Die Reden von Abbas und Netanyahu bei der UN

Freude und Fatahlismus

Alle Welt hatte gespannt auf den großen Showdown vor der Uno gewartet. Doch das Spektakel blieb aus, die Aufführung bot wenig Neues. Erstaunlich war immerhin wieder einmal die Sturheit der beiden Hauptdarsteller.

»Die Reden von Mahmoud Abbas und Benjamin Netanyahu in der Uno haben vor allem gezeigt, wie unendlich weit beide Seiten voneinander entfernt sind, wie sie aneinander vorbeireden, wie ein Friede fast undenkbar wirkt.« So kommentierte ein israelischer Professor am Freitagabend im Fernsehen die Auftritte des palästinensischen Präsidenten und des israelischen Ministerpräsidenten.
Im Plenum der Uno-Generalversammlung in New York erhielt Abbas am Freitag nur wenige Male, dafür aber umso stürmischeren Beifall, etwa als er seinen Antrag zur Aufnahme des Staates Palästina als 194. Mitglied der Uno in die Luft hielt. Netanyahu hingegen, zweifellos der bessere Rhetoriker, erhielt sehr häufig Applaus, aber umso schwächeren, weil die »automatische Mehrheit« in der Uno Israel kritisch bis feindlich gegenübersteht.

Abbas’ Rede wurde live auf großen Leinwänden vor der Geburtskirche in Bethlehem und auf dem fahnengeschmückten Arafat-Platz in Ramallah übertragen. Als Abbas den Gründer der palästinensischen Nationalbewegung, Yassir Arafat, erwähnte, gab es hysterischen Jubel. »Mit unserer Seele, mit unserem Blut, opfern wir uns für Palästina«, lautete ein Sprechchor. »Nach Jerusalem marschieren wir, als Millionen Zeugen«, wurde ebenfalls gerufen. Und: »Allahu akbar« (»Allah ist groß«). Als der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde einen Frieden mit Israel erwähnte, gab es in der Menge von einigen Tausend Menschen ein indifferentes Schweigen. In Bethlehem war der Krippenplatz Minuten nach der Rede wie leergefegt, während in Ramallah die Feiern bis in die Nacht andauerten.
In Israel wurden beide Reden so unterschiedlich bewertet wie die politischen Ansichten der israelischen Rechten oder der linksgerichteten Bewegung »Peace Now« auseinanderklaffen. Ein nationalreligiöser rechter Politiker erklärte in einer der unzähligen israelischen Fernsehtalkshows zu diesem Thema, dass er in der Rede von Abbas nur Lügen und Geschichtsklitterung entdeckt habe, während Netanyahu der Welt endlich einmal »die Wahrheit« gesagt und den vermeintlichen palästinensischen Friedenswunsch als zynischen Betrug entlarvt habe. Yariv Oppenheimer von »Peace Now« bezeichnete hingegen den Wunsch von Abbas nach einem eigenen Staat als »würdig«, während Netanyahus »plumpe« Erwiderung »hohl« gewesen sei.
Auch wenn man weder für die eine noch für die andere Seite Partei ergreifen möchte, kommt man nicht umhin festzustellen, dass Abbas vor allem den gesamten bekannten Katalog palästinensischer Propaganda vom Blatt ablas und gleichzeitig Israel keinerlei Willen zu Kompromissen oder Frieden zugestand. Netanyahu wiederum kritisierte erst einmal die Uno und bezichtigte sie der Lügen und einseitigen Verurteilung Israels, während sie niemals Verbrechen der Araber oder Palästinenser an Israelis verurteilt habe, darunter Terroranschläge gegen Zivilisten, Raketenbeschuss der Hamas und die Entführung des Soldaten Gilad Shalit. Dann hielt er den Palästinensern ihr ganzes Sündenregister vor: verpasste Verhandlungen, zurückgewiesene Angebote, Raketenbeschuss und Terror. Mehrfach betonte Netanyahu die israelische Zustimmung zu einem palästinensischen Staat: »Die Wahrheit ist, dass Israel Frieden mit einem palästinensischen Staat wünscht, während die Palästinenser einen Staat ohne Frieden wollen.« Und: »Israel wird nicht das letzte Land sein, dass einen palästinensischen Staat als neues Mitglied der Uno willkommen heißt. Wir werden die Ersten sein.«
Netanyahu knüpfte die Wiederaufnahme von Verhandlungen nicht an Bedingungen, wie es Abbas tat. Dieser verlangte unter anderem eine israelische Verpflichtung zum Rückzug zur Grenze von 1967 und einen Baustopp in den Siedlungen. Aber auch Netanyahu stellte Forderungen, die für die Palästinenser inakzeptabel sind: eine Anerkennung Israels als Staat des jüdischen Volkes und eine Entmilitarisierung des künftigen palästinensischen Staates. Als Netanyahu zum Abschluss seine »Hand ausstreckte« und Abbas aufforderte, »jetzt sofort und hier in diesem Hause« die Verhandlungen wieder zu erneuern, hatte der palästinensische Präsident längst das Uno-Gebäude verlassen und sich auf den Weg zum Flughafen gemacht, um sich in Ramallah feiern zu lassen.

