Kann Palästina ein Staat werden?

Kein Upgrade für Palästina

Die Palästinensische Autonomiebehörde verspricht sich von einer Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen vor allem eines: eine Stärkung ihrer Position im Konflikt mit Israel. Bis heute fehlen den palästinensischen Autonomiegebieten jedoch wesentliche Merkmale eines modernen Territorialstaates.

Selten hat eine UN-Generalversammlung so viel Aufmerksamkeit erfahren wie in diesem Herbst. Die öffentlichkeitswirksame Kampagne von Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), für den Antrag auf eine UN-Vollmitgliedschaft für Palästina führte zu hektischen diplomatischen Aktivitäten rund um den Globus. Der international mit Spannung erwartete Showdown in New York, inklusive Zitterabstimmungen und großer Gesten, blieb vergangene Woche jedoch aus. Der Sicherheitsrat, der laut UN-Charta Neumitglieder vor einer Wahl in der Generalversammlung empfehlen muss, stimmte nicht ab. Stattdessen wird der palästinensische Antrag erst einmal auf unbestimmte Zeit von Unterkomitees des Rates bearbeitet, was Wochen oder Monate dauern kann. Den USA wurde damit die Peinlichkeit eines Vetos gegen eine sich abzeichnende Mehrheit im Sicherheitsrat vorerst erspart.
Bis der Sicherheitsrat abgestimmt hat, kommt auch die sogenannte »Vatikanoption« nicht in Frage, also die Aufwertung der palästinensischen Vertretung in der Generalversammlung von einer »beobachtenden Organisation« zu einem »beobachtenden Nichtmitgliedsstaat«. Eine Friedensinitiative des sogenannten Nahost-Quartetts, zu dem die Uno, die Europäische Union, die USA und Russland gehören, die nach den Reden von Abbas und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu lanciert wurde, kann angesichts der ersten ablehnenden Reaktionen der PA und Israels nach nur zwei Tagen bereits als gescheitert gelten (siehe Seite 5).

Den schwierigen diplomatischen Verhandlungen liegt die Frage nach dem Verhältnis der PA zur Staatlichkeit zugrunde. Dabei ist die in diversen internationalen Medien kolportierte Behauptung, die Palästinenser hätten bei der UN ihre Staatlichkeit »beantragt«, schlichtweg falsch. Anders als es sich Multilateralisten gerne ausmalen, ist die UN eine zwischenstaatliche Organisation und kein weltumspannender Leviathan, der nach Gutdünken staatliche Weihen verteilen kann.
Aber handelt es sich bei Palästina nun um einen Staat? Israel und die USA, aber auch Deutschland und weitere Länder sind der Ansicht, dass ein palästinensischer Staat erst entstehen kann, wenn die »permanent status negotiations« mit Israel erfolgreich abgeschlossen sind – also erst, wenn die zentralen Fragen nach dem Grenzverlauf, dem Status Ostjerusalems und dem Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge verbindlich geklärt worden sind.

Für die Sichtweise, dass es sich bei Palästina noch nicht um einen Staat handelt und dass es daher auch kein UN-Mitglied werden kann, spricht viel. Zwar proklamierte Yassir Arafat schon 1988 den palästinensischen Staat. Die einzige Folge dessen war, dass das Namensschild der Palestinian Liberation Organization (PLO) bei den Vereinten Nationen durch eine Resolution der Generalversammlung in »Palestine« geändert wurde. Der Staat Palästina blieb eine Fiktion, die PLO und ihr Zentralorgan, der Palästinensische Nationalrat, blieben die internationalen Sachwalter der palästinensischen Sache. Dies änderte sich auch mit der Gründung der PA nicht, die 1993 durch die Abkommen von Oslo als eine Selbstverwaltungsbehörde mit streng begrenzten Hoheitsbefugnissen konstituiert wurde. Bis heute fehlen den palästinensischen Autonomiegebieten wesentliche Merkmale eines modernen Territorialstaates. Klare Grenzen sind nicht auszumachen, ein Gewaltmonopol existiert nicht, da bis zu einer Verhandlungslösung weite Teile der Westbank sowie der gesamte Luftraum und die Küstengewässer des Gaza-Streifens unter israelischer Kontrolle verbleiben. Außerdem herrscht im Gaza-Streifen mit der Hamas eine Gruppe, die der PA feindlich gesinnt ist und den Gang zur UN von Anfang an abgelehnt hat.
In der Ausrufung eines eigenen Staates sehen die Palästinenser die Umsetzung ihres Rechts auf Selbstbestimmung. Diese steht ihnen völkerrechtlich zu, jedoch kein Recht auf Staatsgründung. Dennoch gilt ihnen die Staatsproklamation Arafats als rechtskräftiger Akt. Zudem haben bis heute 126 Staaten Palästina anerkannt.
Was als Staat gelten kann und was nicht, lässt sich aber letztendlich nicht rechtsverbindlich bestimmen. Staatlichkeit ist ein rein faktisches Phänomen, das auf fortgesetztem Verkehr auf Augenhöhe mit einem Großteil der restlichen Staatengemeinschaft beruht. Auch bedingen sich Staatlichkeit und UN-Mitgliedschaft nicht gegenseitig. Zwar verlangt die UN-Charta, dass Mitglieder auch Staaten sein müssen. Tatsächlich entscheiden über die Aufnahme neuer Mitglieder aber eben andere Staaten und nicht die faktischen Eigenschaften des Bewerbers. Damit ist die Aufnahme in die UN in erster Linie eine Frage der politischen Opportunität.

