Menschenwürdige Arbeit heißt, gegen Prekarisierung zu kämpfen

Arbeit für den Menschen

Mit dem »Welttag für menschenwürdige Arbeit« wehren sich die Gewerkschaften gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse und fordern, den Menschen ins Zentrum der globalen Krisenpolitik zu stellen.

Zum vierten Mal folgen die Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechtsorganisationen weltweit dem Aufruf des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) zum »Welttag für menschenwürdige Arbeit«. Individuell geplante Aktionen in Form von Round-Table-Gesprächen, Flashmobs, Demonstrationen oder Protestaktionen setzen sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit prekären Beschäftigungsformen auseinander und weisen auf die Dringlichkeit einer globalen Finanzmarkt­regulierung hin.
Jahrzehntelange experimentelle Strategien, folgenschwere Habgier und unkontrollierte Fehlentscheidungen im Finanzsektor hatten im Zuge der Wirtschaftskrise verheerende Folgen für den Arbeitsmarkt. Während die Finanzakteure auf einem bereinigten Spielfeld wieder agieren, leiden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach wie vor weltweit an den Folgen der Krise: Arbeitslosigkeit, Missachtung von Arbeitnehmerrechten, Lohndumping, atypische Arbeitsverträge und begrenzte oder gar keinerlei Sozialleistungen. Un­gewisse, nicht planbare und mit Risiken behaftete Beschäftigungsverhältnisse sind die Merkmale prekärer Beschäftigung. Betroffen davon sind vor allem junge Menschen und Frauen.

Der »Welttag für menschenwürdige Arbeit« soll Aufmerksamkeit für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwecken und signalisieren, dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise noch nicht ausgestanden sind. Besonders auf dem Arbeitsmarkt sind die Symptome akut. Den Menschen ins Zentrum der globalen Krisenpolitik zu stellen und menschenwürdige und nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen, sollten die vorrangigen Ziele einer jeden einzelnen Regierung im globalen Zusammenspiel sein, um katastrophale soziale und wirtschaftliche Folgen zu verhindern.
Der Begriff »menschenwürdige Arbeit« wurde 1999 von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) der Uno geprägt. Dieses Konzept umzusetzen, fällt unter die Schutzpflicht der 183 Mitgliedsstaaten, vielfach ist diese Schutzpflicht sogar in den Verfassungen der Staaten verankert. Die Würde des Menschen ist das oberste Prinzip, das Recht und Moral verbindet. Die demokratischen Gewerkschaften weltweit fordern seit mehr als 100 Jahren, dass ein jeder Mensch das Recht auf eine gute Arbeit, einen Arbeitsvertrag, angemessene Entlohnung, gesundheitliche Versorgung und Schutz vor Arbeitsunfällen sowie Berufskrankheiten hat. Um diese Ziele zu erreichen, müssen sich die Arbeitnehmer und Arbeitnehmer­innen weltweit vereinigen und gemeinsam für ihre Interessen eintreten können. Die IAO-Übereinkommen 87 und 98 zur Vereinigungs- und Tariffreiheit sind in allen Staaten, die in der IAO Mitglied sind, verbindlich.

Leider zeigt auch der im Juni veröffentlichte Bericht des Internationalen Gewerkschaftsbundes zur Verletzung dieser Rechte, dass die Übereinkommen längst nicht überall umgesetzt werden. So wurden 2010 90 Menschen aufgrund legitimer Gewerkschaftsaktivitäten getötet, weitere 75 erhielten Morddrohungen, rund 2 500 wurden verhaftet und 5 000 entlassen. Zahlreiche weitere Fälle werden nie bekannt, weil viele Beschäftigte, die Gewerkschaftsarbeit verrichten, eingeschüchtert werden und zu große Angst vor Repressalien haben, um sie anzuzeigen. So sahen sich in Weißrussland, Burma, Kambodscha, Djibouti, der Russischen Föderation, Honduras, Iran, Nepal, Nicaragua, Nigeria, Mexiko, den Philippinen, Swasiland und Simbabwe viele Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen weiterhin kontinuierlich mit Gewalt und Drohungen konfrontiert.
Ein aktuelles Beispiel, das zeigt, wie Unternehmen das Gebot menschenwürdiger Arbeit missachten, ist der Fall Nokia. Vor drei Jahren verlagerte der finnische Mobiltelefonhersteller die Handyproduktion aus dem Werk in Bochum nach Rumänien, 2 300 Bochumer Beschäftige wurden entlassen. Diese Woche wurde das Werk in Cluj in Rumänien geschlossen, 2 200 Arbeitnehmer werden nun auf die Straße gesetzt. Unternehmen schöpfen Subventionen ab und beuten Arbeitnehmer unter zum Teil katastrophalen Beschäftigungsbedingungen aus. Wettbewerbsfähigkeit wird auf Kosten der Beschäftigten gesichert, so ersetzen prekäre Beschäftigungsverhältnisse weltweit mehr und mehr das Normalarbeitsverhältnis.
Im Jahr 2010 zählte das »Aktionsbarometer« des Internationalen Gewerkschaftsbundes am »Welttag für menschenwürdige Arbeit« 430 Aktionen in 98 Ländern. Zu wünschen ist, dass es auch in diesem Jahr wieder vergleichbar großen Zuspruch gibt.

Der Autor ist Abteilungsleiter für Internationale Gewerkschaftspolitik im DGB