangene ausschweifenden Gedanken überließ.
Wie er als Student nach Wien gekommen war. Wie er dann, eigentlich noch ehe er sein Studium abgeschlossen gehabt hatte, sich in der Werbung, in der Werbebranche sein Wirkungsgebiet gefunden hatte.
Wie er, mit anrollendem Erfolg, die Mutter hatte nachkommen lassen. Wie sie da gelebt hatten: er in jugendlichem Schwung von Erfolg zu Erfolg eilend, sie als Zeugin und auch Mitgenießerin seiner Erfolge.
Wie er dann Klara kennen gelernt hatte. Die Hochzeit. Wie sie sich bald auseinandergelebt hatten. Wie Klara ihn dann mit diesem Professor, mit diesem windigen Wissenschaftler – dass ich nicht lache! – betrogen hatte.
Später ist der Kerl dann – eigentlich unausdenkbar! – Kandidat einer politischen Partei bei der Bundespräsidentenwahl geworden, dieser Schaumschläger! Und natürlich hat er bei der Wahl verloren. Und natürlich hat Klara ihn dann sitzen lassen.
Peinlich war eigentlich nur mehr ihr Ende, ihr früher Tod gewesen: Sie war in Mallorca unten ertrunken. Nach einer lustigen Nacht mit einem ihrer Liebhaber war sie vom Morgenschwumm einfach nicht mehr zurückgekehrt. Das hat so gar nicht zu ihr gepasst, dachte Asamer.
Was?
Dass sie so sang- und klanglos, ohne ihm damit die geringste Schwierigkeit zu machen, verschwunden war.
Das war gar nicht ihr Stil!
In Gedanken solcher Art versponnen, stieg Asamer die kleine, weiße Außentreppe zum Eingangsbereich hinauf – zur Straßenseite hin bildete er das Parterre –, wo er durch eine Flügeltür in den großen zentralen Flur trat, der sich, mit spiegelnden Marmorplatten ausgelegt, quer durch das ganze Haus bis zur Eingangstür hin erstreckte.
Er tüftelte gerade an einer geschäftlichen Entscheidung, einer facettenreichen Angelegenheit, einer Frage, die, wäre sie denn einmal entschieden, weitreichende, sehr weitreichende Konsequenzen haben würde.
Solche Entscheidungen waren durchaus nichts Außergewöhnliches für ihn.
Im Parterre hatte er nicht viel zu suchen. Hier war die Küche, ein Empfangsraum, eine Garde­robe, ein kleines Kabinett und das große, zum Garten hinaus sich öffnende Esszimmer, das freilich nur bei offiziellen Einladungen benutzt wurde. – Das Straßenparterre war das Reich der Frau Walli. Valentine, wie sie mit vollem Namen hieß, ein Überbleibsel aus der Zeit seiner Mutter, diente ihm jetzt viele Jahre. Jetzt wurde das Wort dienen freilich kaum noch verwendet. So sagte er denn auch gelegentlich, wenn ihn etwa einer seiner Gäste fragte – und er empfing viele Gäste in seinem schönen Haus, die meisten geschäftlich –, er bemerkte dann öfter zum Spaß: Mit der Walli bin ich so gut wie verheiratet!
Frau Walli war großgewachsen, hager und von einer Verschlossenheit, die, auf den ersten Blick jedenfalls, etwas Mürrisches hatte. Ihre Tracht, das zum Knoten zurückgestraffte dunkle Haar, das lange, schwarze Hauskleid mit der vorgebundenen weißen Schürze unterstrich und betonte noch das Abweisende ihrer Erscheinung. Insgesamt wirkte sie grimmig; und ein bissl ranzig. Auf die Walli war jedenfalls zu hundert Prozent Verlass – oder doch fast. Sie stammte vom Land her, aus der Steiermark, wie Asamer undeutlich zu wissen glaubte, und zwei- oder dreimal im Jahr nahm sie sich einen Tag frei, um ihre alte Mutter zu besuchen, die in einem Pflegeheim dort unten irgendwo lebte. Oft verging eine Woche oder mehr, ehe Asamer und seine Gehilfin ein Wort miteinander wechselten. Meist ging es dann um eine Neuanschaffung, die zu tätigen war, um Hemden, bei denen es zu überlegen galt, ob man sie mit neuen Krägen und Manschetten besetzen oder gleich ganz ausmustern sollte, und was an derlei Angelegenheiten mehr ist. Alles andere lief im Gleis.
