Popperschwein

Berlin Beatet Bestes. Folge 111. Dave Phillips & The Hot Rod Gang: Tainted Love (1983).

Die schnelle Rockabillyversion von »Tainted Love« von Dave Phillips &  The Hot Rod Gang verbindet das 1964 aufgenommene Northern-Soul-Original von Gloria Jones mit der Version von Soft Cell, die 1980 entstanden ist. Es war der letzte innovative Aufschrei des Rockabillyrevivals in den achtziger Jahren. Mit meinem Rockabilly­dasein war es 1982 ebenfalls vorbei. Die Szene wurde noch konservativer, als sie es sowieso schon war, und außerdem gab es viel spannendere Musik, vor allem aus England. Wer Anfang der Achtziger englische Popbands wie ABC, Heaven 17 und Span­dau Ballet nicht checkte, dem war sowieso nicht zu helfen. Ich jedenfalls, vorschnell wie man als 16jährger ist, verkaufte meine Platten von Gene Vincent und begeisterte mich für Depeche Mode, Ideal und Trio. Seltsamerweise waren Trio Ende 1981 in der Buxtehuder Stadthalle die Vorband der Ton Steine Scherben. Trio waren live super, so simpel und doch irgendwie ganz modern – nicht zuletzt wegen des kindlich gespielten Casio-Keyboards von Stefan Remmler. Demonstrativ schnell und zackig tanzten meine Freunde und ich, inmitten der im Schneidersitz auf dem Boden hockenden Schülerscharen. Es wird ja gerne vergessen, wie groß Anfang der Achtziger die Ökoszene war. Und Ökos tanzten einfach nicht. Einen Kurzhaarschnitt zu haben, einen Anzug zu tragen und zu tanzen, war auch eine Abgrenzung von dieser laschen, friedensbewegten Jugend. Ton Steine Scherben konnte ich damals noch nicht würdigen, sie erschienen mir angestaubt. Ihre Blütezeit war offensichtlich vorbei. Es war die Musik unseres vollbärtigen Sportlehrers, der mich im Publikum plötzlich begrüßte.
Auf dem Konzert war ich mit meiner neuen Freundin Tina, die eine Ausbildung zur Friseurin machte. Sie war Mod, oder wie wir sagten: Modette. Ich ging im Second-Hand-Anzug zur Schule, einem Schulzentrum mit Haupt- und Realschule und Gymnasium. Wir Gymnasiasten trauten uns allerdings nie auf den Pausenhof der Hauptschüler. Da Fünfziger-Jahre-Klamotten sehr billig waren, waren wir praktisch alle in Nachkriegsgrau gekleidet. Oft konnte ich meine Freunde von Weitem nicht von Rentnern unterscheiden. Mein gediegener Aufzug provozierte ­allerdings auch die Mofa fahrende und Spliff (»Carbonara«) hörende Dorfjugend. Also die Hauptschüler. Die tägliche Busfahrt hin zur Schule und zurück in mein trauriges Dorf wurde zum Spießrutenlauf. Manche riefen »Popper«, andere weigerten sich, mir einen Sitzplatz frei zu machen oder schubsten mich herum. Meine Mutter riet mir schlicht: »Wehr dich!« Eines morgens auf dem Weg vom Bus zur Schule hörte ich hinter mir bereits einen der übelsten Schläger »Popperschwein, Popperschwein!« rufen. Ich ließ meine Schultasche fallen, drehte mich um, ging ein paar Schritte auf den Typ zu und schlug ihm mit aller mir zu Verfügung stehenden Kraft in die Fresse. Es war wohl der Überraschungseffekt, der mich ungestört bis zur Schule kommen ließ. Am nächsten Tag grüßte mich derselbe Typ auf dem Hauptschulpausenhof. Bullylogik.