Pogrome gegen Roma in Bulgarien

Mit Feuer und Facebook gegen Roma

In Bulgarien kam es Ende September zu Massenaufmärschen und Gewalt gegen Roma. Auch in anderen europäischen Staaten werden die Wohnviertel der Roma zur Zielscheibe des Hasses. NGO sprechen von einer neuen Welle der Gewalt.

Vor allem Jugendliche seien auf den Straßen von Katunitsa gewesen und hätten Roma beschimpft und später Gebäude in Brand gesetzt, berichtet Teodora Krumowa von der bulgarischen NGO Amalipe. Zu dieser Gewalt kam es nach einem Autounfall am 23. September, bei dem ein 19jähriger Fußgänger gestorben war. Der Autofahrer gehöre zum Umfeld der organisierten Kriminalität, sagt Krumowa. Mit dem Opfer habe es zuvor eine Reihe von Konflikten gegeben.
Für die aufgebrachte Menge war völlig klar, dass der 19jährige vorsätzlich überfahren worden war. Der Beschuldigte ist für sie auch nicht Mitglied der Mafia, sondern Angehöriger eines mächtigen »Roma-Clans«. Dem Vorfall diese ethnische Dimension zu verleihen, sei äußerst gefährlich, sagt Krumowa. Drei Häuser brannten nieder, die dem Besitz der Organisation von Kiril Rashkov zugeordnet wurden, der lokalen Mafiagruppen vorsteht und für den der Verursacher des Unfalls arbeitete. »Die Polizei war vor Ort, sogar mit einem großen Aufgebot, ist aber trotz der eskalierenden Gewalt nicht eingeschritten«, kritisiert Krumowa. Die Menschen hätten gerufen, dass sie alle »Zigeuner« und Türken umbringen wollten. Dass diese beiden Gruppen in ­einem Atemzug genannt werden, sei für den Jargon der bulgarischen Rechtsextremen typisch.
Die NGO Amalipe arbeitet sonst vor allem mit Schulkindern, daher ist Krumowa schockiert, dass so viele Jugendliche auf der Straße waren. 70 Prozent unter ihnen seien jünger als 16 Jahre gewesen, sogar ein 12jähriger sei von der Polizei verhaftet worden. Doch am ersten Abend habe die Polizei gar nicht reagiert, auch nicht, als sich Hooligans und Biker von außerhalb unter die Menge in dem kleinen Ort mischten.
In den nächsten Tagen verhinderte die Polizei, dass die Gewalt weiter zunahm. Sie schützte im ganzen Land die Wohnviertel der Roma und kesselte die Aufmärsche der Rechtsextremen ein.

Premierminister Boiko Borisow kritisierte, dass die Polizei zu spät eingegriffen habe. Vor allem über Facebook hatte sich der nationalistische Aufruhr zu diesem Zeitpunkt schon im ganzen Land verbreitet. Hunderte Gruppen dirigierten dort die Massen zu den Aufmärschen. Im Netz seien noch viel mehr Menschen aktiv als bei den Tumulten auf den Straßen, berichtet Krumowa. Die Ausbreitung kann sie sich nur dadurch erklären, dass die Zusammenrottungen von Rechtsextremisten vor allem aus dem Umfeld der Parteien Ataka und VMRO gelenkt wurden. Das bestätigt auch Rumian Russinow von der Arete Youth Foundation in Sofia.
In Burgass und Warna richtete sich der Volkszorn gegen alle Wohnviertel der Roma, nach Angaben von Amalipe wurden an beiden Orten mehrere Roma zusammengeschlagen. In Varna wurde der Bürgermeisterkandidat einer nationalistischen Partei während der Krawalle festgenommen. Das European Roma Rights Center (ERRC) spricht von Vorfällen in mindestens 15 Orten, darunter mit Sofia und Plowdiw auch die beiden größten Städte des Landes. Mit dem Schlagwort von der vermeintlichen »Zigeunerkrimi­nalität« konnten erfolgreich Menschen auf die Straße gebracht werden.
Nach Einschätzung sowohl Amalipes als auch der Arete Youth Foundation kamen die Beteiligten aus unterschiedlichen Milieus. Einerseits seien es schlicht Aufgebrachte, die sich gegen den eigenen Status als Verlierer auflehnen und die weit verbreitete Korruption kritisieren wollten, zum anderen Rechtsextreme, die genau diese Stimmung ausnutzen.
Der Hass entlud sich auch in Drohungen über soziale Netzwerke im Internet. Informationen über ermordete Roma wurden gefälscht. In zwei Orten wurden zudem Roma über Facebook vor Pogromen gewarnt, doch stellte sich heraus, dass Rechtsextreme bewusst falsche Information in Umlauf gebracht hatten, um die Roma einzuschüchtern. Aus Angst gingen im ganzen Land viele Roma nicht zur Arbeit oder in die Schule. Die Lage sei noch immer angespannt, berichten Russinow und Krumowa.

