Neue Abkommen zur Grenzsicherung der EU

Kommen, um nicht bleiben zu sollen

Mit Projekten wie der »zirkulären Migration« oder »Mobilitätspartnerschaften« möchte Deutschland dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Wenn als Partner­länder für diese Projekte die Maghreb-Staaten und Ägypten genannt werden, geht es nicht um Zuwanderung, sondern um neue Abkommen zur Grenzsicherung der EU.

Es ist schon vertrackt. Immer wieder, klagt Dirk Niebel (FDP), deutscher Entwicklungsminister wider Willen, machten sich gut ausgebildete Männer und Frauen in den Entwicklungsländern auf den Weg, um ihre Heimat zu verlassen und gen Norden zu ziehen. »Brain Drain«, Qualifiziertenabfluss, nennen Forscher dieses Phänomen. Es lindert zwar den hierzulande zunehmenden Fachkräftemangel, bereitet den Ländern des Südens aber zusätzliche Probleme. »Diese Menschen werden in ihrer Heimat dringend gebraucht«, sagt Niebel oft. Diese Verantwortungslosigkeit der Arbeitsmigranten bereitet deutschen Entwicklungspolitikern Kopfzerbrechen. Bei einer Rede zur Eröffnung des Forums »Migration weltweit« in Stuttgart im Oktober vorigen Jahres nannte Niebel ein Beispiel: »Es ist widersinnig: Großbritannien unterstützt einerseits den Aufbau des Gesundheitssystems in Malawi, andererseits wirbt der britische National Health Service aktiv Krankenschwestern ab.«
Der seit einiger Zeit propagierte Ausweg aus der Gewissensnot hat einen wohlklingenden Namen: »Triple Win« heißt ein Projekt, das die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ins Leben gerufen hat. »Die Idee des Triple-Win-Projekts ist es, den Migrationsprozess so zu gestalten, dass er für alle Beteiligten Vorteile bringt: für das Herkunftsland, für das Zielland und natürlich für die Menschen selbst«, sagte GIZ-Vorstandsmitglied Jürgen Wilhelm Mitte Mai im Gespräch mit der Deutschen Welle. Mit Pilotprojekten »zirkulärer Migration« will die GIZ Fachkräfte aus »Mangelberufen«, etwa Altenpfleger, aus Entwicklungsländern nach Deutschland holen. Einige Jahre dürfen sie hier arbeiten und sollen dann, mit einer Art Rückkehrprämie abgefunden, in ihre Heimat zurückkehren – eine Wiederbelebung des Gastarbeitermodells in homöopathischer Dosierung.

»Triple Win« steht auch im Titel einer Studie, die Ende September vom Sachverständigenrat für Migration (SVR), einem Think-Tank für Einwanderungsfragen, vorgelegt wurde. Auch sie legt der Bundesregierung nahe, Deutschland für »zirkuläre Migration« zu öffnen. Und auch der SVR betont dabei die Sorge um die Entwicklung des Südens: »Die Herkunftsländer verlieren Arbeitskräfte nicht auf Dauer«, heißt es darin, sie profitierten von den Rücküberweisungen der Migranten, und »die irreguläre Migration, die mit hohen Risiken für die Zuwanderer verbunden ist, kann begrenzt werden«. Gemeint ist, dass künftig weniger Migranten auf die mitunter mörderisch gefährlichen Wege der illegalen Einreise angewiesen seien – obwohl für die Pilotphase gerade einmal 500 bis 1 000 Teilnehmer hereingelassen werden sollen. Das Ganze sei als eine Art erweiterte Entwicklungshilfe zu verstehen. »Das arbeitsmarktpolitische Potential zeitweiliger Zuwanderung für Deutschland fällt bescheiden aus«, sagte der SVR-Experte Heinz Fassmann bei der Präsentation der Studie. »In erster Linie profitieren die Herkunftsländer.«
Wer nun glaubt, der unter anderem von Volkswagen, Vodafone, Bertelsmann und dem Metro-Konzern finanzierte SVR wolle Deutschland tatsächlich für Arbeitssuchende aus dem Tschad oder Sierra Leone öffnen, wird enttäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. »Migranten mittlerer Qualifikation«, so empfiehlt der SVR, sollten »in Branchen, die für Deutschland interessant sind«, eingesetzt werden: Pfleger, medizinisch-technische Assistenten, Metallarbeiter. Die Dauer ihres ununterbrochenen Aufenthalts »sollte nicht mehr als zwei Jahre betragen«. Klar müsse sein, dass diese Befristung auch »durchgesetzt« werde. Migranten, die auf die Idee kämen, hierzubleiben, müssten abgeschoben werden – natürlich zum Wohl der Entwicklung: »Denn gerade aus entwicklungspo­litischer Perspektive ist die Rückkehr ein für den Erfolg wichtiges Element.« Lieber wäre es den Forschern allerdings, wenn auf Polizeibegleitung auf dem Rückflug verzichtet werden könnte. Um »eine freiwillige Rückkehr zu fördern«, regt der SVR deshalb an, die Qualifizierten bei Bedarf nach einer Weile wiederkommen zu lassen.
Man mag nun finden, dass dies in einem Land, das sich seit dem Anwerbestopp für Gastarbeiter 1973 vehement gegen Zuwanderung wehrt, ein erster Schritt sei. Doch der eigentliche Zweck der Vorschläge dürfte sein, dafür zu sorgen, dass die Armen des Südens bleiben, wo sie sind.

