Hannibal ist kein Händler

Es ist alles immer noch schlimmer, als man denkt. Robert Hare, Belinda Board und andere Forscher hatten bereits herausgefunden, dass erfolgreiche Manager und gewalttätige Psychopathen gemeinsame Persönlichkeitsmerkmale haben. Doch zumindest die Trader sind »noch rücksichtsloser und manipulativer als Psychopathen«. Das ergaben Untersuchungen an der Universität St. Gallen. Thomas Noll und Pascal Scherrer verglichen das Verhalten von 27 Tradern, die für Banken, Rohstoffhändler oder Hedge Funds arbeiten, mit dem von 24 Psychopathen und 24 Menschen, die als normal gelten, weil sie weder in der Finanzbranche tätig sind noch im Hochsicherheitstrakt einer forensischen Klinik einsitzen. Während von 40 Zügen der Trader in einem Computerspiel im Durchschnitt zwölf unkooperativ waren, brachten es die Psychopathen auf dürftige 4,4, die »Normalen« gar nur auf 0,2 unkooperative Züge. Überdies stellte sich heraus, dass die Trader ihren relativen Gewinn auf Kosten ihrer Gegner maximierten, aber einen geringeren absoluten Gewinn erzielten als die Psychopathen. Ihre Konkurrenten zu schädigen, war den Tradern wichtiger, als ihren Profit zu steigern. »Es ist, als malträtiere man das teure Auto des Nachbarn mit einem Baseballschläger, um selber das schönste Auto im Quartier zu haben«, kommentiert Noll.
Einige Schlussfolgerungen drängen sich auf. Sollten Sie zufällig gerade einen Gefängnisausbruch planen, kooperieren Sie lieber mit einem Serienmörder als mit einem Trader. Sollten Sie Ermittler sein und nach den Brandstiftern fahnden, die Autos in den gutbürgerlichen Vierteln Berlins anzünden – nun, jetzt wissen Sie, wo Sie die Täter suchen sollten. Auch für die Regulierung des Finanzmarktes ergeben sich neue Perspektiven. Das elektronische Handelssystem Xetra kann überall installiert werden, auch im Hochsicherheitstrakt. Das mag dem Resozialisierungsgedanken widersprechen, würde aber mehr Rationalität in das Marktgeschehen bringen. Denn es ist besorgniserregend, dass nur jene empathie- und verantwortungslosen Menschen sich der Finanzbranche zuwenden, die zu dumm und zu untalentiert sind, um als Serienmörder erfolgreich zu sein. Tatsächlich sind die Anforderungen an einen Serienmörder, der ja nicht mit einem Rettungspaket rechnen kann, wenn er etwas verpatzt, weitaus höher. Man muss langfristig planen, Risiken abwägen und den Arbeitsplatz sauber hinterlassen, auch ein individueller Stil wird von den Fans erwartet. Und es zählt nur die eigene Leistung, hätten Charles Manson und der Zodiac Killer einander die Opfer weggeschnappt, wäre aus beiden nichts geworden. Bedauerlicherweise fehlt es an geeigneten Anreizen, um die echten Könner, also jene, die gebührende Rücksichtslosigkeit mit einem ein ausreichendes Maß an Realitätssinn vereinen und auch mal auf das Nachtreten verzichten können, für den Derivatenhandel zu begeistern.