David Berger, Theologe, im Gespräch über den Papst und die Homophobie in der katholischen Kirche

»Diese Homophobie ist beispiellos«

Bei der vom Bündnis »Der Papst kommt« organisierten Demonstration gegen die »menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik der römisch-katholischen Amtskirche« aus Anlass des Besuchs von Benedikt XVI. in Berlin wird auch Dr. ­David Berger eine Ansprache halten. Der Theologe und Philosoph machte in der katholischen Kirche Karriere. Nach seinem Coming-out im April 2010 und dem Erscheinen seines Buchs »Der heilige Schein: Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche« im November 2010 (inzwischen 6. Auflage), in dem er die katholische Kirche für ihre Homophobie kritisiert, entzog ihm die Erzdiözese Köln die Lehr­erlaubnis als Religionslehrer.

Warum wollen Sie überhaupt zu so einem ­autoritären und homophoben Verein wie der katholischen Kirche gehören?
Es ist ja nicht so, dass man in den Verein eintritt wie in einen Kleingärtnerverein oder eine Partei, sondern im Grunde genommen wird man da kulturell und sozial hineingeboren. Bei mir war es die Großmutter, die mich eingeführt hat, und als Kind macht man sich natürlich noch nicht so viele Gedanken und erlebt das noch nicht als autoritären Verein. Es ist ein sehr langer Prozess des ­Hineinwachsens und des Bemerkens, dass es da Strukturen gibt, die zum Teil menschenfeindlich sind.
Das haben Sie dann erst spät gemerkt …
Ja, sehr viel später. Wenn man Karriere machen kann und sich schöne Möglichkeiten bieten, dann versucht man, solche Dinge zu verdrängen. Vielleicht war das auch eine gewisse Charakterschwäche, das möchte ich gar nicht bestreiten. Aber es hat sicher eine Rolle gespielt, dass man etwas nicht wahrhaben will, was man eigentlich erkennen müsste.
Papst Benedikt XVI. gilt als rechter Hardliner im Vatikan. Ist es unter dem jetzigen Papst schlimmer geworden mit der Homophobie in der katholischen Kirche?
Auf jeden Fall. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nie eine Epoche in der katholischen Kirchengeschichte gegeben hat, in der ein Papst in der Öffentlichkeit so homophob agiert und sich geäußert hat wie Benedikt XVI. Das ist wirklich beispiellos, dieses Ausmaß und diese Vehemenz an Homophobie.
Sie sprechen in Ihrem Buch »Der heilige Schein« von einem »katholischen Jihad«. Was meinen Sie damit?
Das ist gar nicht meine Erfindung, ich zitiere da einen Lektor eines großen katholischen Verlages, der den »katholischen Jihad« ausdrücklich anpreist. Er sagt, wir als Katholiken müssten vom Islam lernen, um gegen die Moderne zu kämpfen, gegen den moralisch völlig verfaulten Westen, gegen Pornographie, gegen Homosexualität, ­gegen dieses falsche Denken, das in den Demokratien herrscht.
Sie kritisieren diese Position?
Ja, das finde ich ganz fatal, wenn ein Schulterschluss stattfindet zwischen radikalen Muslimen und radikalen Katholiken mit all dem Aggressions- und Gewaltpotential, das da herrscht. Das ist etwas, wo der Staat sehr wachsam sein muss. Das kann man nicht unter Religionsfreiheit abtun, sondern es geht wirklich darum, unsere offene Gesellschaft und unsere freiheitliche Demokratie gegen solche Tendenzen zu verteidigen.
Sie kritisieren reaktionäre Tendenzen, aber andererseits haben Sie auch für die Kongregation für die Glaubenslehre gearbeitet, die aus der Inquisitionsbehörde hervorging und von Kardinal Joseph Ratzinger geleitet wurde.
