Die Berliner Piraten sind keine Protestpartei

Protestiert wird nicht

Die Piraten werden in Berlin von der Konkurrenz nicht ernst genommen. Zu Unrecht, denn eine Protestpartei sind sie ganz sicher nicht.

Bislang war eine Protestpartei immer etwas Hässliches – NPD, DVU, Schill-Partei –, und wurde zur Protestpartei auch erst in dem Augenblick, in dem sie die Fünf-Prozent-Hürde übersprang. Doch bei der Piratenpartei, die nun als neue Protestpartei gehandelt wird, findet man erstmal etwas anderes: Die Partei wird gehätschelt. Liebenswürdig sind die Mitglieder, aber ein bisschen dumm, willig sind sie, aber restlos unerfahren, Großes haben sie vor, aber schon Kleines bewältigen sie nicht. So hört man allerorten.
Dieselben Medien, die die Piratenpartei vor der Wahl in Berlin regelrecht hochgeschrieben haben, behandeln die Politnovizen nun wie Fünfjährige, deren Pläne man lobt, aber nicht ernst nimmt. Andere warnen vor ihnen und versuchen, die Piratenpartei als Chaoshaufen darzustellen. Den Grünen erging es genau so, als sie Anfang der achtziger Jahre in die ersten Landesparlamente einzogen.

Das Wesen einer Protestpartei ist es, von anderen, etablierten Parteien als solche angesehen zu werden. Sicher gibt es – die Schill-Partei kann dafür als Beispiel gelten – Parteien, die nur wenige politische Forderungen haben, und die, kaum dass sie an ein bisschen Macht gelangen, sich über diese zerstreiten oder von etablierten Parteien »durch Umarmung vernichtet« werden, wie Herbert Wehner es einmal formuliert hat. All das aber trifft auf NPD, DVU und Republikaner nicht zu – und schon gar nicht auf die Grünen.
Protestpartei nennen die Medien oder Vertreter aus dem etablierten Parteienspektrum eine Partei nämlich nur dann, wenn sie der eigenen Position gefährlich werden kann. Sicher wird auch die Tierschutzpartei aus Protest gegen den Umgang mit Tieren gewählt, dennoch käme keine Sozialdemokratin und kein Grüner auf die Idee, diese Partei, die in Berlin immerhin 1,5 Prozent der Wählerstimmen erhielt, eine Protestpartei zu nennen. Eine Partei ist nur dann eine Protestpartei, wenn sie Sitze im Parlament erringen kann.
Wogegen aber richtet sich der Protest der Protestpartei? Gegen nichts. Eine Protestpartei werde nicht ihres Wahlprogramms oder ihrer Kandidaten wegen gewählt, sondern einfach, weil die anderen Parteien etwas unterlassen hätten – sie hätten die Asylbewerber zuwenig gegängelt, der Ökologie zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt, das Internet nicht verstanden. Die sogenannte Protestpartei werde dann gewählt, um den anderen Parteien einen »Denkzettel zu verpassen«. Aus allen Parteien hört man dergleichen. Daher soll nun das Internet aufmerksamer verfolgt werden. Ernsthaft glaubt man bei CDU, SPD, der »Linken« und den Grünen, dass die Piratenpartei verschwinden wird, wenn man nur ein bisschen mehr twittert.

In diesem Irrtum allerdings zeigt sich, dass die Rede von der Protestpartei – und der Protestwahl – den Parteien vor allen Dingen dabei hilft, die Ergebnisse der Wahl nicht wirklich analysieren zu müssen. In Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern etwa haben die anderen im Parlament vertretenen Parteien jeweils eine ganze Legislaturperiode lang behauptet, der Einzug der NPD ins Parlament sei Ergebnis einer Protestwahl gewesen, und sich sehr gewundert, dass diese Partei in beiden Fällen, wenn auch leicht geschwächt, wieder in das Parlament einzog. Einer genaueren Analyse hat man die Wahlergebnisse bislang nicht unterzogen.
In Berlin glauben die anderen Parlamentsparteien wiederum, es bei der Piraten mit netten Trotteln zu tun zu haben, die man im Abgeordnetenhaus vorführen könne, sodass der Spuk bald vorbei sei. Sie werden sich wundern. Sicher finden bei den Piraten Maskulinisten, Antisemiten und Spinner genauso einen Platz wie linksliberale Bürgerbewegte und Open-Source-Fans, sicher sind sie mit den Umgangsformen im Parlament nicht vertraut, sicher wollen sie noch über alles reden. Doch nicht trotzdem, sondern genau deswegen sind sie gewählt worden, von Leuten, die ganz ähnlich denken. Das Wahlergebnis der Piratenpartei verdient eine politische Auseinandersetzung, nicht Ignoranz.