Gespräch mit Laura Méritt über den Feministischen Pornofimpreis und die Kampagne »PorYes«

»Feministisches Ficken ist konsensuell«

Seit 2009 wird in Berlin der »Feministische Pornofilmpreis Europas« verliehen. Dabei werden Pornoproduktionen ausgezeichnet, die frauen- und genderfreundliche pornographische Darstellungen jenseits heteronormativer Geschlechter­stereotype in Szene setzen. Am 15. Oktober ist es wieder soweit. Laura Méritt, Initiatorin der Kampagne »Por­Yes«, sprach mit der Jungle World über sexpositiven Feminismus, Sex- und Gewaltbilder in Pornofilmen und sexuelle Kommunikationskompetenz.

Welche Voraussetzungen muss ein feministischer Porno erfüllen, um das Label »PorYes« zu erhalten?
Es sind mindestens drei Kriterien zu erfüllen. Erstens: Die Lust von Frauen muss im Mittelpunkt stehen, im Mainstream-Porno wird ja ausschließlich auf die männliche Ejakulation hingearbeitet. Zweitens: Die Sexualität von Frauen und anderen Geschlechtern ist in einer Vielfalt darzustellen. Dies bezieht sich nicht unbedingt nur auf die Kameraeinstellungen, sondern bedeutet auch Vielfalt der Perspektiven, der Körper, des Alters, der Kulturen. Drittens: Frauen sollten wesentlich an der Produktion der Filme beteiligt sein, also nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera stehen. Wir unterstützen alle Geschlechter darin, »PorYes«-Filme zu produzieren.
Wie läuft die Verleihung ab?
Die Preisverleihung wird von unserer Schirmfrau und einer feministischen Filmemacherin der ersten Stunde, Ula Stöckl, eröffnet. Dann gebe ich eine Einführung in feministische Pornographie und werde etwas über deren Hintergrund und den aktuellen Stand sagen. Die Filmemacherinnen werden dabeisein und ihre Werke vorstellen, längere Filmausschnitte werden auch gezeigt. Die Veranstaltung wird moderiert von Margaret von Schiller, die vielen sicher vom Berlinale-Panorama bekannt ist.
Wer organisiert die Veranstaltung?
Organisiert wird der »PorYes«-Award vom Freudenfluss-Network, einem sexpositiven Netzwerk, in dem sich seit Jahren viele Menschen engagieren und über die Vielfalt der sexuellen Ausdrucksweisen aufklären. Sie organisieren sexpositive Projekte, wie die Verbreitung von Wissen über weibliche Ejakulation, und arbeiten etwa gegen sexistische Werbung.
Wie und wann wird über die Gewinnerinnen entschieden?
Die Jury entscheidet, welche Filme für den Award nominiert werden. Dabei wird darauf geachtet, dass verschiedene Generationen und Sparten vertreten sind und jedes Mal ein besonderer Schwerpunkt gesetzt wird. Dieses Mal sind die Überschreitung von Genres und Humor die Themen.
In feministischer Tradition ehren wir die Vielfalt. Jede der Nominierten wird für ihren Beitrag zur sexpositiven Darstellung von Sexualitäten geehrt. Wir zeichnen keine Einzelperson aus, alle Nominierten sind Gewinner und Gewinnerinnen.
Eine Ausnahme bildet der Publikumspreis, der auf der anschließenden Party in der Home Base Lounge in Berlin verliehen wird. Geehrt wird dabei die Produktion, die bei den Viewings beim Publikum am besten angekommen ist.
Das ist nicht die erste Verleihung dieser Art. Hat sich das Interesse an der Veranstaltung seit der ersten »PorYes«-Verleihung verändert?
Das Konzept ist im Wesentlichen gleich geblieben: sexpositive Bilder miteinander teilen und darüber reden. Das Interesse ist inzwischen auch dank unserer Arbeit gestiegen. Vor allem die jüngere Generation, die mit den Angeboten der Pornoindustrie im Internet aufwächst, ist interessiert an alternativen Bildern, die nicht sexistisch, rassistisch, size- oder age-istisch sind. Aber auch ältere Leute wollen sich inspirieren lassen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ist an kein Alter oder Geschlecht gebunden.
Neu ist eine Podiumsdiskussion, die auf vielfache Nachfrage in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet. Filmemacherinnen und Vertreterinnen der sexpositiven Bewegung werden am Sonntag, den 16. Oktober, im Kino in den Hackeschen Höfen öffentlich miteinander diskutieren.
Das Konzept »PorYes« kommt als Gegensatz zur PorNo-Bewegung sicher nicht bei allen Feministinnen gut an.
Selbstverständlich wird diskutiert, ob Pornographie überhaupt notwendig ist und wie Frauen, aber auch Männer sich vor der allgemeinen Pornographisierung der Gesellschaft schützen können. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität, in welcher Form auch immer, ist begrüßenswert. Darüber wird viel zu wenig seriös diskutiert, und es fehlt auch an Räumen, die das ermöglichen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass feministische Forderungen nach Verboten von Pornographie konservativen Positionen zuarbeiten. Ich halte es für sinnvoller, sexpositive Alternativen aufzuzeigen. Sie haben die aus der Frauenbewegung der achtziger Jahre bekannte PorNo-Kampagne erwähnt. Obwohl sich der Name PorYes provokativ darauf bezieht, gibt es zwischen beiden Bewegungen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Alle sind sich einig, dass eine andere Bildersprache und ein anderer Zugang zu Sexualität nötig sind. Es fehlt an positiven Vorbildern und Reflexionen über die eigene Sexualität, die ja ex­trem von den Medien beeinflusst wird. In Bezug auf mehr als 90 Prozent der pornographischen Produktionen betrachte ich mich durchaus als Vertreterin der PorNo-Bewegung. Mit »PorYes« gehen wir nur einen Schritt weiter und weisen auf die wenigen Produktionen hin, deren Darstellungen respektvoll sind.