Wenn Asamer manchmal etwas später aus dem Büro oder von einem abendlichen Ausgang in der Stadt heimkam, konnte er den Schein des Fernsehers durch das Fenster von Frau Wallis Zimmer dringen sehen, es lag im Erdgeschoss, in einem zur Seite hin ausgreifenden Anbau, und ging er dann beschwingt oder mit schleppend müden Schritten durch den großen Flur zur Treppe hin, die ins obere Stockwerk führte, konnte er leise und verschwommen die geisterhaften Stimmen irgendwelcher Schauspieler hören, die sich, sei es in einer Komödie, sei es in einer Tragödie, auf dem Fernsehschirm der Frau Walli gerade tummelten. Er schüttelte lächelnd den Kopf. – Was für ein seltsames Vergnügen es doch ist, sich mitten in der Nacht mit fremden Schicksalen zu beschäftigen!
Freilich war Frau Walli nicht immer so pflegeleicht. Um es kurz herauszusagen, in den Jahren, die sie jetzt bei Asamer die Oberaufsicht über alle häuslichen Angelegenheiten führte, hatte sie sich drei- oder viermal mit Männern eingelassen, hatte sich verliebt. Regelrecht. Jedesmal hatte sie diesen Umstand vor ihrem Chef, dem Asamer, sorgsam zu verbergen und zu tarnen versucht, gerade so, als würde sie ihm mit ihren Liebesgeschichten etwas antun, einen Vertrag brechen. Er freilich hatte an Kleinigkeiten, wie etwa einem leeren Kasten Bier in der Küche oder einem verwischten Schuhabdruck im Flur – wenn es draußen gerade geregnet hatte – den Stand der Dinge schon früh kundig durchschaut. So war er dann jeweils auch nicht weiter erstaunt gewesen, wenn die Walli ihm eines Tages, meist war es morgens geschehen, beim Hereintragen des Frühstücks etwa, mit rot verweinten Augen gegenübergestanden war.
»Was ist denn los, Walli?« hatte er einfühlsam, wenn auch schon mit untergründiger Ironie gefragt.
»Steh’n lassen hat er mich! Einfach steh’n lassen!« gestand sie.
Einmal hat einer ihre gesamten Ersparnisse verzockt! Damals ist sie mir sogar um den Hals gefallen, fiel ihm jetzt ein, als er die Stiegen zu seinen im oberen Stock gelegenen Räumlichkeiten nahm. Und er erinnerte sich an den trockenen, harten und duftlosen Leib der Walli, wie der sich damals gegen den seinen gepresst hatte.
Lang her!
Ohne sich weiter aufzuhalten, ging er schnurstracks ins Schlafzimmer, das ihm zugleich als Ankleidezimmer diente. Der Raum war selbst um diese Stunde, es war früh am Nachmittag, ein wenig dämmrig, verhangen von seidenen Stores, die, zusammen mit den hellen Tapeten und dem cremefarbenen, dicken Spannteppich, ihm etwas Gefasstes und Gedämpftes gaben.
Ein bisschen ist es mit der Walli ja wie bei mir, kam es ihm beim Anblick des breiten Ehebetts mit der französischen Matratze, das da stand, in den Sinn. Er schlief jetzt seit vielen Jahren allein. Der Gedanke, er könnte sich mit einer Frau auf längere Sicht einlassen oder gar heiraten …  dieser Gedanke war seit Jahren aus seinem Repertoire einfach gestrichen. Das wäre ihm nicht einmal im Traum eingefallen!
Dass er hier, in diesem Zimmer, einmal mit seiner gewesenen Frau, als Jungverheirateter, herumgetobt hatte – nicht einmal unglücklich sind wir damals gewesen, dachte er –, das erschien jetzt leicht unwirklich: Die Erinnerung daran war fremd, und Asamer fühlte sich fast ein bisschen betreten dabei.
Nicht dass er sich nicht gelegentlich mit einer Frau einließ, einer Bardame zum Beispiel, einer jungen Kellnerin aus einer Diskothek; manchmal sogar, wenn’s ihn richtig überkam, mit einer Hure von der äußeren Mariahilfer Straße. Das war dann aber völlig unernst, das waren Spielereien, Spaßetteln, bloßer Zeitvertreib und oft genug, im Rückblick zumindest, reine Zeitvergeudung.
Asamer stand vor dem geöffneten, begeh­baren Schrank, der die ganze Längsseite des Zimmers einnahm, und ging mit der Hand die Anzüge durch: Welchen sollte er nehmen? Unentschlossen trat er vom Schrank zurück, trat ans Fenster, schob die Vorhänge auseinander und schaute auf die Rasenfläche des gepflegten Gartens hinunter: Ganz hinten – eine Gruppe von Bäumen schloss den Garten dort ab – stand eine Bronzefigur, die noch auf Betreiben der Mutter angeschafft und aufgestellt worden war, eine Plastik: Der verlorene Sohn.
