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Nachdem wir Ihnen in der vergangenen Woche anhand privater Fotodokumente und Tagebuchauszüge einen Eindruck davon vermittelt haben, wie ein linkes Kollektiv seinen Urlaub verbringt – nämlich mit allerlei wagemutigem Extremsport und launigen Besäufnissen inmitten von Lipizzanern und wuschelbärtigen Philosophen, untermalt von kompromisslos harter Musik –, wollen wir Ihnen heute verraten, wie der in Berlin verbliebene Rest sich seine genossenfreie Zeit vertrieben hat. Wahrscheinlich stellen Sie sich jetzt irgendwelche Orgien in den sturmfreien Redaktionsräumen vor, aber damit beweisen Sie nur, dass Sie weder unsere Redaktionsräume noch unsere urlaubsmuffeligen Kollegen kennen. Aus den Rohren in unserem Konferenzsaal riecht es schon lange nach einer Mischung aus Herbstlaub, Schimmel, Schlamm und Gully, unsere Küche schreit nach einer Universaldesinfektion, die Büropflanzen in unseren Zimmern gammeln lustlos vor sich hin und die Bier-, Wein- und Sektflaschen, die sich in unseren Regalen angesammelt haben, sind leer. Nur der Kollege vom Inland ist so freundlich, stets ein Fläschchen Pflaumenschnaps bereitzuhalten, aber das reicht nicht aus, damit mehrere Ideologiekritiker gleichzeitig ihren Kopf verlieren. Außerdem wären die Kollegen ja gar nicht zu Hause geblieben, wenn sie Sehnsucht nach lustvollen Gruppenerfahrungen gehabt hätten. Stattdessen sind die Redakteure vom Feuilleton, die es in Berlin genauso langweilig finden wie in Ljubljana, unter dem Vorwand, eine Buchmessenausgabe vorbereiten zu wollen, nach Island verschwunden, um es sich im Whirlpool gemütlich zu machen. Die beiden Lektoren, die ihre gemeinsame öffentliche Diskussion über Polyamorie mit einer Mischung aus Vorsicht und Feigheit ausgerechnet in den Zeitraum unseres Slowenien-Aufenthalts gelegt hatten, führten in ihrem Hinterzimmer Streitgespräche über die Abgründe der Liebe. Und unsere Layouterin, die sonst zumindest ein Minimum an geregelter Arbeitstätigkeit garantiert, ist binnen weniger Tage nach Italien geflüchtet, so dass auch die übrigen Verbliebenen ihre Anwesenheit am Arbeitsplatz bald für überflüssig hielten. Wir hoffen, dass dieser Zustand allgemeiner Untätigkeit sich nicht allzu stark in der vergangenen Ausgabe, die in dieser Zeit produziert wurde, niedergeschlagen hat. Die vorliegende dagegen ist wieder weitgehend unter normalen Bedingungen entstanden. Wobei wir den befremdlichen Eindruck nicht loswerden können, dass wir, wenn wir alle zusammen sind, auch nicht mehr miteinander reden als in Zeiten der Trennung. Das gehört unbedingt als Tagesordnungspunkt in die nächste Geschäftsführungssitzung. Vielleicht laden wir als Gast einen Polyamoristen ein.