Diesen beiden Reden von Autisten, die offenbar nur sich selbst sehen, war Abbas’ Übergabe des Antrags zur Aufnahme eines Staates Palästina in die Uno an Generalsekretär Ban Ki Moon vorausgegangen. Abbas hatte sich vom Druck der Amerikaner und Europäer nicht von diesem Schritt abhalten lassen. Für Abbas gab es kein Zurück mehr, trotz des Risikos, von seinen wichtigsten Förderern und Finanziers, den Amerikanern, Europäern und Israelis, künftig geschnitten zu werden. »Obama hat Abbas vor zwei Jahren eine Leiter hingestellt, auf die er geklettert ist. Und dann hat Obama die Leiter weggenommen, ohne Abbas vorher wieder herabsteigen zu lassen. Deshalb sitzt er heute auf dem hohen Ast.« So beschrieb ein ehemaliger palästinensischer Minister die absurde Situation, in der der palästinensische Zwerg den amerikanischen Elefanten in der Uno gegen die Wand drängte und ihm mit Verderbnis in der gesamten arabischen Welt drohte.
Der von Abbas überreichte Aufnahmeantrag umfasst drei Dokumente. In dem förmlichen Antrag schreibt Abbas als »Präsident des Staates Palästina, Vorsitzender des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation«, dass er die »profunde Ehre« habe, im Namen des palästinensischen Volkes den Antrag auf eine Mitgliedschaft des Staates Palästina bei der Uno zu stellen. Dabei beruft sich Abbas neben »natürlichen, legalen und historischen Rechten« der Palästinenser auch auf den Teilungsbeschluss der Uno von 1947. Bekanntlich haben die Juden diese Resolution angenommen und daraufhin 1948 ihren Staat Israel gegründet, während die arabischen Staaten die Resolution ablehnten und mit Krieg gegen Israel beantworteten (siehe auch das Dossier auf den Dschungel-Seiten 18 bis 23). Weiter beruft sich Abbas auf die von seinem Vorgänger Yassir Arafat in Algiers 1988 verkündete Unabhängigkeitserklärung des Staates Palästina.

In einem zweiten Papier deklariert er die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zur »alleinigen legitimen Repräsentantin des palästinensischen Volkes«, was die islamistische Hamas, die im Gazastreifen regiert, allerdings ganz anders sieht. Das dritte Dokument ist ein Brief, in dem Abbas »Jahrzehnte der Vertreibung, Enteignung und fremden militärischen Besatzung« beklagt. Er zählt darin zahlreiche Uno-Resolutionen und Beschlüsse einer »Mehrheit der internationalen Gemeinschaft« auf, die den Palästinensern ein Recht auf Staatlichkeit und Anerkennung auf der Basis der »Grenzen vom 4. Juni 1967, mit Ostjerusalem als Hauptstadt« einräumen. Auffällig ist, dass zwar ein »israelisch-palästinensischer Konflikt« und »israelische Siedlungsaktivitäten« in den Papieren erwähnt sind. Aber das Wort »Israel« oder gar »Staat Israel« ist in all diesen Dokumenten ausgespart worden.
Neues hat Abbas ebensowenig geliefert wie Netanyahu. Das Nahost-Karussell dreht sich also unermüdlich weiter, immer im Kreis. Von Fortschritten kann keine Rede sein. Möge dem US-Präsidenten Barack Obama der Erfolg beschieden sein, dass dieser Konflikt bis zum Ende seines Wahlkampfes 2012 friedlich beigelegt wird, damit Israel und das »einzige unter Besatzung lebende Volk der Welt« (Abbas) in Frieden in jeweils einem eigenen Staat leben können. Eine Reaktion der Bayern, Franken, Schwaben, Kurden, Korsen, Basken, Drusen, Berber, Tibeter und anderer Völker unter Besatzung und ohne Staat liegt bisher nicht vor.