In ihrem feministischen Sexshop »Sexclusivitäten« werden so einige Wünsche erfüllt: vom Handbuch über Vulva-Massagen über Trans-Toys bis hin zum Klit-Vibrator. Worauf achten Sie bei der Auswahl des Sortiments?
Qualität ist für mich das Hauptkriterium. Äußerst wichtig sind dabei ethische Arbeitsbedingungen in der Produktion. Ich unterstütze besonders gerne kleine Manufakturen, und sexpositive Autorinnen und Autoren sowie Filmemacherinnen und Filmemacher sind ein Muss. Ich kaufe bei den Produzentinnen und Produzenten direkt ein, so haben diese am meisten davon. Viele kenne ich persönlich, und ich kann mich so von ihrer Arbeits- und Lebensphilosophie überzeugen. Mit ihnen pflege ich einen engen Austausch und wir können gemeinsame Projekte entwickeln.
In ihren Regalen finden sich auch Pornos, wie beispielsweise »Too Much Pussy«, eine Dokumentation über »feminist sluts«. Darin beziehen sich fast alle Beteiligten positiv auf Ver­gewaltigungsphantasien und bezeichnen diese als festen Bestandteil ihrer sexuellen Vorlieben. Inwiefern unterscheiden sich derartige Inhalte vom Mainstream-Porno?
Bei diesen Filmen ist interessant, dass es verschiedene Lesarten gibt. Bei den Diskussionen hier im Freuden-Salon wurden diese Sexszenen nicht als Darstellungen von Vergewaltigungsphanta­sien thematisiert. Das liegt etwa an dem engen Blick- und Körperkontakt, der, im Unterschied zu Mainstream-Pornos, generell ein Bestandteil feministischer Filme ist. Auch die Kameraführung und die ganze Einbettung sind anders. Meist werden schon aus dem Kontext das Einverständnis oder die Geschichte offen gelegt, die zu der Sexszene führt. Zusätzlich sind feministischen Pornos meist Interviews angefügt, die das Einverständnis der Agierenden und die Kommunikation über den Sex demonstrieren, was bei heiklen Situationen besonders wichtig ist.
Feministisches Ficken ist in erster Linie konsensuell, bewusst, vielfältig und nicht wertend. Der sexpositive Feminismus geht davon aus, dass alle sexuellen Varianten erlaubt sind, wenn sie ab­gesprochen und reflektiert werden.
In der Dokumentation wird auch eine offensichtliche Vergewaltigungsszene gezeigt. Solche Szenen können für Betroffene ein Trigger sein, der traumatisierende Gewalterfahrungen wieder wach werden lässt. Wie lässt sich das mit einem feministischen Anspruch vereinbaren?
Ich berate meine Kundinnen und Kunden dahingehend. Information vor dem Kauf einer Ware sind unabdingbar, gerade weil die Geschmäcker und Interpretationen von Sexbildern so unterschiedlich sind. Ich beobachte auch, dass Zuschauende sich zunächst stark mit den Figuren iden­tifizieren, bevor sie in eine andere, reflektierte Betrachtungsweise übergehen. Das will ja auch ­geübt sein, und unsere Diskussionsrunden dienen der Ermöglichung von Perspektivenwechseln. Positiv zu bewerten ist, dass das Thema überhaupt angesprochen wird. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen die Kombination von Sex und Gewalt von klein an verinnerlichen, existieren auch Phantasien dazu. Nur, dass dies tabuisiert ist. Es ist wichtig, diese Gewaltaspekte zu thematisieren und bewusst und abgesprochen ausleben zu können. Genauso wichtig ist es, stärker sexpositive Bilder anzubieten, die sich zunehmend einprägen können.
Meinen sie, dass Gewaltbilder in »PorYes«-Filme kein Tabu sein müssen?
An erster Stelle steht meiner Meinung nach die Kommunikation über Sex, die immer noch zu wenig entwickelt ist. Aufklärung und sexuelle Weiterbildung für alle, Jugendliche und besonders Erwachsene ist unbedingt notwendig und sollte stärker gefördert werden. Die Verbreitung von sexuellen Bildern und Informationen darf nicht Mainstream-Medien und Pornos überlassen werden, die Sexualität normieren und sie auf heteronormative Klischees und sexistische Rollenbilder reduzieren. Die drei »K« von heute heißen: Kommunikation, Kooperation, Kopulation. Mein liebster Spruch lautet: Nachhaltiger Sex bedeutet verlängerte Kommunikationskompetenz.
Haben Sie schon eine Vermutung, wer den Preis, die hübsche Auster, mit nach Hause nehmen wird?
Ich kann tatsächlich nicht sagen, welche der fünf nominierten Produktionen ich bevorzuge: die philosophische Reflexion von Catherine Breillat; die Porn-Komödie von Rusty Cave; die vielfältigen Kurzpornos von Dirty Diaries, die Dokumentation von Emilie Jouvet oder den Spielfilm von Birgit Hein. Was zählt, ist die Vielfalt, die die verschiedene Wünsche zu verschiedenen Zeiten befriedigt. Das ist Feminismus. Viva la Vulva!