Weshalb sie gerade diese Figur ausgesucht hat, seinerzeit? Diese ein wenig lächerlich anmutende, kuriose, etwas windschiefe Gestalt, die – weiß Gott, ob es die passende Richtung war – im hellen Sonnenschein unsicher ausschreitend auf das Haus und damit zu ihm herstrebte?
Der Anblick des vielen Grüns und der Duft, den die Blätterwolken an Bäumen und Sträuchern fast greifbar ausströmten, lenkte ihn ab. Er vergaß die Frage, die er sich, die sich ihm, halb im Ernst, halb im Unernst gestellt hatte. Er musste sich sputen!
In den Sommernächten, wie sie jetzt waren, konnte er die Fenster weit aufstoßen und so, wohlig im Bett zusammengekuschelt, von der Kühle der Nachtluft umweht, es genießen, sein Bett für sich allein zu haben.

2.
Ein paar Jahre früher hatte in Hernals, mitten in einer Arbeitergegend gelegen, ein Eckwirtshaus für immer seine Pforten geschlossen. Die Kundschaft, darunter etliche hartgesottene Säufer, hatte diesen Umstand lebhaft bedauert, es kam zu einem Abschiedsabend, an dem die Wirtin gratis Fleischlaibchen mit Erdäpfelsalat an alle ausgeteilt hatte, das Bier, das Herr Sykora, der Wirt, zapfte, war in Strömen geflossen, und die eingesessenen Stammgäste waren beim endgültigen Auszug durch die Tür und den ihr vorgelagerten Windfang noch mit übriggebliebenen Weinflaschen bedacht worden.
Das war vielleicht ein Hallo gewesen, damals! Die Gastwirtschaft Sykora war immer schon Stützpunkt für einen Sparverein – und für die Sozialistische Partei. Die Mitglieder beider Abteilungen rekrutierten sich einerseits aus einer großen Straßenbahnremise, die damals noch in Betrieb war, sowie aus den vielen kleinen Gewerbebetrieben, die, unter die Wohnhäuser der Gegend eingesprengt, damals floriert hatten. Das Ehepaar Sykora – es stammte selber aus dem Grätzel her und war dort aufgewachsen – stand der Wirtschaft in idealer Weise vor, beliebt bei seinen Gästen, bekannt weit und breit. Gemütliche Leute, Leute vom Grund. Eigentlich unausdenkbar, dass die Sykoras ihre Wirtschaft zugesperrt hatten! – Zusammen mit ihrem kleinen Sohn Andi waren sie bei den Aufmärschen zum Ersten Mai immer dabei gewesen: Andi auf einem Kinderfahrrad, dessen Speichen mit rotem Krepppapier umwunden waren, war vorangerollt, während die Eltern Sykora gleich dahinter im Block der Bezirkshonoratioren einträchtig und stolz mitmarschiert waren.
Der kleine Andi – auf den wollen wir uns hier konzentrieren.
Als Gymnasiast im achten Jahr stand er damals unmittelbar vor der Matura und wohnte, zusammen mit seinen Eltern und einer übrig­gebliebenen Großmutter mütterlicherseits, in der oberhalb des nun geschlossenen Lokals gelegenen Wohnung. Im Sommer, der auf die erfolgreich bestandene Prüfung folgte, zog er fort, nahm sich ein kleines Zimmer näher der Stadt und der Universität zu und immatrikulierte sich als Student an der juridischen Fakultät.
Schon nach ein, zwei Semestern wechselte er an die Hochschule für Welthandel über, wo er in seinen Studien rasch vorwärts kam und infolge seiner außerordentlichen Leistungen bei der Professorenschaft bald als talentierter Kopf auffiel.
Bei den sonntäglichen Mittagessen im Familienkreis, in Hernals draußen, an denen Andy – mit Ypsilon, wie er sich jetzt schrieb – zu der Zeit noch regelmäßig teilnahm, kamen die stolzen Eltern denn auch öfter auf seine Erfolge an der Hochschule zu reden, und die Oma steckte ihm, in hilfloser Güte und scheuer Verehrung – sie verstand von dem, was ihr Enkel da studierte, so gut wie gar nichts – zum Abschied öfter ein bisschen Geld zu, einen oder zwei zusammengerollte Scheine, die sie ihm mit ihren dürren, vertrockneten Fingern hinhielt.
