Korruptionsaffäre um den brasilianischen Sportminister

Korrupter Kommunist geht, korrekter Kommunist kommt

Nach dem Rücktritt des brasilianischen Sportministers Orlando Silva wartet auf Amtsnachfolger Aldo Rebelo viel Stress – unter anderem mit der Fifa.

Am Ende ist er also doch gegangen. Nach zwei Wochen steter Unschuldsbeteuerungen hat Brasiliens Sportminister Orlando Silva, der der Kommunistischen Partei (PCdoB) angehört, dem Druck nachgegeben und seinen Posten geräumt. Entscheidend für diesen Schritt war wohl die Ankündigung des Obersten Gerichts, eine Untersuchung wegen der Unregelmäßigkeiten in dem Ministerium einzuleiten. Neuer Minister wird Silvas Parteikollege, der langjährige Abgeordnete Aldo Rebelo, der in der ersten Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva anderthalb Jahre Minister für Institutionelle Beziehungen gewesen ist.
Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hatte lange an Silva festgehalten, nach zwölf Tagen andauernder Kritik durch die Medien war sein Ruf dann aber wohl doch zu sehr beschädigt. Um den Koalitionsfrieden zu erhalten, lenkte die PCdoB ein und drängte Silva zum Rücktritt. Er verlasse die Regierung, um seine Ehre zu verteidigen, ein Schuldeingeständnis sei dies nicht, sagte dieser. »Wo sind die Beweise? Es hat nie welche gegeben und es wird auch nie welche geben«, sagte der 40jährige vor dem Parlamentsausschuss. Die Vorwürfe gegen ihn seien erfunden. Er fühle sich »an die Nürnberger Prozesse« erinnert, das Ganze »grenze an Faschismus«.
Allerdings geht es in seinem Fall nicht um Völkermord, sondern um den Vorwurf persönlicher Bereicherung. Silva gilt als Führungsfigur eines Netzwerkes illegaler Parteifinanzierung. Korruption also – wieder einmal. In den vergangenen Monaten hatten bereits fünf Minister der Regierung Rousseff zurücktreten müssen, vier davon wegen Korruption. Der Fall Silva jedoch ist von internationaler Bedeutung. Brasilien richtet die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro aus, der Sportminister spielt dabei eine zentrale Rolle. Und genau hier liegt das Problem: Es ist sehr viel Geld im Spiel. Allein der vorläufige WM-Etat beträgt mehr als 18 Milliarden US-Dollar (rund 13 Milliarden Euro). Diese gigantischen Summen stellen eine große Versuchung dar, Geld abzuzweigen, wie es beispielsweise vor den Panamerikanischen Spielen 2007 geschehen ist.
Dabei hat der gegenwärtige Skandal zunächst nur indirekt mit der WM 2014 zu tun. Die Wochenzeitung »Veja« hatte am 14. Oktober Aussagen des Militärpolizisten und früheren Parteikollegen Silvas, João Dias Ferreira, veröffentlicht, wonach diverse Mitglieder der PCdoB, angeführt vom Minister selbst, ein Netz illegaler Finanzierung durch das von NGO betriebene Programm »Segundo Tiempo« geschaffen hätten. Das vom Ministerium finanzierte Programm soll sportliche Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen armer Familien fördern. Statt für Sportmaterialien wurde das Geld aber unter anderem für Wahlkampagnen der PCdoB verwendet.
Dias Ferreira selbst war im April vergangenen Jahres wegen Betrugsverdachts in Verbindung mit einem zeitweise von ihm geleiteten Projekt verhaftet worden. Er gab an, Silva habe ihm im März 2008 eine Vereinbarung vorgeschlagen, nach der weder die Kontrollgremien noch die Medien von den Unregelmäßigkeiten bei »Segundo Tempo« erfahren sollten. Silva bestreitet, dass dieses Treffen stattgefunden hat. Der ehemalige Minister behauptet, der Polizist habe sich gegen ihn gewandt, weil sein Ministerium den Rechnungshof gebeten habe, die Vereinbarungen mit den NGO zu untersuchen. Das könnte zutreffen. Es könnte aber auch sein, dass Dias Ferreira sich nun gegen den Minister und die Partei wendet, weil diese ihn, anders als versprochen, während seiner Inhaftierung im Stich ließen. Beweise gibt es bisher keine, dafür Beschuldigungen und die Ahnung, dass die Einbindung von NGO sich nicht ausgezahlt hat.
Ironischerweise bestand zunächst die Hoffnung, dass das stärkere Engagement der zivilgesellschaftlichen Gruppen im Kampf gegen Bürokratie, Verschwendung und Korruption helfen würde. Die nachsichtige Haltung der damaligen Regierung Lula begünstigte korrupte Netzwerke aber sogar noch. Dias Ferreira zufolge hätten die NGO nur Geldmittel gegen eine »Steuer« von 20 Prozent erhalten. Etwa 40 Millionen Reais (mehr als 16 Millionen Euro) könnten auf diese Weise in private Taschen und die der PCdoB ­abgezweigt worden sein.
Für Rousseff ist es eine delikate Situation. Silva ist bereits der fünfte Minister seit ihrem Amtsantritt zu Jahresbeginn, der wegen Korruption ausscheidet. Daneben beeinträchtigen Streiks, organisatorische Pannen um die Finanzierung und Schlamperei auf den Baustellen die Arbeiten an den zwölf WM-Spielorten. Die Fifa bemängelte wiederholt die Verzögerungen beim Aus- und Neubau der Stadien sowie der Verkehrsinfrastruktur.
