Unter Nachbarn

Schon beim Verlassen des Hauses hat man das Gefühl, dass die Sache mit dem Nachbarschaftskonzept aufgehen könnte. Vor der Bäckerei nebenan hat sich eine illustre Runde aus Senioren und jungen Menschen mit Sonnenbrillen und Röhrenjeans versammelt. Ein älterer Mann lässt sich ächzend auf einen der Plastikstühle fallen und beschwert sich lautstark, dass auf dem Herrmannplatz »keen Durchkommen« sei. Ein Rentner, der neben ihm sitzt, sagt: »Det is jut!« Der Sitznachbar wird darüber aufgeklärt, dass gleich die Demonstration gegen hohe Mieten beginne, seine Miene hellt sich auf. Einem jungen Mann, der gerade mit einem Transparent vorbeigeht, schmettert er ein »Richtig so!« hinterher, um anschließend den verdutzt blickenden Anwesenden mitzuteilen: »Wir müssen jetzt zusammenhalten.« Die Organisatoren der Berliner »Mietenstopp-Demo«, ein Bündnis linker Kiezinitiativen, hatte sich zum Ziel gesetzt, dass sich Nachbarn über Probleme austauschen. Mit Erfolg, zumindest entdeckt man später auch die Seniorengruppe unter den Demons­tranten. So voll, wie der Mann angekündigt hat, ist es beim Auftakt auf dem Hermannplatz dann doch nicht. Einige halten selbstgebastelte Straßenschilder in den Händen, es sieht aus wie die Kulisse für ein Dorffest. Die beschauliche Atmosphäre ändert sich, als es knallt. Auf dem Dach eines Hauses lassen sieben schwarz Vermummte Feuerwerkskörper explodieren und entrollen ein Transparent, auf dem steht: »Hohe Mieten sind so gar nicht Punkrock.« Alle jubeln, auch die, die nicht nach Punkrock aussehen. Danach geht es los. Das Echo auf die Parolen der Hausbesetzerszene ist nur schwach, aber beim Slogan »Mein Kiez, mein Block – Mietenstopp« wird eifrig mitgegrölt. Und die Menge wird größer, bis zur Schlusskundgebung werden immer mehr Nachbarn eingesammelt. Die Veranstalter sprechen später von 6 000 Teilnehmern. Politiker konnte man übrigens auch entdecken: als Karikaturen auf Plakaten, mit Slogans wie »Die Armen ökologisch korrekt verdrängen«.