»Nimm nur, Andi«, sagte sie und lächelte ihn verlegen mit seitlich geneigtem Kopf an, »du wirst es schon brauchen.«
Was ging in dem Andy Sykora da vor? – Es wäre vielleicht übertrieben, von einem Schluchzen zu sprechen, das ihn, für die anderen freilich unmerkbar, jetzt durchlief. Er schaute zu seiner Mutter hinüber, die ihn mit ihrem rosigen, breiten und gutmütigen Gesicht aufmunternd ansah. Beim Anblick dieses Gesichts – ihm doch so vertraut – spürte er, wie unabänderlich alles verloren war; dass er jetzt in einer ganz anderen Welt lebte. Und der Hochmut, der da in ihm aufsprang, konnte ihn nicht gänzlich ablenken von der Tatsache des Verlustes. Schon die längste Zeit hatte die Mutter es ihm verboten – sie tat es nach außen hin mit herrischem Getue –, etwa in der Küche beim Herrichten und dann beim Auftragen der Speisen zu helfen. Der Vater, er beteiligte sich ohnehin nie und saß wie selbstverständlich schon Zeitung lesend am Esstisch, sagte: »Komm her, setz dich doch, Andi!« – und er verwickelte ihn in ein Gespräch über Politik oder irgendeine Geschichte, die im Grätzel spielte.
Als Pensionist, der er nun war, überlegte der Vater hin und her, ob er etwa einen Schrebergarten kaufen sollte, in dem er und die Mutter dann ein wenig gärtnern könnten? Oder sollte es doch besser ein neues Auto sein, mit dem Reisen nach Jesolo, nach Venedig, nach Istrien hinunter oder auch in die Tiroler Alpen unternommen werden könnten?
»Wir haben jetzt Vollbeschäftigung, und unser Geld ist was wert«, sagte der Vater dann etwa: »Aber richtig trauen kann man der Sache ja doch nicht, oder?«
Dann folgten die Frittaten- oder Grießnockerlsuppe, die Schnitzel oder der Schweinsbraten samt Knödel, aufgetragen in klobigen Steinguttellern, die, vom vielen und langjährigen Gebrauch zerkratzt und nicht mehr glänzend, von Mutter und Großmutter hergestellt wurden. In der Mitte des Tisches stand die bunt glasierte Salatschüssel, aus der sich alle miteinander bedienten.
Kaffee und Kuchen. Der Vater wartete ihm eine Zigarette auf. Das abschließende Schnäpschen; zur Verdauung! Nach Tisch legte der Vater sich für gewöhnlich aufs Sofa im Wohnzimmer, um ein kleines Nickerchen zu machen. Die Frauen gingen in die Küche zum Abwasch und Saubermachen. Er, Andy, blätterte noch nervös und zerstreut in der vom Vater abgelegten Zeitung, saß da im Mief des Zimmers – er wusste nicht recht, was er da eigentlich suchte –, und so verabschiedete er sich.

3.
In seiner Firma hatte Georg Asamer enorm viel zu tun, er war mehr als ausgelastet. Das Stammhaus, wenn man so sagen will – mit dem Wachsen des Unternehmens war man mehrfach übersiedelt –, beschäftigte jetzt an die hundert Leute und um diese Kerngruppe angelagert einen Stab von freien Mitarbeitern, deren Zahl sich, dem guten Geschäftsgang angepasst, laufend vergrößerte.
Letzteres hatte nicht nur mit dem Ausweiten der Werbung in immer neue Bereiche des Lebens zu tun, insbesondere die Abteilungen für Fernsehwerbung und Productplacement im Internet vergrößerten sich ständig, sie folgte auch einem Grundsatz des Asamer, der da lautete: »Marschiere immer mit möglichst leichtem Gepäck!« Mit anderen Worten, er vermied es, sich Lasten aufzuladen, die ihm ein fix Angestellter in Hinsicht auf etwaige Abfertigungen, Pensionsrückstellungen und dergleichen aufgebürdet hätte, wenn er dieselbe Leistung auf günstigerem Weg bekommen konnte. Ein ausgeklügeltes Prämiensystem spielte dabei eine wichtige Rolle: Es hielt die Leute bei Laune.