Ich habe nicht nur für die gearbeitet, sondern viele Jahre auch eine konservative Zeitschrift herausgegeben. Das hing sicherlich damit zusammen, dass ich wegen meiner Homosexualität noch ein gewisses Sühnebedürfnis hatte und das dann durch eine besonders loyale Haltung gegenüber dem Papsttum und der Kirche ausgleichen wollte. Es wird einem erst nachher bewusst, welche Mechanismen da wirksam waren.
Denken Sie, es ist möglich, die katholische Kirche von innen heraus zu reformieren? Sollte man nicht lieber eine eigene Kirche gründen und damit auch die Macht des Papstes und der konservativen Kirchenoberen einschränken?
Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, eine eigene Kirche zu gründen. Ich bin nicht dafür, die katholische Kirche als Ganzes zu bekämpfen, aber dort, wo die katholische Kirche eindeutig ihre Grenzen überschreitet und sich in gesellschaftliche und politische Fragen intensiv einmischt, ist es die Aufgabe eines jeden, der daran interessiert ist, dass unsere Gesellschaft weitgehend offen bleibt, unabhängig davon, ob katholisch oder nicht, gegen solche Tendenzen zu kämpfen.
Sie behaupteten in einem Interview mit der Münchner Abendzeitung, die Hälfte der katholischen Priester sei schwul. Liegt es daran, dass man sich hinter dem Zölibat verstecken kann und keine Fragen fürchten muss, wenn man Angst vor einem Coming-out hat?
Ja, bei jungen Männern, die aus konservativen Elternhäusern kommen, ist das nach wie vor ein wichtiger Grund. Wo es eigentlich unmöglich ist, dass der Sohn zu seiner Mutter sagt: Ich bin schwul und das ist auch gut so, und ich ziehe mit meinem Freund zusammen. Wenn er sich nicht völlig mit seiner Familie überwerfen will, bleibt ihm häufig kein anderer Weg, als katholischer Priester zu werden und aus dem Manko, das er aus Sicht seiner Familie hat, die höchste Tugend zu machen. Es hängt aber sicher auch damit zusammen, dass reine Männergesellschaften, wie beim Militär, beim Sport oder in der Kirche, eine hohe Anziehungskraft auf nicht wenige Homosexuelle ausüben.
Warum gibt es keine größere Bewegung gegen Homophobie innerhalb der katholischen Kirche, wenn mindestens die Hälfte der katholischen Priester darunter leidet?
Die leiden wirklich darunter, aber man hat es in der katholischen Kirche geschafft, ein System der Angst und der Erpressung zu errichten. Man lässt die Leute ihre Homosexualität heimlich ausleben, aber sobald sie illoyal werden, deutet man ihnen an: Du hast dir da Freiheiten rausgenommen, deshalb erwarten wir, dass du in anderen Bereichen loyal bist. Das habe ich als »heiligen Schein« bezeichnet. Dass man das duldet, solange es heimlich bleibt. Aber sobald es öffentlich wird, werden die Leute mit den schlimmsten Strafen belegt. Dieses System der Heimlichtuerei und Erpressung hat eine stabilisierende Wirkung auf die katholische Kirche.
Denken Sie, dass das durch Ihr Buch und ihr Engagement besser wird? Dass Sie ein Vorbild für viele sind?
Mir haben viele Priester geschrieben: Du hast etwas gemacht, was wir nicht so machen können, weil wir dann sofort arbeitslos auf der Straße stehen würden. Aber du hast öffentlich gemacht, unter welchem Druck wir seit vielen Jahren stehen. Ich bin der Ansicht, dass man solche Kartelle der Angst und der Unterdrückung nur durch öffentliche Sichtbarmachung durchbrechen kann. Man benutzt im Grunde genommen die Tabuisierung der Sexualität dazu, die Menschen beherrschbar zu machen.
Vertreten Sie eine eigene katholische Sexuallehre? Eine, in der Sexualität nicht nur der Fortpflanzung dient und nicht mehr als sündhaft gilt?
