Über den Schweizer Konzeptkünstler Dieter Meier

Der nutzlose Millionär

Erst Punk, dann Biobauer: Der Schweizer Konzeptkünstler Dieter Meier wird mit einer großen Werkschau in Hamburg geehrt.

Ein Video zeigt Dieter Meier auf der Bühne des alternativen Zürcher Hey Club. Es ist 1978, Meier spielt mit seiner Punkband Fresh Color. Er schreit und stampft mit dem Fuß, die Leute im Publikum schauen skeptisch zu ihm hoch, verhalten wippen sie zur Musik. Es scheint, als sei Punk in der Schweiz noch nicht so richtig angekommen. Im Video ist immer wieder der mit einem Fischaugenobjektiv gefilmte weit aufgerissene Mund des Sängers zu sehen. Obwohl ihn damals fast niemand kannte und das Musikfernsehen noch nicht erfunden war, haftet dem Mitschnitt etwas Prophetisches an. Seine erste Soloplatte, eine Single mit dem vielsagenden Titel »Cry for Fame«, erschien in einer Auflage von gerade mal 200 Exemplaren auf Periphery Perfume, einem kleinen Punklabel, das von dem Zürcher Plattenhändler Paul Vajsabel betrieben wurde.
Das alles ist lange her. Im Frühjahr musste der Hey Club am Zürcher Belvedere wegen der gestiegenen Miete schließen. Dieter Meier hat sich inzwischen von der Bühne verabschiedet, er züchtet seit einigen Jahren Biorinder und betreibt Weinbau in Argentinien. Außerdem ist er im Finanzsektor tätig. Die FAZ berichtete kürzlich in der Rubrik »Beruf und Chance« über seine Aktivitäten auf dem Schweizer Aktienmarkt: Meier hatte im vergangenen Jahr 14 Prozent an dem Schweizer Unternehmen Orell Füssli erworben, das im Auftrag der Schweizerischen Nationalbank Banknoten druckt.
Das Konzertvideo von 1978 ist zu sehen in einer großen Werkschau mit dem Titel: »Dieter Meier: Works 1969 – 2011 and the Yello-Years« in der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg, einer Dependance der Deichtorhallen. Gezeigt werden neben Musikvideos vor allem ­Fotos und Protokolle seiner verschiedenen Performances aus den späten sechziger und sieb­ziger Jahren.
Bekannt geworden ist Dieter Meier zu Beginn der achtziger Jahre als Sänger der Elektro-Pop-Band Yello. Sein Produzent Paul Vajsabel hatte ihn 1978 mit Boris Blank zusammengebracht. Blank experimentierte zu dieser Zeit mit Aufnahmen von Alltags- und Industriegeräuschen. Interessiert waren beide auch an technischen Neuerungen wie den ersten programmierbaren Drum-Computern. Dieter Meier schreibt in seinem Buch »Hermes Baby« aus dem Jahr 2006, Blank werde »heute als Godfather des Techno geführt, weil er mit Holzscheiten auf Gummibälle schlug und sich so den Klang für seine höchsteigene Basspauke zusammenstiefelte, Jahre bevor die Industrie die wunderbaren digitalen Speicher lieferte, die es möglich machen, mit jedem Geräusch der Welt Klavier zu spielen«. Auch andere Bands wie etwa Kraftwerk, Die Krupps, OMD oder Human League haben elektronische Musik gemacht, das Besondere an Yello aber waren die Schrulligkeiten, die die Band sich bei ihren Auftritten und in ihrer Musik leistete. Meier irritierte mit Schnauzbart und rauer, sonorer Stimme, Blank mit seinem Latino-Mustache und seinen verspielten Sounds. Während Blank eine Art Vorreiterrolle in der Sound-Architektur zukommt, ist Meier ein Pionier im Bereich des Musikvideos. Videos produzierte er zunächst für Yello, später auch für Trio und Alphaville. In der Werkschau ist auch das Video zu »Pinball Cha Cha« von 1982 zu sehen. Boris Blank spielt darin einen Flipperspieler, den »Best Pinball-Player from Mexico City«, der tagein, tagaus in Lucy’s Bar am Flipper steht, während unzähl­ige kleine Kunststofffiguren, deren Animation Meier besorgte, bizarre Choreographien aufführen.