Die zweite Säule der Firmenphilosophie, ­neben der Motivation der Mitarbeiter, hieß Flexibilität. Dem Asamer war zwar bewusst, dass die von den Leuten geforderte Beweglichkeit und Schmiegsamkeit für ihn, als Chef und Besitzer des Hauses, etwas anderes bedeutete als etwa für einen seiner Teilzeitarbeiter. Die Vorstellung einer schier uneingeschränkten Anpassungs­fähigkeit gefiel ihm aber derart, dass er sich bei Betriebsfeiern und ähnlichen Gelegenheiten an ihr berauschte. Er sah sich dann eingesetzt und mitwirkend im Geflecht einer dynamisch gedachten, vorwärtsdrängenden Struktur, eines aggressiven Biotops. Gern betonte er dessen bescheidene Ursprünge, ja, mit Vorliebe flocht er an passender Stelle die Anekdote ein, wie er, in den Anfangszeiten der Firma, oft selber die Kurbel an der Vervielfältigungsmaschine in einem Kellerlokal irgendwo in der Vorstadt gedreht hatte. – Heute und jetzt jedenfalls sei ein Ende des Wachstums nicht abzusehen! Jeder der Anwesenden hier, führte Asamer mit einem Blick auf die rund um ihn herum im großen Foyer aufgestellte Belegschaft aus – bei Weihnachtsfeiern stand er vor dem riesigen, schmucküberglitzerten Christbaum –, jeder sei Teil und Mitspieler in diesem Spiel, einem revolutionären Prozess, der sein Ende und Ziel vielleicht einmal, ja durchaus, hinter den Sternen finden würde!
Um das Phantastische dieser Vorstellung gegen jede Lächerlichkeit von vornherein abzudichten, machte Asamer sie zum Schluss vorsorglich auch meist selbst gleich lächerlich: »Demnächst werden wir unsere Postwurfsendungen den kleinen, grünen Männchen auf dem Mars in ihre Briefkästen stecken!«
Der Asamer war überhaupt ein angenehmer Chef, immer für ein Späßchen zu haben, burschikos und voller Schwung. Und dabei immer auf den Punkt und an der Sache orientiert. Kein Schwätzer, kein Nörgler. Ein im Grund bescheidener, ein rücksichtsvoller Mann, einer, der wusste, wo es lang geht, aber auch dass man, so mächtig man auch immer sein mochte, das Unvermeidliche eben nicht verhindern kann. – Dass seine Angestellten ihm im Grund genommen herzlich gleichgültig waren, fiel kaum ins Auge.
Obwohl Asamer also in der Firma mehr als beschäftigt war, hatte er sich doch, aus Eitelkeit wohl, dazu überreden lassen, an der Hochschule für Welthandel ein Seminar für Fortgeschrittene abzuhalten. Wie er es von der Erfindung und Komposition seiner Werbesprüche her gewohnt war, wandte er das Motiv dafür, dass er an der Hochschule lehrte, so lang im Raum seiner Phantasie hin und her, bis ihm vorkam, er unterrichte doch eigentlich nur deshalb, weil es ihm ein Anliegen war, die von ihm im Lauf seiner langen Berufslaufbahn gewonnenen Einsichten an die nachwachsenden Generationen weiterzugeben.
Gleich eins seiner ersten Seminare trug den Titel: Die Psychologie des Geschäfts. Die Hauptthese, die er da launig vertrat, lief darauf hinaus, dass es ein kapitaler Fehler wäre zu glauben, man könne die marktwirtschaftlichen Mechanismen von den charakterlichen Eigenschaften der Mitspieler her verstehen.
Das Wort Kapitalismus vermied Asamer stets. Es wäre ihm borniert vorgekommen, so daherzureden, und anstelle von Sozialismus verwendete er immer den Begriff Planwirtschaft.
»Es ist eine ganz glatte, abstrakte Welt aus Ziffern und Zahlen, die jeweils bestimmte Größen oder Kräfte bezeichnen, mit denen wir zu rechnen haben. Natürlich müssen wir im Gang der Dinge die seelischen, die charakterlichen Befindlichkeiten unserer Partner und Konkurrenten ins Kalkül ziehen. Es muss uns aber klar sein, dass jedes Wasser die Mühle antreiben kann: das trübe Wasser der Gier genauso wie das helle und menschenfreundliche der Güte. Der verschlagenste Schuft kann ein Genie sein, der ödeste Spießer ein Tausendsassa. Oft ist der Dummkopf in unserer Arena am Ende der Kluge, der Wissende sieht sich ausgetrickst, das Schwein, das Charakterschwein, schwingt sich zum Adler auf.«
Da hatte er die Lacher auf seiner Seite!
