Die Frontex bekommt mehr Kompetenzen

Kompetent abschieben

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex wird aufgerüstet und erhält Nachhilfe in Sachen Menschenrechte.

Ihre Mitarbeiter verfrachten Menschen zur Abschiebung in Chartermaschinen, fragen Migranten über Routen und Helfer-Netzwerke aus, hindern Schiffe mit Flüchtlingen auf hoher See an der Weiterfahrt, drängen sie in Küstengewässer nord­afrikanischer Staaten ab oder schleppen sie dorthin zurück. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisieren seit vielen Jahren die in Teilen rechtswidrige Vorgehensweise der seit 2005 bestehenden europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Pro Asyl berichtete von aggressiven Manövern, bei denen Migranten ohne Lebensmittel und Wasser auf unbewohnten Inseln vor der türkischen Küste ausgesetzt, ihre Boote fahruntüchtig gemacht oder Kollisionen mit kleinen Booten provoziert wurden.

Mitte September stattete das Europaparlament die Agentur mit ihren rund 300 Mitarbeitern dennoch mit weiteren Vollmachten aus. Schon länger hatte sich Frontex darüber beklagt, dass Verhandlungen mit den einzelnen Mitgliedsstaaten über Aufträge zu kompliziert und langwierig seien. Nun hat sich die Agentur durchgesetzt und erhält mehr Personal, Geld und Befugnisse sowie eine eigene Ausrüstung, um selbständiger arbeiten zu können. Bislang hatten die einzelnen EU-Staaten lediglich freiwillige Zusagen über die Zahl der Beamten und Boote gemacht, die sie an Frontex zeitweise abgeben. Nach Angaben von Frontex sind diese Abmachungen oftmals nicht eingehalten worden. Mit der Reform müssen nun Mindestkontingente bereitgestellt werden, sie dürfen nur bei besonderen nationalstaatlichen Erfordernissen in einer Frist von 45 Tagen wieder abgezogen werden.

Frontex kann künftig staatenübergreifende Abschiebungen nicht mehr nur koordinieren, sondern auch selbst veranlassen und durchführen. Außerdem darf Frontex nun Verbindungsbeamte in Drittländer entsenden, etwa um in der Migra­tionsabwehr in Nordafrika tätig zu werden. Die Handlungsfähigkeit der in Warschau ansässigen Agentur wird bedeutend ausgebaut und steigert womöglich die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, sich an den Einsätzen zu beteiligen. Die EU geht damit weitere Schritte in Richtung des Aufbaus einer eigenen Grenzpolizei.
Fast gleichzeitig mit der Reform der Grenz­schutz­agentur veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) die Studie »The EU’s Dirty Hands« zum Frontex-Einsatz in Griechenland. Dieser verstoße gegen die EU-Grundrechtecharta, kritisiert HRW. Migranten würden in Griechenland an überfüllte Aufnahmelager überstellt und seien dort Misshandlungen ausgesetzt. Im vergangenen Jahr griff Frontex an der Landgrenze zur Türkei 45 000 Menschen auf. Frontex streitet die Vorwürfe aber ab und betont, dass die Mitarbeiter nicht verantwortlich für den Zustand der Lager seien und die griechische Regierung immer wieder auf die Missstände dort hingewiesen hätten.
Überdies schlägt HRW Schulungen für Frontex-Mitarbeiter, insbesondere zum Thema Menschenrechte, und andere Verbesserungen vor. Das neue Frontex-Mandat sieht dies ohnehin vor. »Wir haben zwar erreicht, dass Frontex einen Menschenrechtsbeauftragten bekommt. Leider wird dieser Beauftragte nicht unabhängig agieren können, weil er der Frontex-Führung unterstellt ist«, kritisierte Barbara Lochbihler, Abgeordnete der Grünen im Europa-Parlament. Ihre Fraktion, Die Grünen/Europäische Freie Allianz, hatte sich bei der Abstimmung Mitte September enthalten. »Frontex ist und bleibt der Mittelpunkt einer völlig verfehlten Politik der Bekämpfung von Migration«, erklärte hingegen die Europa-Abgeordnete Cornelia Ernst von der Partei »Die Linke«. Die Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke sprach sich als einzige gegen das erweiterte Frontex-Mandat aus.

Flüchtlingsaktivisten und andere Menschenrechtsgruppen kritisieren nicht nur die tödlichen Praktiken der Agentur und die mangelnde Un­abhängigkeit von Beobachtern, sondern stellen die gesamte Institution Frontex in Frage: »Freiheit statt Frontex. Keine Demokratie ohne globale Bewegungsfreiheit«, lautete der Titel einer Stellungnahme der Netzwerke Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe und des Netzwerks Kri­tische Migrations- und Grenzregimeforschung im Frühjahr 2011. Frontex stehe für den Ausbau eines tödlichen Grenzregimes, für das in einer freien Welt kein Platz sei. Doch eine andere Politik sei nicht gewollt. Stattdessen führten die EU-Verantwortlichen einen Krieg an den Außengrenzen, so die Kritiker.
Eine abschließende Zustimmung der Mitgliedsstaaten zur Stärkung von Frontex steht zwar noch aus, dürfte jedoch eine reine Form­sache sein. Die neuen Regeln werden voraussichtlich im Dezember in Kraft treten.