Die Reaktionen in Deutschland und Europa auf den palästinensischen Antrag

Quartett ohne Trümpfe

Während das palästinensische Vorgehen bei den Vereinten Nationen in den deutschen Medien teilweise euphorisch begrüßt wird, bemüht sich das Nahost-Quartett darum, Zeit zu gewinnen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen ­Israelis und Palästinensern.

Ginge es nach Helmut Schäfer, dann hätten die Palästinenser längst einen Staat. »Seit mehr als 40 Jahren« würden sie »hingehalten«, schrieb der FDP-Politiker, der zwischen 1987 und 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt war, Mitte September in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Zudem seien die Argumente derjenigen, die vor einer einseitigen Staatsausrufung warnen, »kraftlos« – schließlich hätten die Palästinenser »längst die Voraussetzungen für eine UN-Vollmitgliedschaft erfüllt«. Doch der Staat Israel schaffe »in dem von ihm völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Westjordanland systematisch Fakten durch seine Siedlungspolitik« und untergrabe damit »die mögliche Lebensfähigkeit eines eigenen palästinensischen Staates«. Dass die palästinensische Führung bislang noch jede Verhandlung mit Israel notfalls in letzter Sekunde sabotierten und – wie Yassir Arafat nach den gescheiterten Gesprächen von Camp David im Jahr 2000 – stattdessen zum Terror gegen den jüdischen Staat blies, ließ Schäfer genauso unerwähnt wie die permanenten Raketenangriffe und Vernichtungsdrohungen durch die Hamas.
Der Beitrag des ehemaligen Staatsministers war kein Einzelfall. In den deutschen Medien wurden der palästinensische Gang zur Uno nahezu einhellig begrüßt und die Rede von Mahmoud Abbas vor der UN-Generalversammlung teilweise in den höchsten Tönen gelobt. Von einem »denkwürdigen Auftritt« schrieb beispielsweise die Frankfurter Rundschau, von einem »klugen« Schritt, der »Handlungsdruck« auf Israel erzeugt habe, die Süddeutsche Zeitung. Auf Spiegel Online geriet Ulrike Putz sogar regelrecht ins Schwärmen: Abbas habe sich »glaubwürdig als ehrlicher Makler einer gerechten Sache« gezeigt und das Rededuell mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu, den die Korrespondentin einen »Betonkopf« nannte, klar für sich entschieden. Dass der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde in seiner Ansprache vor allem die gewohnten Anklagen gegen Israel vorgebracht, an Maximalpositionen wie dem »Rückkehrrecht der Flüchtlinge« festgehalten, getötete Terroristen als »Märtyrer« bezeichnet und die Freilassung aller in israelischen Gefängnissen einsitzenden palästinensischen Häftlinge gefordert hatte, unterschlugen fast alle deutschen Kommentatoren.

Es blieb Richard Herzinger vorbehalten, auf die Gefahren hinzuweisen, die mit der unilateralen Ausrufung eines palästinensischen Staates und dem Antrag auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen verbunden sind. »Ein palästinensischer Staat, der nicht aus einer Übereinkunft beider Konfliktparteien hervorgeht, wird eine Quelle explosiver Instabilität in einer Region sein, die ohnehin von Umstürzen voller Unwägbarkeit erschüttert wird«, schrieb er in der Welt. Abbas habe mit seinem Antrag »das Grundprinzip des Friedensprozesses« ausgehebelt und damit »alle bisherigen Ergebnisse aufs Spiel« gesetzt. »Ein Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 präjudiziert, was erst noch in kniffligen Verhandlungen zu klären wäre – etwa die heikle Frage des Status Ost-Jerusalems«, schrieb Herzinger weiter. Mit einer von den UN abgesegneten einseitigen Definition im Rücken aber »dürfte die palästinensische Kompromissbereitschaft in solchen, für einen echten Frieden zentralen Statusfragen gegen null sinken«.

Zur Klärung solcher Fragen bemüht sich das sogenannte Nahost-Quartett, die Israelis und die Palästinenser so schnell wie möglich wieder zu Verhandlungen zu bewegen. Der Plan des Quartetts – den der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung bereits vorweggenommen hatte – sieht vor, dass beide Seiten innerhalb der nächsten vier Wochen ihre Gespräche wiederaufnehmen, nach weiteren drei Monaten umfassende Vorschläge zu den Themen Grenzen und Sicherheit unterbreiten und Ende des Jahres 2012 eine Einigung erzielten. Eine Entscheidung über den palästinensischen Antrag auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen, der im UN-Sicherheitsrat voraussichtlich am Veto der USA scheitern würde, soll hinausgezögert werden. »Die Erklärung des Nahost-Quartetts macht klare Vorgaben, um das Ziel einer Zweistaatenlösung auf dem Verhandlungsweg zu erreichen«, sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit der Welt. Frieden zwischen Palästinensern und Israelis könne »nicht in New York, sondern nur durch Verhandlungen zwischen Ramallah und Jerusalem geschlossen werden«. Es sei zwar »nicht ausgemacht, dass der vereinbarte Fahrplan Erfolg hat«, schränkte Westerwelle ein. »Aber selbst wenn nur Zeit gewonnen würde, wäre das nicht wenig.«
In der EU ist man erkennbar froh, angesichts des palästinensischen Vorgehens doch noch zu einer gemeinsamen Position gelangt zu sein. Zuvor hatten neben der Bundesregierung unter anderem auch die Regierungen der Niederlande, Tschechiens und Bulgariens angekündigt, einer UN-Vollmitgliedschaft der Palästinenser nicht zuzustimmen, während nicht zuletzt Frankreich und Großbritannien dieses Anliegen unterstützen. Ob das Vorhaben des Nahost-Quartetts in die Tat umgesetzt wird, ist allerdings fraglich. Denn während die israelische Regierung es ersten Äußerungen zufolge begrüßt, stört sich die palästinensische Führung insbesondere daran, dass der Plan keine Vorbedingungen wie etwa eine Unterbrechung des Siedlungsbaus vorsieht. Die Hamas lehnt sowohl den palästinensischen Antrag bei der Uno als auch bilaterale Verhandlungen mit Israel ab – denn ihr Ziel ist und bleibt keine Zweistaatenlösung, sondern die Vernichtung des jüdischen Staates.