»Community Gardens« in New York

Friede den Gurken

Die New Yorker Community Gardens sollen Orte der Freiheit und Selbstverwirklichung sein. Doch die kapitalistische Wirklichkeit hat sie eingeholt.
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Vor einigen Wochen rief das New Yorker Guggenheim Museum in Zusammenarbeit mit BMW ein neues Kunstprojekt ins Leben: »Rethink NYC«, eine »mobile Denkfabrik«, die Künstler, Architekten, Stadtforscher und Designer zusammenbringt. Unter dem Titel »Confronting Comfort« wird diskutiert, wie städtisches Leben nachhaltiger und sozialverträglicher gestaltet werden kann. Denn die Menschen hätten »unerbittliche Systeme konsumorientierten Komforts erschaffen (…), die die Monotonie der städtischen Strukturen kompensieren sollen, dabei aber die Auseinandersetzung mit der Umwelt verhindern«, so die Veranstalter. Sie gehen gegen diesen vermeintlich konsumistischen Lebensstil mit Vorträgen über das Wohlbefinden von Tieren und ökologische Fußabdrücke, mit Workshops zu Yoga und mit Filmen über Müllvermeidung und Arbeitskollektive an.
Ein ausgerechnet von BMW gesponsertes Kunstprojekt proklamiert zu einem Zeitpunkt, an dem in allen Bundesstaaten gegen Entlassungen und Kürzungen der Sozialleistungen demonstriert wird, das heutige Stadtleben sei zu bequem und konsumorientiert. Als Gegenstück zum bemängelten Lebensstil können die New Yorker Gemeinschaftsgärten, die Community Gardens, gelten. In Krisenzeiten sind sie ein Zufluchtsort umwelt- und ernährungsbewusster Bürgerinnen und Bürger, die genug Zeit und Geld haben, um nach Feierabend noch ihre Hände in den Dreck zu stecken.

Einer dieser Orte ist der East 4th Street Community Garden in Brooklyn. Er hat rund 80 Mitglieder im Alter zwischen zwei und 80 Jahren. Das 74 Hektar große Grundstück ist in 20 Reihenbeete geteilt, auf denen Gemüse und Blumen wachsen. Ein Beet wird unter mehreren Personen aufgeteilt. Die Mitgliedschaft ist günstig, sie kostet nur 25 Dollar im Jahr und wird von wenigen Auflagen abhängig gemacht: rein biologischer Anbau, Anwesenheit bei Mitgliedertreffen und Hilfe bei der Arbeit zum Erhalt des Gartens.
Die Regeln sind dagegen weitaus zahlreicher und haben sich im Lauf der Jahre geändert. Jenny, die schon seit langem mitarbeitet, berichtet, dass jetzt viel mehr Familien den Garten nutzen: »Als ich vor zwölf Jahren meine ersten Mitgliedertreffen besuchte, warnte mich meine Freundin, nicht über Kinder zu sprechen. Heute darf im Garten niemand mehr barfuß laufen, rennen oder Ball spielen. Alles wegen der Kinder.« Die meisten Gärten ähneln sich in ihrem Regelkanon: Neben den eben genannten umfasst er das Verbot, Alkohol oder andere Drogen zu konsumieren, die Gewächse anderer Mitglieder zu ernten oder Haustiere in den Garten zu bringen. Mitunter ist auch lautes Schimpfen und Glücksspiel untersagt. Man erwartet fast, dass als nächstes lautes Lachen verboten wird.
In jedem Sommer wächst die Angst der Gärtnerinnen und Gärtner, ihre lang gehegten und gepflegten Erträge könnten gestohlen werden. Die New York Times berichtet, dass gerade in diesen ökonomisch schwierigen Zeiten Essen häufiger als Blumen geklaut würde. Das verwundert weniger als die Vehemenz, mit der die Gärtner ihr Eigentum verteidigen. Nicht nur Warnschilder, die barbarische Tötungsphantasien der Beraubten wiedergeben, auch Elektrozäune sollen Diebe fernhalten. Dabei geht es oftmals nur um eine Gurke oder ein paar Tomaten.

