Die Bankenkrise in Island

Save my ice

Die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise traf 2008 als erstes Land Island. In diesem Jahr soll dort die Wirtschaft bereits wieder wachsen. Die Regierung strebt unterdessen die EU-Mitgliedschaft Islands an.

Die Bewohner der einsamen Insel im Nordatlantik sind an viele Extreme gewöhnt. Dafür sorgt alleine schon das Klima. Doch was sie in den vergangenen Jahren erleben mussten, dürfte wohl alle bisherigen Erfahrungen übertreffen. Island galt in den vergangenen Jahren als neoliberales Experimentierfeld, erlebte in kurzer Zeit einen unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung und stürzte anschließend in Rekordtempo wieder ab.
Mittlerweile scheint das Land als Modell dafür dienen zu können, wie sich ein insolventer Staat erholen kann. In diesem Jahr soll die Wirtschaft bereits wieder wachsen. Vergessen wird dabei jedoch, dass die schnelle Genesung vor allem einem Umstand zu verdanken war: Nach dem Bankenkollaps 2008 zwang das Land die Gläubiger, einen Teil der Verluste zu übernehmen. Das Desaster belastet die isländischen Steuerzahler deswegen bislang vergleichsweise wenig.

Der relativ große Erfolg liegt aber nicht daran, dass in Island klügere Finanzexperten agieren als anderswo in Europa – die Ereignisse der vergangenen Jahre lassen eher das Gegenteil vermuten. Nachdem Island Mitte der neunziger Jahre dem Europäischen Wirtschaftsraum beigetreten war und die damalige konservative Regierung wenig später den einheimischen Finanzsektor liberalisierte, eröffneten sich für das Land am internationalen Kapitalmarkt ungeahnte Perspektiven. Neue private Banken entstanden, die sich darauf spezialisierten, ausländische Anleger für Online-Angebote zu gewinnen, ohne sich allerdings an den Einlagensicherungsfonds der entsprechenden Länder zu beteiligen. So gründete die Landsbanki die internationale Internetbank Ice­save, die vor allem in den Niederlanden und in Großbritannien schnell neue Kunden werben konnte. Die Kaupt­hing Bank versprach vor allem deutschen Sparern, was diese besonders schätzen: Sicherheit und hohe Zinsen. Hunderttausende verschoben ihre Spareinlagen mit einem Klick auf Konten im hohen Norden.
Die isländischen Banken wiederum nutzten die Einlagen für riskante Transaktionen, unter anderem auf dem US-Immobiliensektor. Das Volumen dieser Transaktionen entsprach bald einem Vielfachen ihres Eigenkapitals. Die billigen Kredite sorgten für eine euphorische Stimmung auf der Insel. Auch die Verbraucher konnten sich plötzlich vieles leisten: teure Autos und Immobilien. Als mit der Finanzkrise 2008 das Geschäftsmodell platzte, lösten sich praktisch über Nacht 43 Milliarden Dollar in Luft auf. Der isländischen Regierung war es schlicht unmöglich, den Bankensektor zu stützen, wie es etwa die Regierung Irlands tat. »Die Verbindlichkeiten betrugen das Zehnfache des isländischen Bruttoinlandsprodukts. Das hätten wir nie zahlen können«, verteidigt der links-grüne Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon immer noch das Vorgehen der damaligen Regierung. Der Staatsbankrott wurde nur durch einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der skandinavischen Länder verhindert.

