Frankreichs Sozialisten haben einen Präsidentschaftskandidaten

Sparsam, aber nicht hyperaktiv

Die französische Sozialistische Partei hat François Hollande als Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen gewählt. Doch einen grundlegenden Wandel mag Hollande nicht einmal versprechen.

»Monsieur Normal« wird der Kandidat der Sozialistischen Partei sein. Seinen Spitznamen verdiente sich François Hollande, der, wie seit Sonntagabend feststeht, im kommenden Jahr die größte Oppositionspartei Frankreichs bei den Präsidentschaftswahlen vertreten wird, im Mai mit der Ankündigung, er verstehe sich als Anwärter auf eine »normale Präsidentschaft«. Diese présidence normale soll eine Distanz zur Amtsausübung des ständig hyperaktiven, zu Exzessen neigenden, überaus egozentrischen Präsidenten Nicolas Sarkozy herstellen. Dass Sarkozy in siebeneinhalb Monaten wiedergewählt wird, gilt derzeit als sehr unwahrscheinlich.
Auch ein Teil der moderat bürgerlichen Wähler könnte angesichts des betont »beruhigenden« Auftretens Hollandes in einigen Monaten für ihn stimmen. Symptomatisch dafür war, dass der ehemalige Präsident Jacques Chirac, ein Konservativer, im Juni erklärte, er würde bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr für Hollande stimmen, falls er kandidiere. Da er hinzufügte, er sage dies, weil beide »Landsleute aus der Corrèze« – einem zentralfranzösischen Département – seien, wurde dies von Hollande damals als »länd­licher Humor« abgetan. Aber nur, weil ihm die Unterstützung Chiracs im innerparteilichen Wettbewerb hätte schaden können.
Um Kandidat der Sozialistischen Partei zu werden, mussten Hollande und seine Mitbewerber sich einer Urabstimmung stellen. Zu dieser waren nicht nur Mitglieder, sondern – erstmals in Frankreich – auch Sympathisanten und voraussicht­liche Wählerinnen der Partei aufgerufen. Nach dem Vorbild der USA wurde diese Abstimmung als élection primaire bezeichnet. Um mit­ent­schei­den zu können, musste man nur einen Euro als symbolischen »Mitgliedsbetrag auf Zeit« zahlen und eine Charta mit den »Grundwerten« der französischen Sozialdemokratie und der Linksparteien unterzeichnen.
Offiziell musste man zudem in die Wählerregister eingetragen, also Staatsbürger sein. Allerdings ließ zumindest die mitunter etwas unorthodoxe Parteijugend MJS (Bewegung der Jungsozialisten) in einigen Fällen auch Jugendliche und sogar »Ausländer« abstimmen. Die konservativ-wirtschaftsliberale Regierungspartei UMP äußerte sich erzürnt darüber, dass einzelne »illegale Einwanderer« hätten votieren können.

Aus der Sicht der Partei war die Vorwahl ein Erfolg: Rund 2,6 Millionen Wahlberechtigte nahmen an der ersten Abstimmung vor acht Tagen teil, fast drei Millionen wurden es gar an diesem Sonntag. Die UMP hatte vergeblich dagegen agitiert. So hatte ihr Generalsekretär Jean-François Copé behauptet, es bedeute »eine Wiedereinführung des Zensuswahlrechts« – also eines Votums, an dem nur Begüterte teilnehmen dürfen –, wenn von den Teilnehmern ein Euro verlangt werde. Copés Argumentation sorgte allerdings eher für Belustigung. Auch Präsident Sarkozy scheint Zweifel an Talent und Können seiner Mitstreiter zu haben. Die Enthüllungszeitung Canard enchaîné zitiert, wie er Mitarbeiter zusammenstauchte: »Ich habe euch gesagt, ihr sollt den Erfolg der Sozialisten herunterspielen – nicht, ihr sollt euch lächerlich machen.«
Am Ende setzte François Hollande sich mit gut 56 Prozent der Stimmen gegen die Mitbewerberin Martine Aubry durch. Sie waren im ersten Wahlgang eine Woche zuvor die bestplatzierten unter insgesamt sechs Bewerbern. Hollande verspricht angesichts der Wirtschaftskrise und ihrer sozialen Auswirkungen in erster Linie eine »solide Haushaltsführung« im bürgerlichen Sinne. Ab 2013 sollen die auch in Frankreich seit 2008 nicht zuletzt wegen der »Rettungspakete« für die Banken stark angewachsenen Staatsschulden unter die einst im Maastricht-Vertrag fixierte Grenze sinken, also auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Innerhalb von fünf Jahren soll die Neuverschuldung auf Null gesenkt werden.
Die von linken oder keynesianischen Wirtschaftswissenschaftlern vorgetragenen Argumente für einen Schuldenschnitt macht Hollande sich nicht zu eigen. Diese plädieren etwa dafür, dass zumindest Schulden, die als illegitim gelten – etwa weil die Kreditaufnahme bei Vermögensbesitzern hauptsächlich Steuersenkungen für dasselbe Milieu finanziert habe –, nicht zurückgezahlt werden sollten. Stattdessen sollten die Ursachen der Verschuldung von Staat, Kommunen und Sozialkassen untersucht werden: Wo die Aufnahme von Schulden etwa dazu diente, Schulen zu bauen, könne man diese als legitim betrachten. Wenn hingegen eine Kommune wie Saint Etienne, die am höchsten verschul­dete Stadt in Frankreich, dadurch in die roten Zahlen geriet, dass Banken ihr »toxische« Finanzprodukte verkauften, sollte die Rückzahlung nicht auf Kosten sozialer Belange erfolgen. Vielmehr habe der Bankensektor dafür geradezustehen.

Die einzige Abweichung von diesem »soliden Sparkurs« ist Hollandes mitten in der élection primaire plötzlich abgegebenes Versprechen, »60 000 Stellen im Bildungswesen« zu schaffen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei ­lediglich um die Rücknahme einer Maßnahme Sarkozys. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2007 hat dessen Regierung 80 000 Stellen abgebaut. Damit soll nicht nur Geld gespart werden, die ­Regierung will auch die katholischen und elitären Privatschulen indirekt fördern, denen die wachsenden Probleme im öffentlichen und kostenlosen Schulwesen die Schüler in die Arme treiben.
Hollande erklärte Anfang September zunächst, »alle gestrichenen« Stellen binnen fünf Jahren wieder schaffen zu wollen. Vergangene Woche präzisierte er in der Tageszeitung Libération, es gehe nicht um alle, sondern nur um die »meisten« Stellen. Auf eine radikale Wende deutet eine solche Vorsicht schon bei den Wahlversprechen nicht hin. Vielmehr dürfte Hollande versuchen, die Polarisierung in der Gesellschaft zu überdecken und Spannungen abzubauen.