Ein linker Anwalt steht in Hamburg vor Gericht

Abteilung 7101 gibt Signal

In Hamburg werden Angeklagte bei Straftaten mit politischem Hintergrund häufig von Andreas Beuth verteidigt. Nun ist der linke Anwalt selbst Angeklagter in einem Prozess.

Der Strafbefehl kam vor einem Jahr. Rechtsanwalt Andreas Beuth, ein in Hamburg bekannter Strafverteidiger, habe gegen das Waffengesetz verstoßen – im Rahmen seiner Verteidigertätigkeit. Eine Amtsrichterin hatte deswegen eine Geldstrafe von 2 400 Euro verhängt. Mitte Juni 2010 hatte Beuth im Hamburger Strafjustizgebäude einen Mandanten verteidigt, der im Sommer 2009, während des Polizeieinsatzes beim Schanzenfest rund um das linke Zentrum Rote Flora, verhaftet worden war. Der Angeklagte wurde beschuldigt, die Polizisten mit Leuchtspurmunition aus einem Signalgeber beschossen zu haben. Im Prozess hatte Beuth zwei Polizisten in den Zeugenstand gerufen, die als Zeugen der Anklage fungierten. Er wollte deren Aussagen hinterfragen und legte ihnen deshalb den Griff eines Signalgebers vor. »Es ging um einen Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung«, sagt Beuth gegenüber der Jungle World. »Ein auffälliger, orangener Signalgeber soll angebliches Tatmittel gewesen sein, wurde aber von den polizeilichen Belastungszeugen weder gesehen noch am Tatort aufgefunden.«

Manfred Getzmann, der selbst Anwalt ist und Beuth nun gegen den Vorwurf verteidigt, heimlich eine Waffe in den Gerichtssaal mitgebracht zu haben, schildert das Vorgehen seines Kollegen der Jungle World wie folgt: »Die Polizeizeugen behaupteten, der Angeklagte hätte mit einem Signalgeber geschossen, ohne einen solchen aber eindeutig beschreiben zu können. In dieser Situation hat Beuth ihnen den Haltegriff eines Signalgebers gezeigt, als überraschenden Vorhalt – ein klassisches anwaltliches Vorgehen.« Zu dem Vorwurf gegen Beuth sagt er: »Diese Haltevorrichtung ist nur ein Griff, ein Plastikteil, ohne Abschussbecher, Zündkapsel und Signalmunition.« Zwar sei in der Regel für den Besitz eines Signalgebers für Leuchtspurmunition ein »Kleiner Waffenschein« nötig, aber ein solches Gerät bestehe aus mehreren Teilen. Der von Beuth vorgeführte Signalgeber sei funktionsuntüchtig gewesen, so Getzmann.
Der Beuth im Verfahren um das Schanzenfest gegenüberstehende Staatsanwalt Henning Todt machte am ersten Verhandlungstag keine Einwände geltend, als der Anwalt einen Zeugen mit dem Haltegriff konfrontierte. Ganz anders am zweiten Verhandlungstag: Er hinderte Beuth daran, einen weiteren Zeugen mit dem Gegenstand zu konfrontieren, und beschlagnahmte selbst die vermeintliche Waffe. Mit dem Stück Plastik in den Händen kündigte er ein Verfahren an. Anscheinend hatte es inzwischen eine Absprache in der Staatsanwaltschaft gegeben. »Die Anklage hat ganz klar die Führung der Staatsanwaltschaft zu verantworten, das ist auf dem Dienstweg sicher über den Tisch des Generalstaatsanwaltes gegangen«, sagt Getzmann, für den die Anklage »kein Zufall« ist. »In vielen Verfahren musste die Staatsanwaltschaft empfindliche Niederlagen gegen Beuth hinnehmen, insbesondere im Zusammenhang mit Protesten im Schanzenviertel.«

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hamburg, Wilhelm Möllers, sagte dem Hamburger Abendblatt: »Das Amtsgericht teilt unsere Einstellung, dass es sich um einen Verstoß gegen das Waffengesetz handelt.« Statt den Griff eines Signalgebers selbst mitzubringen und damit die Zeugen zu überraschen, argumentierte Möllers, hätte Beuth auf das angebliche Beweismittel zugreifen können. »Wenn jemand mit einer Waffe den Gerichtssaal betritt, gerade jemand, der wegen seines Amtes nicht der Durchsuchungspflicht unterliegt«, beschrieb er in der Zeitung die Sicht der Staatsanwaltschaft, »ist das keine geringfügige Sache«.
Die Staatsanwaltschaft ignoriert damit die Tatsache, dass das Landeskriminalamt in dem Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Beuth keinen Verstoß gegen das Waffengesetz begangen habe, da der Signalgeberhalter ungeladen gewesen, in einem festen Koffer transportiert worden sei und so als Waffe nicht eingesetzt werden konnte. Dennoch ließ sich die »Staatsanwaltschaftliche Abteilung 7101 Js«, zuständig für alle Staatsschutzdelikte, nicht davon abbringen, den Strafbefehl zu erwirken. Auch als Beuth Widerspruch einlegte, war man nicht bereit das Verfahren einzustellen.

Nun soll es am Montag zum Prozess kommen. Beuth selbst führt das Vorgehen darauf zurück, dass »er ein linker, unbequemer Rechtsanwalt« sei. So wird dies auch von vielen in der linken Szene wahrgenommen. »Mit dem Kriminalisierungsversuch wird vor allem die Arbeit Andreas Beuths als engagierter linker Strafverteidiger verfolgt«, schreibt die Gruppe »Verteidigung der Verteidiger« in ihrem Aufruf zum Prozessbesuch. »Er hat mit dafür gesorgt, dass die staatlichen Repressionsversuche von Protestbewegungen gegen Stadtentwicklungspolitik, aber auch gegen den G8 in Heiligendamm ins Leere liefen.« Dokumentiert ist Beuths politischer Einsatz sogar in dem Filmporträt »Das hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun«. Angesichts dessen rufen die insgesamt drei Anwälte, die Beuth verteidigen, ihre Kollegen dazu auf, bei dem Prozess »zahlreich zu erscheinen«. »Es gibt einen breiten Protest unter Hamburgs Anwälten«, sagt Getzmann, der darauf verweist, dass rund 120 Strafrechtler, darunter bekannte Anwälte, eine Solidaritätserklärung unterschrieben haben. »Fast alle Anwälte, die strafrechtlich tätig sind, sehen die Anklage als politische Disziplinierung«, berichtet Getzmann.
Auch der Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer stellt sich hinter Beuth, »im Hinblick auf einen möglichen Einschüchterungsversuch und den damit einhergehenden Angriff auf die Verteidigungsrechte«. Sogar in der Hamburger Lokalpresse ist das Unbehagen über den »Strafbefehl ohne Augenmaß« (Hamburger Abendblatt) groß. Im Umfeld der Roten Flora sieht man dem Prozess denn auch optimistisch entgegen. Dort hält man es gar für möglich, dass das Anliegen linker Strafverteidigung durch das Ergebnis des Verfahrens gestärkt wird.