Anstatt die privaten Banken mit staatlichen Mitteln zu retten, setzte die isländische Regierung auf eine unorthodoxe Lösung: Sie ließ die Institute einfach pleite gehen. Die Finanzverwaltung garantierte zwar die Einlagen der einheimischen Gläubiger und gliederte dafür den inländischen Teil der insolventen Landsbanki in eine neue Gesellschaft aus. Anschließend erklärte sie aber die restliche Bank für zahlungsunfähig. Als daraufhin die Online-Bank Icesave zusammenbrach, waren davon etwa 300 000 Kunden in Großbritannien und 125 000 in den Niederlanden betroffen. Zusammen hatten sie ungefähr sieben Milliarden Euro bei der Bank angelegt.
Für die britische Regierung kam dieses Vorgehen einer Art finanzieller Kriegserklärung gleich. Prompt kündigte Großbritannien an, isländische Guthaben einzufrieren und juristisch gegen die isländische Regierung vorzugehen. Als rechtliche Grundlage diente dazu ein schwammig formulierter Paragraph aus dem britischen »Anti-Terrorism and Security Act« von 2001 – ein Umstand, den der damalige isländische Ministerpräsident Geir Haarde noch zurückhaltend als »völlig unfreundlichen Akt« bezeichnete und der die weiteren Verhandlungen nicht unbedingt erleichterte.
Wegen des internationalen Drucks beschloss das isländische Parlament im Dezember 2009 schließlich mit knapper Mehrheit, die niederländischen und britischen Forderungen doch zu erfüllen. Im sogenannten Icesave-Gesetz wurde festgelegt, dass jeder Bürger der Insel, vom Kleinkind bis zum Rentner, mit etwa 11 000 Euro an der Schuldentilgung beteiligt werden sollte. Die überwältigende Mehrheit der isländischen Bevölkerung war davon freilich wenig begeistert. Unter dem Motto »I save my ass« stimmte sie in zwei Referenden, zuletzt im April 2011, gegen das Gesetz. Nun muss die Europäische Freihandelsassoziation (Efta) über den Streit entscheiden.
Die Weigerung, die Forderungen der ausländischen Gläubiger zu bedienen, ermöglichte den Isländern immerhin eine Art Schadensbegrenzung. So sagte der isländische Schriftsteller Hallgrímur Helgason (siehe das Dossier auf den Dschungel-Seiten 18–23) kürzlich, dass sich die Finanzkrise eher in den Köpfen als in den Portemonnaies abgespielt habe. In erster Linie hätten die Ausländer die Zeche gezahlt, die bei den ban­krotten isländischen Banken ihr Geld angelegt hatten. Zwar haben viele Isländer wegen des Finanzdebakels einen großen Teil ihrer Ersparnisse verloren, doch die Belastungen sind in der Tat nicht mit denen Griechenlands oder vieler osteuropäischer Länder zu vergleichen. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei 6,6 Prozent, zehn Prozent der Bevölkerung sind überschuldet. In Athen oder Riga würde man sich über solche Zahlen vermutlich freuen, für isländische Verhältnisse sind sie aber ungewöhnlich hoch.
Zwar verlor die einheimische Währung, die Króna, unmittelbar nach dem Crash bis zu drei Viertel ihres Wertes. Das kleinste selbständige Währungssystem der Welt erwies sich jedoch zugleich auch als Teil der Lösung. Die Abwertung kam vor allem dem Exportsektor zugute, darunter der Fischereiindustrie, dem Energiesektor sowie der IT-Branche und nicht zuletzt dem Tourismus. Die beiden vergangenen Jahre gehörten zu den besten der Branche: Endlich war die Insel für ausländische Besucher wieder halbwegs erschwinglich.

Zu dem Touristenboom hat sicherlich auch das nach wie vor erstaunlich gute Image des Landes beigetragen. Keine deutsche Boulevard-Zeitung forderte die Pleite-Isländer auf, gefälligst ein paar Vulkane und Geysire zu verkaufen, um endlich ihre Schulden zu bezahlen. Im Gegenteil. Pleite, abgebrannt und doch sympathisch: Nachdem die Isländer der Hybris der Finanzmärkte erlegen waren, besinnen sie sich nun angeblich wieder auf ihre bodenständigen Eigenschaften. Statt auf das schnelle Geld zu schielen, leben sie genügsam. »Traditionelle Wirtschaftszweige wie die Fischerei sind wieder wichtiger als die Hochfinanz«, wusste kürzlich Focus zu berichten. Fischer und Touristen alleine werden die Insel jedoch kaum dauerhaft aus der Krise retten. Vielversprechender klingt da schon die Ankündigung des chinesischen Milliardärs Huang Nabo, 100 Millionen Dollar für ein Ökotourismus-Projekt im Nordosten des Landes zu investieren. 300 Quadratkilometer Land will er erwerben. So viel Interesse geht aber vielen Bewohnern zu weit. Sie fürchten einen Ausverkauf des Landes.
Vor allem aber kann sich Island den Luxus einer eigenen Währung nicht mehr leisten. Was kurz nach dem Crash noch Vorteile mit sich brachte, entwickelte sich schnell zu einem ernsthaften Problem. Die Inflation stieg zwischenzeitlich auf bis zu 18 Prozent, jedes Jahr verloren die Einkommen fast ein Viertel ihres Wertes. Gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf gehörte Island vor 2007 zu den fünf reichsten Ländern der Welt. Jetzt ist es auf Platz 20 abgerutscht.
Weil die Króna keine Perspektive mehr bietet, strebt die isländische Regierung den Beitritt zur Europäischen Union an. Ein fester Wechselkurs zum Euro wurde bereits eingeführt, spätestens 2016 will Island dem Euroraum beitreten. Als Voraus­setzung dafür müssten jedoch die Streitigkeiten um Icesave beigelegt und die Vergabe der Fischereirechte, über die Island bislang ein Monopol hält, neu geklärt werden. Und dann wäre da noch ein Problem: Die Mehrheit der Isländer ist angesichts der Entwicklungen in Griechenland gegen einen Euro-Beitritt – und nicht nur das. Am liebsten wäre es der isländischen Bevölkerung, wenn die Verhandlungen mit der EU sofort abgebrochen würden.