Ja, ich glaube, das ist nicht unkatholisch oder unchristlich. Die Katholiken haben sich in den letzten drei, vier Jahrhunderten in einen Antimodernismus verrannt, der fatal ist. Die katholische Kirche hat es über viele Jahrhunderte geschafft, in einem lebendigen Dialog mit den jeweiligen Natur- und Humanwissenschaften zu bleiben, sie war damals auf dem aktuellen Stand. Ende des 19. Jahrhunderts hat das aufgehört. Dadurch ist man – gerade wenn es darum geht, menschliches Verhalten zu beurteilen, und da spielt die Sexualität eine große Rolle – im 19. Jahrhundert hängengeblieben. Das geht so weit, dass der katholische Ärzteverband zum Beispiel zur »Heilung der Homosexualität« Zuckerkügelchen verschreibt. Wenn sich die Kirche auf solche Wissenschaftler stützt, braucht man sich nicht zu wundern, dass sie mit ihrer Sexualmoral nicht mehr ernst genommen wird.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern? Sollte die katholische Kirche toleranter sein oder auf die Wissenschaft hören?
Das ist ein wichtiger Punkt, einen mutigen Dialog mit den aktuellen Human- und Naturwissenschaften zu führen und sich nicht auf obskure Thesen zu stützen. Dann muss die Kirche ganz entschieden weg von ihrer rein biologistischen Sicht der Sexualität. Alles, was mit der Sexualmoral der katholischen Kirche zusammenhängt, beruht auf einem grundlegenden Denkfehler: Die Sexualität des Menschen sei nur für die Vermehrung da. Menschliche Zuneigung, Tiefe, das Bedürfnis, sich intensiv zu begegnen, all das ist bei Tieren, die einen Balztanz aufführen und dann Nachwuchs bekommen, natürlich nicht der Fall. Wenn man die Sexualität des Menschen auf ein animalisches Niveau reduziert, kommt es dazu, dass man Homosexualität ablehnt, dass man künstliche Verhütungsmittel ablehnen muss.
Ist der Katholizismus für junge Menschen überhaupt noch attraktiv?
Jein, würde ich sagen. Diese Fähigkeit des Katholizismus zur Selbstdarstellung hat gerade auf junge Menschen eine eigene ästhetische Anziehungskraft. Im Vordergrund des Papstbesuchs wird nicht die intellektuelle Auseinandersetzung mit seinen Thesen stehen, es wird auf die Bilder ankommen, die er den Medien liefert: der Papst, der Kinder auf den Arm nimmt. Wir kennen solche Bilder auch von Leni Riefenstahl, die Hitler inszeniert hat, oder von anderen Machthabern. Die katholische Kirche ist in ihrer Inszenierung sehr professionell. Nach außen wird dadurch nicht deutlich, dass der Papst ein homophober Fundamentalist ist.
Wenn es darum geht, den Katholizismus komplett zu leben, hört die Anziehung sehr schnell auf. Wir wissen das von den Weltjugendtagen – während der Papst gegen Kondome und Pille predigt, werden dort Unmengen an Kondomen verbraucht. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass man sich als junger Mensch da eigene Wege sucht. Die Frage ist nur, wenn man bei diesem Schunkelkatholizismus mitmacht, inwiefern man eben den Einfluss des Vatikan stärkt und damit gesellschaftliche Konstellationen schafft, die die Freiheiten, die wir jetzt besitzen, gefährden könnten.
Also setzen Sie weiterhin auf eine Reformbewegung von innen?
Von innen und von außen. Wenn ich aus der Kirche ausgetreten bin, interessieren mich Interna nicht. Aber wenn der Abgesandte des Papstes bei den Vereinten Nationen in einer Rede fordert, dass die Staaten weiterhin das Recht haben müssen, gegen Homosexualität strafrechtlich vorzugehen, und das zur gleichen Zeit geschieht, in der Uganda darüber abstimmt, die Todesstrafe für Homosexuelle wieder einzuführen, dann ist das kein kircheninternes Problem mehr, sondern es geht alle an, die an den Menschenrechten interessiert sind, unabhängig davon, ob sie in der Kirche sind oder nicht.