»Miet-Anarchos« für alle!

Schon vor der Demo tippten sich Hamburgs Polizeireporter die Finger wund. Autos brannten, Farbbeutel flogen. »Miet-Anarchos fackeln Autos ab«, titelte die Hamburger Morgenpost über den »brutalen Protest gegen Wohnungsnot«. Unbeantwortet blieb leider, wer die Anarchos wo gemietet hatte. Tausende Kleinstadtbürgermeister in Not: Ihre Käffer werden am 1. Mai ohne »Miet-Anarchos« weiter unbeachtet bleiben. An diesem letzten Samstag im Oktober ist der Mai noch eine Ewigkeit entfernt. 5 000 bis 7 000 Menschen haben sich der Demo für die Verstaatlichung von Wohnungen angeschlossen, die – unter dem Titel »Mietenwahnsinn stoppen!« – am Mittag unter grauem Himmel ihren Marsch beginnt. Auch die Polizei ist zahlreich erschienen, um die »Gentrifizierungssymbole« in St. Pauli zu schützen – kühle, hohe Scheußlichkeiten. Sie wollten wegen der Farbbeutelwurfgefahr niemanden daran vorbeiziehen lassen. In letzter Minute entschied ein Gericht, dass die angemeldete Route rechtens sei. Als die Menschenmasse an diesen Symbolen vorbeizieht, wird sie vom modernsten Wasserwerfer Deutschlands und jeder Menge Polizisten mit futuristischen Helmen begleitet. Das Bild erinnert an eine platte Neuverfilmung von Orwells »1984« in 3D: Einsatzkräfte in Vollmontur patroullieren im Schatten der Hochhäuser durch kahle Hinterhöfe. Touristen glotzen und machen schlechte Witze. Wegen der erwähnten Probleme beim Anmieten von Anarchos ist das Szenario für den Provinzler eine schöne Abwechslung zu den Blumenkübeln auf dem heimischen Marktplatz. Wie es sich anhört, wenn eine Vergnügungsmeile ein ganzes Quartier infiziert und in ein Vergnügungsviertel verwandelt hat? »Isch hab’ mein Duschzeug verjessen«, brüllt ein Mittfünfziger aus dem Rheinland, als er den »Wasserwerfer 10 000« erblickt. Doch der schwarze Block ist nur eine kleine Ansammlung schwarzer Häufchen. Die Demonstranten bleiben trocken, der Marsch der frustrierten Mieter geht friedlich zu Ende. Die »Miet-Anarchos« waren wohl ausgebucht.