»Wir müssen, wollen wir unser Geschäft machen, die Politik zwar genauestens beobachten und den Weg, den sie nehmen wird, vorherzusehen suchen – so wir nicht ihren Gang diskret zu lenken trachten. Und doch: Geschäft und Politik sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Und warum?« – Er stellte die Frage stets mit gespielter Atemlosigkeit und verhaltener Wucht, um dann loszupoltern: »Während die Politiker immer auf Mehrheiten setzen und also auf den Willen anderer Leute Bedacht zu nehmen haben, geht der Geschäftsmann oder Manager immer nur von seiner eigenen, seiner ureigensten Zielvorstellung aus. Was er will – sei es, was auch immer –, sucht er den anderen schmackhaft zu machen, es ihnen zu verkaufen, sie dazu zu zwingen, sie zu verleiten … Sie verstehen, was ich meine?!«
»Der Geschäftsmann oder Manager«, dozierte er weiter, »ist – ja, wie sag’ ich’s? – ist der Nabel der Welt.«
Jeden Freitagnachmittag fuhr Asamer zur Hochschule hinaus. In der Firma war es um die Zeit gewöhnlich schon ruhig, Wochenendstimmung begann sich auszubreiten. So hatten seine Ausfahrten für Asamer immer auch etwas von einem Ausflug an sich, etwas von einer Art Ferienreise, in die Jugend zurück, wo man zwar unbedingt etwas aus sich machen will, aber nicht genau weiß, wie es anstellen.
Die Vagheit der frühen Jahre überkam den Asamer gleichsam beglückend schon bei der Anfahrt. Oft ließ er das Taxi früher halten und ging das letzte Stück zu Fuß. Ein kleiner Park war dem eigentlichen Campus vorgelagert. Dort schritt Asamer unter den Kronen der Bäume flott auf den sauber gekehrten Wegen aus, und beim Aufblicken zu ebendiesen hell und dunkel spielenden Kronen kam ihm vor, er sei doch nicht ganz so endgültig und im Grundsätzlichen schon festgefahren, wie es ihm im Geschäft manchmal vorkam. Nein, er war noch jung und biegsam! Leicht und lebendig fühlte er sich. Etwas Lindes und Gutartiges ging durch ihn durch, die Vorstellung, voller Saft und Kraft zu stecken, kam ihm augenblicksweise nicht allzu weit hergeholt vor.
Obwohl Asamer sehr auf seinen Körper achtete, fast jeden Tag war er in einem unweit der Agentur gelegenen Fitness-Studio anzutreffen, begann er doch Gewicht anzusetzen, zur Korpulenz zu neigen. Ohnehin nur knapp über Durchschnittsgröße, vom Typ her zwar durchaus athletisch, bewegte er sich, wie ihm jetzt selbst oft auffiel, meist frontal und schwerfällig auf das von ihm Angesteuerte zu. Gelegentlich musste er sich ermahnen: Halt dich doch grade! Bei längeren Sitzungen sank er jedes Mal ein und musste sich immer wieder einen Ruck geben.
Selbstgewissheit und Selbstvertrauen können freilich vieles ausgleichen. Eleganz und Stil tun das Ihre dazu. Das Asamersche Lächeln etwa, schelmisch gerade zu, bei offenem Blick und einer bravourös gespielten Hemdsärmligkeit, die sich, je nach Bedarf, schlagartig zu tiefem Ernst, zu hingebungsvollem Zuhören, zu stets ausgeruht und wohldurchdacht wirkendem Vortrag verwandeln konnte, ließ ihn fast jungenhaft und mit jener Frische ausgestattet scheinen, wie sie nur der hat und haben kann, der in ­einer guten Haut steckt und sicher auf beiden Beinen steht.
Seinem Auditorium trat Asamer gewöhnlich salopp gegenüber, mit offenem Jackett, mit abgebundener Krawatte. An warmen Tagen schlüpfte er sogar aus dem Sakko. Nie nahm er auf dem Stuhl hinter dem Katheder Platz. Seine Ausführungen mit einer Geste da und dort untermalend, schritt er auf dem Podium hin und her, meist – aber das war bloß ein Trick – nur mit sich selber und dem Bau und der Prägnanz seiner Gedanken und Ausführungen beschäftigt. Er hatte sein Publikum im Griff. Er brauchte nicht zu fürchten, an Aufmerksamkeit zu verlieren, wenn er etwa, in flotter Schrift, mit der Kreide Verlaufskurven oder Ablaufschemata an die Tafel notierte. Ein hie und da eingestreuter Witz lockerte den Vortrag zusätzlich auf und schuf im gemeinsamen Lachen eine angenehme, menschliche Verbindung zwischen Lehrer und Schülern.
