Eine Kritik der Anti-Papst-Proteste in Berlin

Der werfe das erste Ei

Der Papstbesuch naht, die Gegner des obersten Katholiken machen sich bereit. Dabei messen sie dem Katholizismus eine größere Bedeutung bei, als diesem zukommt. Als religiöses Beiwerk für das grüne Bürgertum empfiehlt sich längst der Protestantismus.

Manche können es offenbar kaum abwarten. »Es ist lange bekannt, doch jetzt wird es ernst: Der Papst kommt nach Deutschland und will uns alle belallen. Zu Hülf! Wie werden wir den wieder los?« schrieb Martin Kaul schon im Juni in der Taz aus Anlass des bevorstehenden Papstbesuchs. Seinen Kolleginnen und Kollegen empfahl er, sich mit »Eiern und Tomaten« oder »wenigstens Senf« zu munitionieren. Im Umgang mit dem Papst gab er die Empfehlung: »Erst ertragen, dann beschimpfen. Und zum Schluss: verjagen.«

Dass sich ausgerechnet die Taz zur Religionskritik mit Eiern, Tomaten und Senf berufen fühlt, ist erstaunlich. Schließlich belallt die Zeitung die Öffentlichkeit regelmäßig mit Neuigkeiten über die erbärmlichsten religiösen Derivate. »Yoga-Guru Thurman über Männlichkeit und Familie«, »Meditieren – Alles ist erleuchtet«, »Nachruf Guru Sai Baba – Shiva, Shakti und Jesus Christus«, »An­thro­posophie – Bewusstseinserweiterung à la Steiner« – so lauten entsprechende Überschriften.
An einer Großveranstaltung der christlichen Konkurrenz des Papstes hatte die Taz im Juni ebenfalls wenig auszusetzen. Dem Evangelischen Kirchentag in Dresden widmete die Zeitung eine Sonderberichterstattung. Während des Spektakels machten sich etwa 120 000 Teilnehmer Gedanken zum »globalen Wirtschaften« oder zu einem »zukunftsfähigen Energiekonzept« und forderten beispielsweise die »Bewahrung der Schöpfung – keine Genehmigung für unkonventionelle Erdgasförderung«. Margot Käßmann, ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, erteilte auf einem Podium Ratschläge zur friedlichen Konfliktlösung: »Es ist besser, mit den Taliban zu beten, als sie zu bombardieren.« Die Unterzeichner der Resolution »Wirtschaft braucht Alternativen zum Wachstum« bekannten: »Wir als Bürgerinnen und Bürger der Industrieländer wollen Lebensqualität statt Wirtschaftswachstum, nicht weiteres Wachsen an Konsum und Gütern, sondern Wachsen an Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Zeit, Kultur, Glaube und Engagement – Verzicht üben und Einschränkungen in Kauf nehmen, wo es um der Menschen und der Schöpfung willen nötig ist.«
Dass der Evangelische Kirchentag wie ein Parteitag der Grünen mit religiöser Dreingabe wirkte, lag auch am Personal. Katrin Göring-Eckardt, grüne Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundestagspräsidentin, war Präsidentin des Kirchentags. »Mit dem Kompass des Herzens wollen wir Demokratie gestalten, feste Schritte für ökologische und soziale Gerechtigkeit gehen, glaubwürdig sein im Handeln – als fröhliche Christenmenschen«, fasste sie das Anliegen der Veranstaltung zusammen.
Von den grünen Verbänden, die sich nun am Berliner Protestbündnis »Der Papst kommt« beteiligen, war keine Kritik am frommen Eifer ihrer Parteikollegin zu vernehmen. Wie man sich angesichts einer möglichen Visite und Rede des Papstes im Bundestag verhalten soll, beschäftigt die Partei hingegen bereits seit Dezember. Eine Ansprache Benedikts XVI. verstoße gegen die gebotene weltanschauliche Neutralität des Parlaments, schließlich handele es sich bei ihm um den Repräsentanten einer Religionsgemeinschaft, hieß es damals sinngemäß aus der Bundestagsfraktion der Grünen. Hans-Christian Ströbele erwog, den Plenarsaal im Fall einer Rede des Papstes zu verlassen. Im Ältestenrat des Parlaments stimmten die Grünen einem Besuch Benedikts im Bundestag nicht zu.
Die Sorge um die parlamentarische Neutralität treibt die Partei aber nicht immer derart um. Den einzigen Kommentar der Grünen zum Besuch des Dalai Lama im hessischen Landesparlament Ende August twitterte der Abgeordnete Kai Klose: »Erwarte die Rede des Dalai Lama im Hessischen Landtag.« Dass ein grüner Bundestagsabgeordneter wegen einer Rede Göring-Eckardts den Plenarsaal verlassen hätte, ist bislang nicht bekannt – dabei ist sie als Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche eine der höchsten Repräsentantinnen des deutschen Protestantismus.