Das Ideal der Kommune, in der füreinander gesorgt und gepflanzt wird, scheitert erbärmlich an der Verteidigung des Privateigentums. Ein Zurück zur vermeintlich freien Natur ist im Kapitalismus ein schwieriges Unterfangen. Hätten die Gärtner und Gärtnerinnen nur aus Spaß an der Freude und im selbstlosen Einsatz für die Allgemeinheit gebuddelt und gedüngt, müssten sie ihre Ernte auch bedenkenlos an Bedürftige verteilen können. Doch die harte Arbeit will man nicht umsonst geleistet haben. Schließlich soll der Community Garden im Unterschied zum Arbeits­all­tag Freiheit, Selbstverwirklichung und Kreativität erlauben, aber auch konsumierbare Produkte hervorbringen.
Schon zur Entstehungszeit der Community Gardens war die Diskrepanz zwischen agrikultureller Utopie und kapitalistischen Zwängen unüberbrückbar. Als Reaktion auf die Finanzkrise der siebziger Jahre begannen die New Yorker, in Brachen und Baulücken Gärten anzulegen, um von Vermietern und der Stadt vernachlässigte Orte zu begrünen, Spielplätze zu errichten und Gemüse anzubauen. Als das Konzept Erfolg zeigte und die Lebensqualität ganzer Stadtviertel sich verbesserte, wurden die begrünten Grundstücke ganz im Sinne kapitalistischer Gentrifizierung auch für Immobilienhändler wieder attraktiv.
Die Stadt begann, sie an den Meistbietenden zu versteigern. Eine Auktion, bei der über 100 Gärten ohne Prüfung der Nutzungsvorhaben der Bieter versteigert werden sollten, kommentierte der damalige Bürgermeister Rudolph Giuliani mit den Worten: »Willkommen in der nachkommunistischen Epoche«. Nach heftigen Protesten wurde die Auktion ausgesetzt und die zwei größten Gartenvereine, der Trust for Public Land und das New York Restauration Project, konnten von der Stadt 114 Gärten kaufen. Erst im Jahr 2002 wurde eine Vereinbarung beschlossen, die den Fortbestand von rund 400 Gärten sicherte. Nach einer Erneuerung der Vereinbarung im Jahr 2010 gelten die bestehenden Regeln weiterhin für über 600 Community Gardens in New York.
Doch die Gartenbewegung hat sich längst weiterentwickelt. Seit einigen Jahren ist ein neues Konzept in Mode gekommen. Es nennt sich Permakultur und soll die Lebensräume von Menschen, Tieren und Pflanzen miteinander in Einklang bringen. Ursprünglich in der Landwirtschaft entstanden, überträgt die Permakultur ihre Beobachtungen von Naturkreisläufen jedoch auch auf gesellschaftliche Verhältnisse. Sie strebt nicht nur autarke Selbstversorgung an, sondern reduziert die Strukturen menschlichen Zusammenlebens auf reine Selbstregulationsprozesse. Ein Biologismus, der außer Acht lässt, dass der Mensch als vernunftbegabtes Wesen zu ein wenig mehr Reflexion fähig ist als eine Hirsch oder eine Tomate und deshalb auch unter anderen Bedingungen leben möchte.

Ganz im Sinne dieser diffusen Welterklärung sind die Anhänger der ganzheitlichen Methode auch der Esoterik nicht abgeneigt und suchen ihr Heil in der spirituellen Kraft der Natur. Viele von ihnen sind Landeigentümer, die aus der Gesellschaft aussteigen und mit Subsistenzwirtschaft glücklich werden wollen. Sie basteln sich ihre private chemiefreie Zone, essen Löwenzahn und züchten Ziegen. Im Lichtarbeiterforum, einem esoterischen Sammelbecken für späthippieske Aussteiger, schwärmt ein brasilianischer Bauer: »Ich setze mich gerne zwischen meine Ziegen. Das ist für mich wie Meditation«.
Zufriedenheit schöpfen die sogenannten Permis aus der Ernte. Erst einmal muss man aber genug Geld für den Landankauf zur Verfügung haben. Ist diese Hürde überwunden, zeigt sich, dass Landwirtschaft kein Sonntagsspaziergang ist: »Wühlmäuse und Wildschweine suhlen sich in den Beeten«, »Katzen kacken mit Vorliebe hinein« und »Ringelblumen werden zur Seuche«, wird in einem Permakultur-Forum berichtet.
Der Kampf ums Überleben auf eigene Faust ist hart. Trotzdem wird das alternative Lebenskonzept immer populärer. In Deutschland gibt es schon eine Permakultur-Akademie, die Interessierte in einem zweijährigen Studium zu Diplom-Permakultur-Designern ausbildet. Dieser Titel ist nicht staatlich anerkannt, dafür ist die Akademie aber als Unterstützerin der UN-Dekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« ausgezeichnet worden. Wie 1 300 anderen Projekten wurden ihr eine Fahne, ein Stempel, eine Urkunde und eine Metallplakette verliehen. Auch international ist die Bewegung in den vergangenen Jahren rasant anwachsen, und Interessierte zahlen bis zu 1 500 Dollar, um in einer Woche zu lernen, wie man Bakteriendünger oder Pflanzenkohle herstellt. Es sind wahrscheinlich dieselben Menschen, die es sich leisten können, ihre Zeit bei einem Projekt wie »Rethink NYC« zu verbringen.