Das Schlüsselwort heißt »Mobilitätspartnerschaften«. In solche sollen die Progamme »zirkulärer Migration« eingebettet werden, empfiehlt der SVR. »Mobilitätspartnerschaften« hat die EU in der Vergangenheit vor allem mit den Mittelmeeranrainern und osteuropäischen Staaten geschlossen. Die EU-Kommission erklärt in einem Papier vom März, worum es dabei geht: »Mobilitätspartnerschaften umfassen Vereinbarungen über Visa und legale Migration.« Als Gegenleistung für diese »erhöhte Mobilität« müssen die Partner »ausreichende Finanzmittel für die Vorbeugung und Bekämpfung von irregulärer Migration und Menschenhandel bereitstellen und die Rückkehr irregulärer Migranten sicherstellen.« Aus Ländern wie Tunesien oder Ägypten durften in der Vergangenheit jedes Jahr einige Tausend Menschen vorübergehend nach Europa kommen, wenn jene Länder dafür die Ost- oder Südflanke der EU dicht hielten.
Doch nach den Revolten toben vor allem in Nordafrika heftige Auseinandersetzungen. In Tunesien etwa ist keineswegs ausgemacht, wer die anstehende erste freie Wahl für sich entscheiden wird. Klar ist aber: In allen Ländern Nordafrikas übt die EU seit Beginn des Arabischen Frühlings mächtigen Druck aus, damit die Grenzsicherungsabkommen, die einst mit Gaddafi, Ben Ali und Mubarak abgeschlossen wurden, erneuert werden. So verwundert es kaum, wen der SVR als »Herkunftsland« für Pilotprogramme zur zirkulären Migration im Blick hat: »Als Partnerländer kommen unter anderem die Maghreb-Staaten und Ägypten oder die GUS-Nachfolgestaaten in Frage.«

Es wäre gleichwohl falsch, die zirkuläre Migration als solche abzulehnen. Tatsächlich wollen viele, vielleicht gar die meisten Migranten, genau das: Ein paar Jahre arbeiten, Geld sparen und dann zurückkehren. Und auch die Bedeutung der Rücküberweisungen für die Entwicklungsländer kann kaum überschätzt werden. Die rund 30 Millionen Exilafrikaner haben nach Berechnungen der Weltbank im Jahr 2010 etwa 40 Milliarden Euro in ihre Länder überwiesen. Das übersteigt die gesamte jährliche Entwicklungshilfe für den Kontinent um gute ein Drittel. Der große Vorteil der Rücküberweisungen gegenüber finanzieller Entwicklungshilfe ist dabei, dass die Gelder nicht in Großprojekte fließen, an Auflagen geknüpft sind oder gleich im Norden ausgegeben werden müssen. Der »Trickle-down«-Effekt ist hier unmittelbar: Das Geld fließt direkt an die – oft ländliche – Bevölkerung.
Doch derart begrenzte Lockerungen der Arbeitsmigration, wie sie dem SVR vorschweben, dürften Wanderungswilligen aus den Subsahara-Staaten kaum eine nennenswerte Perspektive bieten. Das zeigt ein Beispiel aus Mali. Dort hat die EU 2008 das Centre d’Information et de Gestion des Migrations (CIGEM) eröffnet. Es sollte nicht nur vor den Gefahren der illegalen Migration warnen, sondern auch ein »selektives Migrationsmanagement« entwickeln – so versprach es die EU bei der Eröffnung. Auswanderungswillige können sich dort über die Möglichkeiten legaler Mi­gration beraten lassen. Bei einem Besuch einer Delegation des EU-Parlaments im Mai 2010 zog der CIGEM-Direktor Abdoulaye Konaté Bilanz: Ganze 29 Saisonarbeiter seien im Vorjahr zum Gemüsepflücken auf die Kanarischen Inseln entsandt worden. »Wir haben gute Ergebnisse im Kampf gegen illegale Einwanderung. Aber wir sehen einen Mangel bei der zirkulären Migration«, sagte er. Bei der Zulassung von Saisonarbeitern sei »eine starke Zurückhaltung von Seiten der EU« zu beobachten.