Der große Zulauf für die antiziganistischen Krawalle sei nur dadurch erklärbar, dass die Ressentiments gegenüber Roma in der gesamten Bevölkerung tief verwurzelt seien. »Es braucht nur den geringsten Anlass«, sagt Dezideriu Gergely, der Direktor des ERRC. Er ist beunruhigt über die gegenwärtige Lage in Bulgarien. Ähnliches geschehe aber auch in anderen Ländern. Im Rahmen der jährlichen OSZE-Menschenrechtskonferenz kritisiert er im Gespräch mit der Jungle World, dass der Staat regelmäßig unangemessen reagiert, so etwa auch in Ungarn, Tschechien oder Rumänien. Bei Zusammenkünften mit Politikern gebe es keine gemeinsame Perspektive und wenig Dialog.
Das OSZE-Minderheitenkomitee spricht sich für schnelle und entschiedene Reaktionen aus, nicht nur um Schuldige zu bestrafen, sondern auch um Eskalationen zu verhindern. Unterdessen häufen sich Ereignisse, auf die langsam oder gar nicht reagiert wird. Im tschechischen Varnsdorf rotteten sich dem ERRC zufolge Ende August fast 1 000 Menschen gegen die Roma-­Bevölkerung zusammen, auch Häuser in deren segregiertem Wohnviertel wurden demoliert. Seitdem blieb die Lage angespannt, zahlreiche Aufmärsche fanden vor den Häusern der Roma statt, zuletzt am 2. Oktober. Zuvor waren Nicht-Roma von Roma in einer Kneipe verprügelt worden. Am Samstag marschierten auch im tschechischen Ústí nad Labem mehr als 500 Personen gegen Roma auf.

»Kriminalitätsbekämpfung kann nicht der Selbstjustiz überlassen werden«, sagt Gergely. Am deutlichsten offenbarten sich solche Me­chanismen im ungarischen Gyöngyöspata, wo im Frühjahr über Wochen hinweg rechtsextreme »Bürgerwehren« aufmarschierten und, von der Polizei geduldet, Roma kontrollierten und bedrohten (Jungle World 31/11). Im dazu einberufenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde darüber debattiert, dass vor ­einer staatlichen Intervention zunächst die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung gewährleistet sein müsse. Wie nun auch in Bulgarien waren Roma aus ihren Ortschaften evakuiert worden.
Auf der jährlichen Konferenz des OSZE-ODIHR (Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte) wurde kürzlich der akute Handlungsbedarf betont. Grundsätzlich zeige sich der Trend, dass mit dem Hass auf Roma Politik und vor allem Wahlkampf gemacht werde, sagt Gergely. In Bulgarien wird in zwei Wochen gewählt, im ungarischen Gyöngyöspata stellt derzeit die rechtsextreme Partei Jobbik den Bürgermeister. Aus der Sicht lokaler NGO aus ganz Europa zeigt sich, dass Antiziganismus auch im öffentlichen Mainstream zunehmend salonfähig werde. »Vor einigen Jahren haben wir auf solchen Konferenzen debattiert, wie Roma in der Gesellschaft leben, aktuell stellt sich immer öfter die Frage, ob Roma leben«, sagt Gergely.
EU-Programme zur Inklusion von Roma existierten in Bulgarien unterdessen nur noch auf dem Papier. »Nach dem EU-Beitritt sind die mahnenden Signale aus Brüssel verebbt«, sagt Russinow. Exemplarisch für den sozialen Ausschluss ist die Situation an bulgarischen Schulen. Für den Zugang von Roma zum Bildungssystem seien noch immer wie in der Pilotprojektphase die NGO zuständig und nicht die Regierung. Die aufgebrachte Masse von 12- und 13jährigen Schülerinnen und Schülern auf der Straße hat deshalb keine Roma unter ihren Mitschülerinnen und Mitschülern.