»Wir wollen Religion und Spiritualität auf die Straße bringen«, sagte die Politikerin in einem Interview während des Kirchentags. Solche Drohungen und die Zusammenkunft von 120 000 Anhängern der Lehre eines waschechten Fundamentalisten namens Martin Luther veranlassten die linksradikalen Gruppen, die gegen den Papstbesuch demonstrieren und aus diesem Anlass die generelle Religionskritik wieder für sich entdeckt haben wollen, im Juni nicht zum Protest. Überhaupt erhält man angesichts ihrer Veröffentlichungen und Veranstaltungen den Eindruck, der Protestantismus existiere in Deutschland nicht. In einer »religionskritischen Veranstaltungsreihe« der Berliner North-East Antifascists (NEA), die die Anti-Papst-Kampagne »Not Welcome« betreiben, ging es zwar um »Esoterik und Leitkultur«, »tibetanischen Buddhismus«, »christliche Wiedererweckung in den USA« und allerlei schmutzige Geschichten aus dem Vatikan. Die evangelische Kirche wurde jedoch nicht einmal erwähnt. Und auch den Islam hatte man in der Reihe vergessen, obwohl etliche seiner Repräsentanten und Anhänger für Grässlichkeiten verantwortlich sind, an die das Wirken des Papstes lange nicht heranreicht.
Auch den Betreibern der linksradikalen Kampagne »What the fuck« scheint trotz ihres Bemühens um eine »grundsätzliche Kritik an Religion« entgangen zu sein, dass in Deutschland ebenso viele Protestanten wie Katholiken leben. Sie beklagen den Einfluss der katholischen Kirche in Deutschland in einem Tonfall, als patrouilliere die Schweizergarde als Tugendpolizei auf deutschen Straßen. Der Katholizismus – »ein System, das bekämpft und zurückgedrängt gehört« – nehme »religiös begründete Eingriffe in die Lebensgestaltung« vor.
Kirchensteuer hin, Tanzverbot her – dass der Katholizismus einen erheblichen Einfluss auf die Zustände in Deutschland hat und »eine entscheidende Rolle bei der Legitimierung der bestehenden Verhältnisse« spielt, ist zu bezweifeln. So desavouiert wie derzeit war der Vatikan hierzulande wohl noch nie. Wie aus einer kürzlich im Auftrag der DPA erhobenen Umfrage hervorgeht, ist der Papstbesuch mehr als 60 Prozent der Bundesbürger vollkommen gleichgültig, acht Prozent lehnen ihn ab. Und auch nur 49 Prozent der Katholiken halten ihn für eine gute Sache. Massenbegeisterung sieht anders aus. Aus diesem Grund ist Papstkritik derzeit billig zu haben, mit Widerrede ist nur selten zu rechnen. In den meisten Fällen ist die Kritik nicht radikal, sondern gängige Meinung.

Eine unerlässliche ideologische Stütze der kapitalistischen Produktionsweise anbieten zu können, wäre sicher der Traum des Papstes. Als ideologisches Beiwerk für das grüne, öko-kapitalistische Bürgertum bietet sich aber eher der Protestantismus an. Er hat immer noch die Verzichts­ethik im Gepäck, die schon Max Weber als günstige Voraussetzung für die kapitalistische Entwicklung erkannte. Zugleich hat er sich modernisiert und verspricht statt eines Himmelreichs und der Erlösung die stets korrekte Mülltrennung und »saubere Energie«. Dagegen kann der Papst mit seiner abgehalfterten Lehre einpacken. Wer die Bedeutung der Religion in der Bundesrepublik einschätzen will, sollte deshalb eher über Göring-Eckardt, Käßmann und andere »fröhliche Christenmenschen« sprechen als über ihn.