Gesine Lötzsch im Gespräch über den Zustand der Partei »Die Linke«

»Wir müssen uns nicht fürchten«

Einer parteiinternen Analyse zufolge endete das Wahljahr 2011 mit seinen insgesamt sieben Landtagswahlen »ernüchternd« für die Linke. Sie wird nur noch an einer Landesregierung beteiligt sein. Auch im Bund käme die Linkspartei Umfragen zufolge lediglich auf sechs bis neun Prozent der Stimmen. Die »Jungle World« sprach vor dem Programmparteitag, der vom 21. bis 23. Oktober in Erfurt stattfinden soll, mit Gesine Lötzsch über den Zustand ihrer Partei. Die Bundestagsabgeordnete hat seit Mai 2010 zusammen mit Klaus Ernst den Bundesvorsitz der Linkspartei inne.

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage Ihrer Partei ein?
Die Linke hat seit der Bundestagswahl 2009 ganz andere Aufgaben und Herausforderungen zu bestehen. Unsere Rolle im parlamentarischen System hat sich geändert, seit die SPD nicht mehr Regierungs-, sondern wie wir Oppositionspartei ist. Das ist etwas, bei dem wir uns mit unserem oppositionellen Anspruch auf der Bundesebene, beziehungsweise in den verschiedenen anderen Konstellationen, nicht so haben durchsetzen können. Die wichtigste Aufgabe für uns ist jetzt, einerseits klarzumachen, dass wir im Alltag pragmatische, praktische Veränderungen für die Menschen durchsetzen können und wollen, aber dass wir auch eine Vision für eine grundsätzlich andere Gesellschaft haben.
Im Spiegel war kürzlich zu lesen, es sehe so aus, »als rauschten in diesen Tagen zwei Züge in der Linkspartei aufeinander zu. In dem einen sitzen Lafontaine und die Parteilinken, im anderen die Realos.« Werden die beiden Züge auf dem Erfurter Parteitag zusammenstoßen?
Wir haben ja im Parteivorstand mit übergroßer Mehrheit einen Leitantrag für den Parteitag beschlossen. Das macht mich sehr optimistisch, dass wir das Programm in Erfurt auch beschließen werden. In dem Leitantrag haben wir beschrieben, wie wir uns eine andere Gesellschaft vorstellen, in der sich die Menschen nicht den Interessen der Wirtschaft unterordnen müssen, in der es soziale und demokratische Teilhabe für alle geben soll, in der es keine Ausgrenzung durch Armut gibt – kurzum, in der nicht der eine Herr und der andere Knecht ist. Auch weil ich aus den Landesverbänden höre, dass es den starken Wunsch nach einem vernünftigen Programm gibt, das von einer breiten Mehrheit beschlossen wird, bin ich zuversichtlich, dass es in Erfurt eine Einigung geben wird. Zumal wir im gesamten Parteivorstand gute Kompromisse gefunden haben, was einzelne kontroverse Punkte angeht, etwa die Kriterien für Regierungsbeteiligungen, die Verteidigung des Existenzrechts Israels oder die Aus­einandersetzung mit dem Stalinismus.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung gibt ein schlechtes Bild ab. Warum schafft es da die Linke als Oppositionspartei nicht, mehr Zustimmung zu gewinnen, während gleichzeitig SPD und Grüne in den Umfragen hinzugewinnen?
Selbstverständlich wollen wir mehr Zustimmung erreichen. Auch die Medien können da ihren Beitrag leisten, indem sie unsere Positionen transportieren, so wie sie auch die anderer Parteien transportieren. Was die Wirtschafts- und Finanzkrise angeht, haben wir ja schon frühzeitig auf sehr viele Probleme hingewiesen und Vorschläge gemacht. Für uns ist die entscheidende Botschaft, dass wir endlich die Finanzmärkte regulieren und das Primat der Politik wiederherstellen müssen.
Sie und Klaus Ernst sind bis zum Parteitag im Juni 2012 gewählt. Schon im Mai 2012 steht aber in Schleswig-Holstein die nächste Landtagswahl an. Es gibt Medienberichte, wonach »führende Parteikreise« die Wahl eines neuen Führungsduos vorziehen wollten, weil diese Personalien vor der Schleswig-Holstein-Wahl geklärt werden müssten. Müssen Sie und Ernst sich vor einem parteiinternen Putsch fürchten?
