Die Rolle der Islamisten bei den libyschen Rebellen

Die Schattenregierung

Manche Beobachter befürchten, dass Islamisten in Libyen an Einfluss gewinnen könnten. Tatsächlich schreibt ein erster Verfassungsentwurf dem Islam eine große Rolle zu, und namhafte Islamisten sitzen im Übergangsrat.

Eine Woche nach dem Fall von Tripolis wurde die Website der Übergangsregierung generalüberholt. Bei westlichen Unterstützern der libyschen Revolution dürfte die neue Version Gefallen finden. Als zweites Bild erscheint darauf der amerikanische Präsident Barack Obama, gefolgt vom britischen Premierminister David Cameron, die den Sieg der Rebellen begrüßen.
Islamistische Ästhetik sieht anders aus. Auch Umfragen, die von der Garyounis-Universität in Bengasi durchgeführt wurden, zeigen: 96,43 Prozent der Befragten wünschen sich einen demokratischen, zivilen Staat auf Grundlage der Menschenrechte, und 94 Prozent meinen, dass al-Qaida keine Rolle in der Revolution gespielt habe.
Allerdings steht im Verfassungsentwurf, der online gestellt wurde: »Die islamische Sharia ist die Hauptquelle der Rechtsprechung.« Auch die Besetzung des neuen Militärgerichts in Tripolis ist wenig vertrauenerweckend. Zu seinem Vorsitzender wurde Abdelhakim Belhadj ernannt, ein ehemaliger Anführer der Libyan Islamic Fighting Group. Die als terroristische Organisation eingestufte Gruppe steht al-Qaida nahe und kämpfte in Afghanistan an der Seite der Taliban. Demokratie akzeptiere er im Rahmen eines islamischen Staats, sagt Belhadj heute.

Seine Ernennung dürfte ein Zugeständnis an die islamistischen Milizen innerhalb der Rebellenarmee sein. Insbesondere die »17. Februar-Märtyrerbrigaden« sollen von Islamisten angeführt werden. Eine weitere islamistische Miliz, die »Brigade Obeida ibn Jarrah«, ist nach Aussage des Finanzministers, Ali Tarhouni, verantwortlich für den Mord an dem Rebellenkommandeur Abd al-Fattah Jounis vor vier Wochen. Die Brigade lehnt es ab, unter dem Kommando von ehemaligen Gaddafi-Leuten zu stehen. Ein solcher war Jounis, ehemaliger Innenminister und Kommandeur einer Spezialeinheit. Hochdekorierte Persönlichkeiten, die Gaddafi nahestanden, sind bei den Rebellen in führender Position vertreten. Der Vorsitzende des Übergangsrats, Mustafa Abd al-Jalil, war unter Gaddafi Justizminister. Er war verantwortlich für die Anklage der bulgarischen Krankenschwestern, denen vorgeworfen wurde, libysche Kinder mit HIV infiziert zu haben.
Von den meisten der 45 Mitglieder des Übergangsrats weiß man indes gar nichts. Ihre Namen wurden bisher nicht veröffentlicht, da sie Gefahren für sich und ihre Familien fürchten. Auf ihre Bekanntgabe darf man gespannt sein. Unter den bekannten Persönlichkeiten befinden sich einige, die Gaddafi nahestanden, Islamisten und demokratische Oppositionelle. Zu den letztgenannten gehört Finanzminister Ali Tarhouni, der sich schon 1976 gegen Gaddafi auflehnte, in die USA ging, dort Karriere machte und in der Exil-Oppo­sitionsbewegung aktiv war. Er spricht nicht nur perfekt Englisch, sondern sieht auch noch smart aus und äußert sich regelmäßig zu Sachverhalten, die gar nichts mit Finanzen zu tun haben.
Derzeit ist allerdings nicht klar, wer von den bekannten Mitgliedern des Übergangsrats überhaupt noch politischen Enifluss hat. Nach dem Mord an Jounis sollte der Rat umgebildet werden. Die arabische Tageszeitung al-Sharq al-Awsat meldete, dass Ali al-Issawi, der Außenminister, und Abd al-Salam al-Shikhy, der Religionsmi­nister, um ihre Posten fürchten müssten. Zumindest letztgenannter dürfte der Fraktion der Islamisten angehören. Die Vermutung lag nahe, dass ein Machtkampf innerhalb der Rebellenführung anstand. Doch Wirtschaftsminister Abdullah Shamia blieb bisher unbehelligt, obgleich er Vorsitzender der Muslimbruderschaft ist.
Derweil haben die Aufständischen in Misrata dem Übergangsrat die Gefolgschaft aufgekündigt. Auch die Rebellen in den Nafusa-Bergen protestierten gegen ihre mangelnde Vertretung. Der Rat scheint all diesen Problemen mit Aktivismus zu begegnen. Den Aufbau des Landes schnellstens voranzutreiben, mag kurzfristig eine gute Lösung sein. Doch lange wird die Harmonie kaum halten.