Bald schon war dem Asamer bei den Fragerunden, die er immer wieder einstreute, ein Student besonders aufgefallen: Andy Sykora.
Heute war ein Sonntag, und ein schöner Frühherbstsonntag dazu. Das wolkenlose Blau des Himmels war milchig, sah wie mit feinen Silberfäden unterlegt aus, die Luft gerade so lau, dass man im Anzug weder schwitzte noch dass man frieren hätte müssen. Auf Plätzen und anderen Flächen im Bautengewirr der Stadt lagen solide Blöcke von Sonnenlicht, durch die man aber wieder ganz leicht hindurchdringen konnte, in Heiterkeit und einer gedankenlosen Leichtigkeit, die etwas Beschwingtes hatte oder haben konnte.
Andy kam vom Mittagessen in Hernals draußen. Das Essen daheim, wie immer reichlich und gut gekocht, hatte Andy gelangweilt. Die Schläfrigkeit, die er jetzt wohlig empfand, wenn auch ein wenig irritiert in Hinsicht darauf, was er vorhatte – was ihn da nur erwarten würde? –, verband sich aufs Freundlichste mit der Verschlafenheit der kulissenhaft rechts und links von der Straße aufragenden oder lehnenden Häuser. Hinter deren Fassaden konnte man sich, auch mit wenig Phantasie, gleichsam wie im allgegenwärtigen Sonnenlicht schwebende Nester, auf Bettbänken oder Couchen ruhende Körper oder, zweisam in Schlafzimmerbetten lustvoll ineinander verstrickt, Liebespaare vorstellen.
Eine abbiegende Straßenbahn musste scharf vor Andy abbremsen, als er die Josefstädter Straße überquerte. Jetzt war er aber wach!
Insgeheim hatte Andy den Doktor Asamer, wie er ihn nannte, wie er an der Hochschule allgemein genannt wurde, immer belächelt. Das war eine Sache, die nichts mit dem Asamer im Speziellen zu tun hatte. Vielmehr drängte sich dem Andy allem und jedem gegenüber ein Lächeln auf, was sich groß hinstellte und etwas behauptete. Nicht dass er Wissen und Kenntnisse des Asamer nicht hätte sehen und schätzen können: All das war höchst nützlich und brauchbar! Es kam dem Andy aber immer als eine Art von höherer Dummheit vor, wenn einer sich vor anderen entblößte, sich in die Karten schauen ließ oder, das war das Letzte, etwas gedankenlos verschenkte.
Wie er da so auf dem leeren und blank in der Sonne liegenden Trottoir ausschritt – er hatte den zweireihigen Anzug an, seinen einzigen im Übrigen, den er bei allen offziellen Gelegenheiten trug –, beschäftigte er sich freilich nicht mit seiner grundlegenden Haltung dem Doktor gegenüber, vielmehr fragte er sich, was der von ihm wollen könnte? Nach dem Seminar, letzten Freitag, war der Doktor an ihn herangetreten, mit freundlicher, vielleicht ein wenig gönnerhafter Miene, und hatte ihn gefragt, ob er für Sonntag schon etwas vorhätte.
»Nachmittags – wenn’s Ihnen recht ist: Ich würde Sie gern sprechen.«
»Wo denn?« hatte er gefragt und war dabei fast ein wenig rot geworden.
»Wo Sie wollen, mein Lieber … im Café vielleicht? – Im Landtmann? Gegen halb vier?«
Und jetzt ging er hin.
Der Asamer wieder hatte, in genauer Kenntnis der Örtlichkeit, seinen Platz schon gewählt. Er saß ganz hinten, in der letzten Loge an der Breitseite des Lokals, von wo aus er den Saal mit seinen Lusterkörben, den in Kupferschalen postierten Pflanzen, den Polsterbänken, Tischen und Stühlen gut überblicken konnte. Wenig los heute: Der von einzelnen Besuchergruppen aufsteigende Zigarettenrauch schloss sich im von der Fensterfront einfallenden Licht zu bald körperhaft festen, dann wieder rasch auseinandertreibenden Gebilden zusammen. Die Wassergläser auf den Tabletts der Kellner blitzten auf: Mäßig interessiert schaute Asamer dem Treiben zu. Der Student, wie er den Sykora bei sich nannte, würde den ganzen langen Gang zwischen den Tischen auf ihn zukommen müssen. Da würde er gleich sehen, wie der sich bewegte; wie er mit der für ihn gewiss ungewohnten Umgebung zurechtkam.
Das würde schon was aussagen.