Wir müssen uns überhaupt nicht fürchten. Wir haben ja einen klaren Plan. Zunächst kommt jetzt der Erfurter Parteitag, dort werden wir für die Verabschiedung des neuen Programms mit breiter Mehrheit arbeiten. Danach werden wir den nächsten Parteitag vorbereiten. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Dass gerne über Parteivorsitzende diskutiert wird, war schon zu Zeiten von Oskar Lafontaine so, und das ist auch in anderen Parteien so.
Im Zuge der Wahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin kritisierten die dortigen Landesvorsitzenden offen das Vorgehen der Bundesparteispitze. Auch in der politischen Öffentlichkeit außerhalb der Partei wurden Ernst und Sie von Anfang an stark kritisiert. Erst ging es um die Bezüge und die bevorzugte Automarke von Herrn Ernst, dann um Ihren »Kommunismus-Artikel«, im Sommer schließlich folgten die Debatten über Antisemitismus, Kuba und Mauerbau.
Zu Herrn Ernsts Automarke: Mir sind Leute lieber, die einen Porsche fahren und dann im Bundestag gegen Hartz IV und Krieg stimmen, als Leute, die mit dem Fahrrad kommen und dann für Hartz IV und Krieg stimmen. Was die Debatte um den Mauerbau angeht: Da muss sich der Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern natürlich auch fragen, warum er ausgerechnet am 13. August, dem Jahrestag des Mauerbaus, unbedingt einen Parteitag veranstalten und sich zum Mauerbau positionieren wollte. Ich sage ganz eindeutig: Das war keine schlaue Idee.
Ist das nicht auch ein Teil des Problems der »Linken«, dass sich jetzt wieder die Bundesvorsitzende und ein Landesvorsitzender in der Öffentlichkeit über solche Fragen streiten?
Eine Partei ist natürlich immer gut beraten, Geschlossenheit zu zeigen. Aber ich sage Ihnen auch: Es ist nicht möglich, jeden Vorwurf an die Bundesvorsitzenden zu adressieren, ohne die Frage nach der eigenen Verantwortung gestellt zu bekommen.
Würden Sie zugestehen, dass auch Sie bei der Debatte um den Mauerbau oder mit dem Glückwunschtelegramm an Fidel Castro Fehler gemacht haben?
Wir haben ja, das hat sogar der SPD-Politiker Egon Bahr eingeräumt, alles gesagt, was zum Thema Mauer zu sagen ist. Die Kernbotschaft ist doch ganz eindeutig: Hinter Mauern kann man keinen Sozialismus aufbauen und wir wollen eine freie Gesellschaft mit freien Menschen. Was die Aufregung über diesen Brief an Castro betrifft, die ja völlig unverhältnismäßig war: Ich habe Außenminister Westerwelle, als er das im Bundestag angesprochen hat, etwas ironisch ein Geschäft angeboten. Ich sagte ihm: »Ziehen Sie den Panzer-Deal mit Saudi-Arabien zurück, dann ziehe ich den Glückwunsch an Castro zurück.« Natürlich muss es auf Kuba Veränderungen geben. Aber wenn man sich einfach nur mal anguckt, dass zum Beispiel die Kindersterblichkeit in Kuba ­geringer ist als in den USA, dann finde ich, kann man auch schon mal zum Geburtstag gratulieren und diese Leistung würdigen.
Werden Sie beim Parteitag im Juni 2012 als Bundesvorsitzende erneut kandidieren?
Ich werde meine Entscheidung dann mitteilen, wenn ich es für richtig halte.
Sind Sie der Überzeugung, dass Sie und Klaus Ernst als Bundesvorsitzende Ihrer Partei noch eine Hilfe sind?
Es gab im Januar 2010 in der Partei eine Situation, die der Höhepunkt einer langen Auseinandersetzung war. Damals drohte die Partei zu implodieren. Dann konnte man vier Monate lang da­rüber diskutieren, wen man nun wählt oder nicht. Dann gab es einen Mitgliederentscheid über eine Doppelspitze. Dann fand im Mai 2010 die Wahl statt. Nun sind alle aufgerufen, mitzumachen und gute Vorschläge und Ideen einzubringen und vor allen Dingen dazu beizutragen, dass aus dieser Partei ein linkes Zukunftsprojekt wird und nicht eine Versammlung, bei der sich die Leute fragen: Was ist eigentlich deren Ziel? Unser Ziel ist eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Gerechtigkeit und Demokratie.