Kampagne gegen »Linksextremismus« in Bayern

Jagdsaison in Bayern

Der Feind steht links! Die CSU besinnt sich auf diese alte Gewissheit. Seit kurzem betreibt das bayerische Innenministerium das Internetportal »Bayern gegen Links­extremismus«. Es passt gut zu einer Kampagne, die der Staatsschutz und die CSU seit längerem gegen Linke führen. Ein Kulturzentrum und ein antifaschistisches Archiv sind besonders großen Anfeindungen ausgesetzt.

Seit Ende August betreibt das bayerische Innenministerium die Internet-Plattform bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de. Dort sind Informationen über Aktivitäten der linken Szene zu finden, auf einer Bayernkarte wird illustriert, wo linke Organisationen ansässig sind und wo Straftaten begangen wurden, Lehrern werden didaktische Vorschläge für Unterrichtseinheiten zum Thema unterbreitet, und unter der Rubrik »Erste Hilfe« finden Eltern und Lehrer Ansprechpartner, die ihnen helfen sollen, wenn ein »Kind in die linksextremistische Szene gerät«.

Glaubt man den Aussagen des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU), ist die radikale Linke in Bayern zurzeit äußerst umtriebig. Mit 372 Straftaten hätten linksextremistisch motivierte Delikte einen »historischen Höchststand seit mindestens zwei Jahrzehnten« erreicht. Insbesondere die autonome Szene gehe immer aggressiver gegen Polizeibeamte vor. ­Allein 120 der 172 registrierten Gewalttaten hätten sich gegen Polizisten gerichtet. »2010 waren 86 Prozent aller Täter zwischen 14 und 21 Jahre alt. Wir müssen also unsere Aufklärungs- und Präventionsarbeit gerade bei Jugendlichen noch weiter verstärken«, forderte Herrmann anlässlich der Präsentation des neuen Internetportals.
Wer sich in Bayern politisch betätigt, dürfte sich angesichts der vom Verfassungsschutz ermittelten Zahlen wundern. Schließlich ist das Bundesland seit den Kämpfen am Bauzaun in Wackersdorf nicht gerade für eine militante Demonstrationskultur bekannt. Bei Großdemons­trationen, wie etwa den Protesten gegen die Münchener Sicherheitskonferenz, ist eine überschaubare Anzahl von Demonstranten stets mit einem martialischen Polizeiaufgebot konfrontiert. Rigide Auf­lagen, umfangreiche Vorkontrollen und ein mehrfach gestaffeltes Polizeispalier halten Demonstranten von allzu großem Aktivismus ab. Selbst kleinere Vorfälle, wie das Abbrennen von Feuerwerkskörpern, führen in der Regel zu Festnahmen. Wer Seitentransparente mitführt oder gegen das Vermummungsverbot verstößt, kann sich auf einen Schlagstockeinsatz des berüchtigten bayerischen Unterstützungssonderkommandos gefasst machen. Dass sich eine derart hohe Anzahl von Polizisten im Einsatz gegen Linke Verletzungen zugezogen haben soll, ist deshalb verwunderlich.

Ein besonderes Augenmerk haben die bayerischen Staatsschützer auf das autonome Kulturzentrum Kafe Marat in München gerichtet. Es werde »von Linksextremisten als Treffpunkt, logistisches Zentrum und Informationsbörse genutzt«, ist auf der Internetseite zu lesen. Schon der Namenspatron des Zentrums, Jean Paul Marat, »ein radikaler Unterstützer der französischen Revolution und Befürworter politischer Gewalt«, sei ein Hinweis darauf, dass auch die Betreiber Gewalt im Sinn hätten. Das Kafe Marat wurde allein im vergangenen Jahr vier Mal durchsucht.
Die Vorwürfe gegen das Kafe Marat beschäftigen mittlerweile auch den Münchener Stadtrat. Mit zwei Anträgen betreibt die Ratsfraktion der CSU den Kampf gegen die »Linksextremisten«. Zum einen fordert sie von der Stadt, den Mietvertrag für das Kulturzentrum zu kündigen und die Zahlung sämtlicher Zuschüsse einzustellen. Das Kafe Marat befindet sich im ehemaligen städtischen Tröpferlbad, das Kulturamt überweist dem Liegenschaftsamt jährlich einen Betrag für Miete und Nebenkosten. In einem anderen Antrag fordert die CSU eine Extremismusklausel für alle Vereine und Initiativen, die städtische Fördermittel erhalten oder Räume in einem städtischen Gebäude nutzen. Die Organisationen und ihre Vertrags- und Kooperationspartner sollen sich zukünftig per Unterschrift zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« der Bundesrepublik Deutschland bekennen. Eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht soll genügen, um Zuschüsse zu streichen.
Der bekannte Nazi und Münchener Ratsherr Karl Richter von der »Bürgerinitiative Ausländerstopp« hatte bereits im Februar in einem teilweise wortgleichen Antrag gefordert, die Zahlung von Fördergeldern an das Kafe Marat einzustellen. Doch selbst der Vorwurf, es einem Nazi gleichzutun, irritierte die Extremismusbekämpfer der CSU nicht. Die Anträge der Partei werden im September im Rat der Stadt behandelt. Man darf gespannt sein, ob SPD und Grüne im allmählich beginnenden Vorwahlkampf standhaft bleiben werden. Schließlich plant der Oberbürgermeister Christian Ude, als Spitzenkandidat der SPD gegen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) anzutreten.

Auch die seit über 20 Jahren existierende Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida) wurde wiederholt zum Ziel der bayerischen Extremistenjäger. Der Verein hatte gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 2008 und 2009 erfolgreich vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt, die entsprechenden Passagen in den Berichten mussten geschwärzt werden. »Von den ursprünglichen Vorwürfen des Landesamtes für Verfassungsschutz blieb so gut wie nichts bestehen. Weder die Vereinsmitglieder noch die Vereinsaktivitäten gegen die extreme Rechte in den vergangenen 20 Jahren begründen nach Ansicht des Gerichts die Aufnahme in den bayerischen Verfassungsschutzbericht«, sagt Marcus Buschmüller, der Vorsitzende von Aida. Doch von solchen kleinen Rückschlägen ließen sich die bayerischen Staatsschützer offenbar nicht entmutigen. Im kürzlich erschienenen Bericht 2010 ist Aida nun sogar mit einem eigenen Kapitel aufgeführt. Der Vorwurf des Linksextremismus gründet sich dabei im Wesentlichen auf drei Links zu bayerischen Antifa-Gruppen auf der Website des Vereins.