Asamer bestellte nach kurzer Überlegung eine Karaffe Weißwein, etwas Süßgebäck dazu, und lehnte sich abwartend zurück. Der Student kam den Gang entlang auf ihn zu. Bestimmt hat er mich schon gesehen; aber er tut so, als ob nicht. – Nicht unschlau, der Knabe.
»Hallo!« Asamer erhob sich ein wenig und schüttelte Andy die Hand.
Nachdem sie sich eine Weile über Hochschulangelegenheiten, über Themen, die sich aus dem Seminar ergaben, unterhalten hatten, schaute Asamer sein Gegenüber kurz an und sagte dann direkt: »Ich habe mir überlegt, ob Sie nicht Lust hätten, in meine Firma einzutreten?«
Keine Sekunde verging, da antwortete Andy schon, ganz so, als ob er auf die Frage vorbereitet gewesen wäre: »Aber ich bin doch noch gar nicht fertig, Herr Doktor, ich meine ...«, und er lächelte den Asamer an.
Es sollte sich herausstellen, dass es genau dieser impulsive Moment gewesen war, der alles entschied, drängte er doch den Asamer für einen Augenblick in die Defensive. Es war jetzt an ihm, seine Beweggründe zu erläutern.
»Sie sind mir aufgefallen; ja. Wissen Sie, ich hab’ ein gutes Gespür. Ich hab’ mit vielen Leuten zu tun … na, Sie werden sehen, wenn Sie in die Agentur kommen.«
Andy hatte sich nach der Begrüßung bloß auf die Kante seines Stuhls gesetzt; und dort blieb er dann auch die ganze Zeit sitzen. Den Kaffee, den er bestellt hatte, wagte er kaum anzurühren. Sein glattes und glänzendes Gesicht strahlte von Aufmerksamkeit. Die meiste Zeit hörte er zu, stellte nur dann und wann eine Zwischenfrage. – Dass seine Hände ein wenig gezittert hatten, das hatte ihn gegen sich selbst aufgebracht. Das muss ich noch in den Griff bekommen, sagte er später zu sich, nachdem er sich auf der Straße vor dem Café von Asamer verabschiedet hatte und allein den Ring hinunter­gegangen war.
Wie denn sein Sonntag bisher verlaufen sei, hatte der Asamer ihn gefragt.
Ah, mit den Eltern habe er zu Mittag gegessen! Die lebten also in Wien?
Dann sei er wohl hier aufgewachsen? Und wo? Aha. In Hernals.
»Das hab’ ich mir schon gedacht«, hatte Asamer da gesagt.
Und wie um das leicht Abfällige dieser Bemerkung gleich wieder aufzuheben, ja im Gegenteil, es zum Ausgangspunkt einer Art von Verbrüderung zu machen, hatte er leutselig hinzugefügt: »Wissen Sie, ich bin auch einmal ein armer Bub gewesen.«
Dann hatte er Tacheles geredet, der Asamer, und erklärt, was er sich von seiner, von Andys Mitarbeit erwartete, welche Position er für ihn vorgesehen hatte. Auf eingestreute Fragen antwortete Andy treffsicher, mit einer Raschheit freilich, die im Lauf des Gespräches zwar abnahm, zu Beginn aber fast schon übereifrig daherkam. Das ist wohl gespielt, dachte Asamer. Oder hat er den Köder der in Aussicht gestellten Anstellung schon geschluckt?
Über Gehalt oder Lohn war kein Wort gefallen.
Im Grund weiß der Junge vielleicht nicht, wie er sich zu mir stellen soll?
»Ihr Stammcafé?« fragte Andy, um auch etwas beizutragen.
Asamer saß in friedfertiger Schläfrigkeit da. Offenbar hatte er alle seine Fragen gestellt, seine Trümpfe gespielt. Andy überlegte, ob er nicht noch eine Frage stellen oder, vielleicht, eine Geschichte zum Besten geben sollte. Irgendetwas von seiner Familie, von den Zuständen in Hernals draußen vielleicht – irgendwas Lustiges?
Ich lass’ es besser sein.
Asamer wieder überlegte auf dem Heimweg, ob in seiner Behandlung des jungen Sykora vorhin, neben seiner Professionalität in derlei Dingen, nicht doch etwas anderes, wie sollte er sagen, etwas vielleicht unangemessen Entgegenkommendes, ja vielleicht sogar Freundschaftliches mitgespielt hatte.

Abdruck mit freundlicher Geneh­migung des Verlags aus: Peter Rosei: Geld! ­Roman. Residenz-Verlag, St. Pölten, Salzburg 2011. 176 Seiten, 19,90 Euro. Das Buch ist soeben ­erschienen.