So wurde während des Kalten Krieges etlichen Staaten die Aufnahme verweigert und man ging zu einem quid-pro-quo-Prinzip über, nach dem für Staaten des einen Blocks gleich viele des anderen aufgenommen wurden. Andererseits wurden in Zeiten internationaler Entspannung Mitglieder wie Osttimor oder pazifische Mikrostaaten aufgenommen, deren staatliche Eigenschaften eher zweifelhaft erschienen.
Eine Vollmitgliedschaft Palästinas in der UN wird es ohne eine Verhandlungslösung mit Israel wegen des amerikanischen Vetos nicht geben, schon die »Vatikanoption« würde aber die Situation grundlegend verändern. Abgesehen von der innenpolitischen und regimestabilisierenden Wirkung verspricht man sich in Ramallah von dem Beobachterstatus eine Stärkung der eigenen Position im völkerrechtlichen Gefüge. So hätte ein von der UN als Staat anerkanntes Palästina gute Chancen auf Zugang zu den meisten internationalen Organisationen. Es wäre zum Beispiel möglich, israelische Armeeangehörige vor internationalen Instanzen wie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verklagen. Außerdem könnte ein palästinensischer Staat seine Auseinandersetzung mit Israel als »internationalen bewaffneten Konflikt« deklarieren. Damit könnte der Westbank rechtlich der Status eines von Israel »besetzten«, und nicht mehr eines nur »umstrittenen« Gebiets zuerkannt werden. Die völkerrechtliche Sicht der Lage im Nahen Osten würde sich dadurch zuungunsten Israels verschieben.
Abbas ist mit seiner UN-Initiative große Risiken eingegangen. Vor allem der Status der palästinensischen Flüchtlinge würde im Falle einer Anerkennung palästinensischer Staatlichkeit durch die UN gefährdet. Seit 1974 wird die PLO in wiederholten Resolutionen der Generalversammlung als »einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes« anerkannt. Dieser umfassende Repräsentationsanspruch der PLO wurde 1993 in den Oslo-Verträgen auch von Israel akzeptiert. Im Gegenzug erkannte die PLO den israelischen Staat an und verpflichtete sich zur Gewaltlosigkeit sowie einer Lösung des Konflikts auf der Grundlage von Verhandlungen. Damit vertrat die PLO international die palästinensische Bevölkerung des Gaza-Streifens und der Westbank, die israelischen Palästinenser, alle palästinensischen Flüchtlinge und die große Diaspora – insgesamt etwa zwölf Millionen Menschen. Diesen großen Repräsentationsanspruch kann ein Staat nicht mehr einhalten.

Ein Staat Palästina würde bei der UN die PLO ersetzen. Aber nicht Völker, sondern nur Staaten können UN-Mitglieder werden, und Staaten vertreten ausschließlich jene Menschen, über welche sie Souveränität ausüben. Als Vertreter eines neuen palästinensischen Staates würden die Delegierten aus Ramallah nur noch für die rund zwei Millionen Menschen sprechen, die in den tatsächlich von der Autonomiebehörde kontrollierten Gebieten wohnen. Jeder Anspruch, Palästinenser im Ausland zu repräsentieren, wäre dann eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates.
Abbas hat mit seinem Antrag seinen einzigen Vorteil ausgespielt: die internationale Sympathie mit den Palästinensern. Auf der multilateralen Ebene der UN kann er mit der Unterstützung einer großen Mehrheit anderer Staaten für einen kurzen Moment die Tagesordnung diktieren und Israel in die Defensive zwingen. Dieser Schritt ist vor allem der Frustration über den fortgesetzten Siedlungsbau entsprungen, den Premierminister Netanyahu innenpolitisch zum Überleben braucht. Vor diesem Hintergrund ist das Streben nach UN-Mitgliedschaft verständlich. Allerdings benötigt ein Staat nicht UN-Resolutionen und Anerkennung, sondern das Gewaltmonopol, Staatsbürger und Grenzen. Und dies werden die Mängel jedes palästinensischen Staates bleiben, dessen Existenz nicht auf Verhandlungen mit Israel beruht.