Die Gewerkschaften wollen sich modernisieren

Die besseren Manager

Um für Mitglieder attraktiver zu werden, wollen die Gewerkschaften ihre Arbeit modernisieren. Dabei setzen sie auf den »Standort« und betriebswirtschaftliche Professionalität.

Haben die DGB-Gewerkschaften noch eine Chance oder sind sie ein Auslaufmodell? Mit dieser Frage beschäftigen sich die zwei größten Einzelgewerkschaften im DGB. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi tagte in der vorigen Woche in Leipzig, die IG Metall lädt vom 9. bis zum 15. Oktober zum 22. Gewerkschaftstag nach Karlsruhe. Es solle über die Herausforderungen der kommenden Jahre diskutiert werden, schreibt der IG-Metallvorsitzende Berthold Huber auf der Homepage der Gewerkschaft und macht sich und den Mitgliedern Mut.
»Eine erste wichtige Etappe haben wir zurückgelegt: Das erste echte Mitgliederplus seit über 22 Jahren.« Mit dieser Nachricht begründet Huber die zentrale Bedeutung der Mitgliederwerbung, die auf dem letzten Gewerkschaftstag 2007 nicht ganz freiwillig beschlossen wurde. Seit den neunziger Jahren verzeichnen alle Einzelgewerkschaften hohe Verluste bei den Mitgliederzahlen, was mit finanziellen Einbußen und einer Verminderung des Einflusses einhergeht, zumal die Tarifbindung sinkt und ganze Branchen mittlerweile gewerkschaftsfreie Zonen sind. Manche Funktionäre mussten mit Schrecken feststellen, dass ihre Organisation als Vermittler zwischen Kapital und Arbeit schlicht entbehrlich geworden ist. Einige Linke innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften sprachen schon vom Ende des Gewerkschaftskorporatismus deutscher Prägung und verknüpften damit die Hoffnung, dass die Möglichkeiten für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik wachsen könnten. Doch das dürfte eine Illusion bleiben, zumindest wenn man aktuellen Untersuchungen zur gewerkschaftlichen Erneuerung Glauben schenkt.

In dem Buch »Gewerkschaftliche Modernisierung«, das kürzlich im VS-Verlag erschienen ist, kommen 15 Gewerkschafter und gewerkschaftsnahe Wissenschaftler mehrheitlich zu dem Schluss, dass bei der Erneuerung vor allem das betriebswirtschaftliche Denken von Betriebsräten und Gewerkschaftern gefördert werde. Untersucht wurden gewerkschaftliche Erneuerungsansätze in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. 2005 wurde vom dortigen IG Metall-Bezirk die Kampagne »Besser statt billiger« begonnen. Vor dem Hintergrund wachsenden Firmenverlagerungen und Tarifabweichungen erarbeiten Betriebsräte mit Unterstützung der Belegschaft und externen Beratern Konzepte zum Erhalt des Betriebes und wollen so beweisen, dass sie den Standort besser als die Manager verteidigen können. Dafür sind Betriebsräte auch bereit, Arbeitszeitverlängerungen und Akkorderhöhungen mitzutragen, wie verschiedene Autoren detailliert schildern. Dennoch sehen die Forscher einen Erfolg dieser gewerkschaftlichen »Besser statt billiger«-Strategien in der Stärkung des Selbstbewussteins der Belegschaft, die ihr Expertenwissen einbringen könne.
Dass die Kollegen auf die Idee komme die Betriebe gleich selbst zu verwalten, ist ausdrücklich nicht vorgesehen. »Betriebsräte sollen nicht die Aufgaben der Manager übernehmen, aber sie sind darin zu stärken, die vom Unternehmen beschrittenen Wege in ihrer Relevanz für die Zukunft von Einkommen und Arbeit am Standort zu bewerten und ihren Einfluss auf alternative Entscheidungsoptionen zu steigern«, skizzieren drei Gewerkschafter aus Nordrhein-Westfalen in dem Buch die Rolle des besseren Unternehmensberaters. »Arbeit und Einkommen sichern und fördern, dazu braucht es eine nachhaltige Unternehmensstrategie und keine kurzfristige Billiger-Lösung. Dann profitieren die Beschäftigten und das Unternehmen«, wird ein Betriebsrat zitiert.