Dieter Meier ist keineswegs der Erfinder des Musikvideos, aber er hat dessen Entwicklung beeinflusst. Der Erfolg von Yello gründet Meier zufolge im Dilettantismus der Beteiligten. Immer wieder betont er, dass er kein Ins­trument beherrsche und auch nicht singen könne. Seine Musik und seine Videos seien in erster Linie Spielereien. Die Freiheit des Spiels sei das Ergebnis der Freiheit des Dilettanten, der keine Ansprüche zu erfüllen hat, der keinen Erfolg haben muss. Meiers Selbstverständnis wirkt unglaublich naiv und ist doch vor seinem familiären Hintergrund plausibel. So erklärt er, dass er wegen seiner Herkunft aus einer Schweizer Bankiersfamilie nie etwas habe tun müssen, um zu überleben. Die Aktien der Schweizer Banknotendrucker habe er ohne Kenntnisse des Börsen­geschehens lediglich auf Anraten des Vaters als Sparanlage gekauft. Auf seinem Nicht-können-Müssen beruht das riesige Maß an Freiheit, mit dem er seine Projekte angeht. Das trifft nicht zuletzt auf Meiers Verständnis von künstlerischer Praxis zu. Zu einer seiner ersten Peformances gehört das Stück »5 Tage«. 1969 verbrachte Meier eine gewöhnliche Arbeitswoche, also 5 Tage, jeweils von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, auf dem Zürcher Heimplatz vor dem Kunsthaus mit dem Zählen und Abpacken von Schrauben. »Im Kunstbereich gibt es diesen Zwang, etwas produzieren zu müssen und dann wie bei Hänsel und Gretel den Finger heraus­zustrecken, damit die Hexe schauen kann: Ist das genug? Kann man das fressen? Dieses Kind oder diesen Menschen da? Ich war unfähig zu solchen Produktionen. Ich verurteile das nicht, aber ich konnte das nicht. Deshalb habe ich etwas getan, was einfältig ist, was jeder kann. Was eigentlich nichts ist, aber was auf der Welt ist, weil ich es will. So unnütz und flüchtig wie ich selber«, sagte Meier im Gespräch mit dem Kurator der Ausstellung, Stefan Zweifel. Diesem Prinzip folgen fast alle seine Aktionen: dem nutzlosen In-der-Welt-sein-Dürfen. Ein Jahr später realisierte er die Performance »Gehen«. Vier Tage lang lief er jeweils von 17 bis 20 Uhr eine abgesteckte Strecke von 20 Metern hin und her. Die Aktion hatte er vorher im Stadtanzeiger beworben. Meiers Beitrag zur Documenta im Jahre 1972 war eine in den Boden eingelassene Gusseisenplatte mit einem Text, der ankündigte, dass Meier am 23. März 1994 zwischen 15 und 16 Uhr an dieser Stelle stehen werde. Das tat er dann auch, im Beisein von mehreren Hundert Zuschauern, einigen Fernsehjournalisten und dem Kasseler Oberbürgermeister. Die Platte wurde nach dem Auftritt wieder entfernt.
Die Fiktionalisierung des Alltäglichen ist ein großes Thema in seinem Werk. 1976 fotografierte er in New York Passanten und gab ihnen Namen. »I only saw him once and later gave him a name … «, so der alttestamentarische Titel der Serie. Für »As Time Goes By« ließ er sich 1974 und 2005 in 13 unterschiedlichen, von ihm erfundenen Rollen, jeweils als junger und als alter Mann, fotografieren. Er war der Schriftsteller Peter Hampel, der Kokaindealer Flavio »Pipo« Razetti und der Gitarrist Todd Spencer.

Dieter Meier: Works 1969 – 2011 and the Yello-Years. Sammlung Falckenberg/Deichtorhallen Hamburg.
Bis 11. September