Nach der Ablösung Silvas befürchtet der Weltfußballverband zudem, dass es zu weiteren Verzögerungen bei den Gesprächen um das WM-Rahmengesetz (Lei Geral da Copa) kommen könnte. Das Gesetz regelt die Beziehungen zwischen dem Gastgeberland und der Fifa sowie die organisatorisch Zusammenarbeit während der WM. Noch als Sportminister unter Lula hatte Silva den von der Fifa aufgestellten Konditionen – in der Theorie – zugestimmt. In dem Gesetzentwurf, den Silva im April dem Kongress vorlegte, fanden sich viele dieser »Vereinbarungen« dann aber nicht mehr. Die Rede ist von den Knebelregelungen zu Kartenverkauf, Werbung und anderen Bedingungen, die die Fifa dem jeweiligen WM-Ausrichter auferlegt. Denn diese kollidieren mit brasilianischen Gesetzen. Gestritten wird unter anderem über das in Brasilien bestehende Alkoholverbot in den Stadien sowie verbilligte Tickets für Rentner und Studenten. Die Fifa will beide Regelungen kippen und bemängelt zudem fehlende Garantien zum Schutz der WM-Marke und der Marken ihrer Sponsoren. Der Verband verlangte Änderungen und machte Silva maßgeblich verantwortlich.
Noch vor seiner Demission als Minister hatte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke die Ablösung Silvas als Verhandlungsführer der brasilianischen Regierung für die WM 2014 angeregt. Brasilien aber reagierte empfindlich auf die Einmischung in innere Angelegenheiten. In der Auseinandersetzung um das WM-Rahmengesetz wusste Silva Rousseff an seiner Seite. Im Grunde geht es um die Frage, inwiefern nationale Gesetze für die Zeit der WM verändert oder außer Kraft gesetzt werden. Und selbstverständlich geht es auch hier um Millionenbeträge.
Aber auch von dem neuen Mann an der Spitze des Sportministeriums wird die Fifa nicht allzu viel Entgegenkommen erwarten dürfen. Aldo Rebelo hat bereits angekündigt, das brasilianische WM-Rahmengesetz zu verteidigen. Zum halben Eintrittspreis für Studenten sagte er: »Ich war Präsident der UNE (der Nationale Studentenverbund, Anmerkung des Verfassers), ich war Studentenführer und eines der Banner ist immer die Verteidigung des halbierten Eintrittspreises gewesen. Es ist als ein Recht in der brasilianischen Gesetzgebung enthalten. Ich muss dafür nicht meine persönliche Haltung ändern. Ich bin der Position der Regierung verpflichtet.« Regierungsvertreter bescheinigen ihm die nötige Autorität, die schwierigen Verhandlungen mit der Fifa zu führen. Aber auch seine eigene Partei sieht in ihm den besten Kandidaten für den Posten – vor allem, um weitere Vorwürfe abzuwehren und das Image der Partei zu bereinigen.
Der 55jährige steht vor der gewaltigen Aufgabe, das ihm übertragene Ministerium von Korruption zu befreien. Da es um illegale Parteifinanzierung geht, wäre es konsequent gewesen, der PCdoB das Ministerium wegzunehmen und unbelasteten Politikern zu übergeben. Aber Rebelo gilt als harter Verhandlungsführer und erfahrener Korruptionsbekämpfer. Er leitete 2000/2001 einen Untersuchungsausschuss, der Unregelmäßigkeiten zwischen dem mächtigen Fußballverband CBF und dem Sportausstatter Nike zu ergründen suchte. Damals galt das Verhältnis zwischen ihm und dem Verbandspräsidenten Ricardo Teixeira als gespannt. Gegen diesen hat die Bundespolizei gerade ein Verfahren eröffnet. Es geht – na klar – um Korruptionsvorwürfe.
Rebelo erklärte zur Amtseinführung, die frühere Tätigkeit im Untersuchungsausschuss werde seine Arbeit als Minister nicht beeinflussen, ebenso wenig wie die Wahlkampfspenden, die er von Sponsoren des CBF erhalten habe. »Das beeinträchtigt in keiner Weise meine Unabhängigkeit«, so der neue Minister. Er kündigte Umbesetzungen und ein Ende der direkten Vereinbarungen mit den NGO an. In Zukunft sollten Abkommen mit öffentlichen Trägern geschlossen werden, die bestehenden Programme würden allerdings fortgesetzt. Das gelte auch für »Segundo Tempo«. Zudem versprach er die Unterstützung seines Ministeriums bei den laufenden Untersuchungen.
Die könnten jedoch sogar die Familie des neuen Ministers in die Bredouille bringen. Der Tageszeitung Folha de S. Paulo zufolge hat Dias Ferreira in einem Polizeiverhör den Bruder des Ministers, Apolinário Rebelo, der Vizepräsident der PCdoB ist, mit dem Korruptionsnetzwerk in Verbindung gebracht. Dieser bestreitet die Vorwürfe. Korruption ist eben nicht damit besiegt, dass der Hydra der Kopf abgeschlagen wird – in diesem Fall also durch den Rücktritt von Orlando Silva. Mit dem ging Aldo Rebelo übrigens erstmal essen. Um die Struktur seines neuen Ministeriums kennenzulernen, wie er sagte.