Wenn es meinen Unternehmen gut geht, geht es auch mir gut – dieses Credo der Sozialpartnerschaft scheint nicht nur in den Vorständen, sondern auch in großen Teilen der Gewerkschaftsbasis noch immer vorzuherrschen. Dafür ist man dann auch bereit, nicht nur Kollegen aus anderen Betrieben als Konkurrenten zu begreifen. Schon im eigenen Betrieb ist die Solidarität oft äußert begrenzt. So zeigen die Gewerkschaftssoziologen Hajo Holst und Ingo Matuschek anhand einer Untersuchung in einem Betrieb mit etwa 6 000 Beschäftigten und vielen IG-Metall-Mitgliedern, wie ein betriebswirtschaftliches Denken, das sich vor allem auf die »Rettung des Standorts« konzentriert, zur Aufkündigung der Solidarität mit Erwerbslosen und Leiharbeitern führt. 54 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass auf Erwerbslose größerer Druck ausgeübt werden sollte, ein weiteres Drittel stimmte dieser Aussage zumindest teilweise zu. Der Einsatz von geringer bezahlten Leiharbeitern im Betrieb wurde von den Befragten mehrheitlich als ungerecht bezeichnet. Allerdings stimmten über 60 Prozent der Aussage zu, dass Leiharbeiter dem Betrieb ermöglichten, auf die Anforderungen des Marktes flexibel zu reagieren. Zu einer Solidarisierung mit den Leiharbeitern kommt es nicht. Für 43 Prozent der Befragten waren sie nicht Teil der »Betriebsfamilie«. Dass solche Einstellungen die gewerkschaftliche Arbeit untergraben könnten, wird eher außerhalb des Gewerkschaftsapparats wahrgenommen.

Nach Auffassung des Jenaer Soziologen Klaus Dörre hat die IG Metall durch ihre Einbindung in einen »Krisenkorporatismus« in den vergangenen Jahren die Arbeitsplätze für die Stammbelegschaft in wichtigen Betrieben gesichert, aber auch zu einer weiteren Aufspaltung des Arbeitsmarktes beigetragen. Durch die enorme Ausweitung der prekären Beschäftigungsverhältnisse in den Krisenjahren drohten Gewerkschaften wie die IG Metall als Interessenvertreter der Stammbelegschaft die Legitimation dafür zu verlieren, die Interessen der Lohnabhängigen insgesamt zu vertreten, warnt Dörre.
Noch schärfer geht Mag Wompel, Soziologin und Redakteurin der Internetplattform Labournet, bewusste Entscheidung wird zwischen der Rettung der immer weniger zur Existenzsicherung ausreichenden Jobs hier und der Lebensqualität der lohnabhängigen Menschen überall getroffen«. Die Kosten trügen Leiharbeiter und andere Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, die im Aufschwung begriffen sind. Dennoch hätten auch viele Linke die Politik der Gewerkschaftsapparate in der Hoffnung mitgetragen, dass die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus gemildert würden, kritisiert Wompel in einem Beitrag für die Direkte Aktion.
Am Ende bleibt auch der einst so mächtigen IG-Metall nur der Appell an »Fair Play« im Tarifkampf. Das zeigte sich kürzlich in Berlin bei der Pressekonferenz der vor sechs Monaten von der Gewerkschaft initiierten Kampagne »Respekt – Kein Platz für Rassismus«. Schilder mit dieser Aufschrift sollen künftig in vielen Betriebskantinen und an Fabrikmauern zu sehen sein. Der begrüßenswerte antirassistische Ansatz wird dadurch relativiert, dass sich die IG Metall rühmt, Unternehmen wie die Porsche AG als Unterstützer gewonnen zu haben. Die Frage, ob das zu seiner Gründungszeit in das NS-System verstrickte Unternehmen damit nicht in erster Linie Imagepflege betreibe, wurde zumindest von den anwesenden Gewerkschaftern nicht gestellt.
Wenn dann »Respekt« auch im Tarifbereich gefordert wird, wird eine antirassistische Initiative in den allgemeinen Appell »Seid nett zueinander« transformiert. Sie zeigt die Schwäche einer Organisation, die auf »Fair Play« im Tarifkampf und Anerkennung als der bessere Unternehmensberater beim Tarifpartner angewiesen ist. Begriffe wie gewerkschaftliche Gegenmacht scheinen aus ihrem Vokabular gestrichen worden zu sein, statt »Das Kapital« dürften für angehende Betriebsräte und Gewerkschafter Bücher zur Betriebswirtschaftslehre die bevorzugte Lektüre werden.