Die Hamburger Linke wehrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus

Vorwärts und vergessen!

Gegen den Vorwurf des Antisemitismus wollen sich Hamburger Linke mit einer Veranstaltung wehren. Das Spektakel belegt ihre historische Bewusstlosigkeit.

Die Geschichtslosigkeit der Gegenwart illustrierte Eric Hobsbawm einst anhand der Frage eines amerikanischen Studenten: ob die Bezeichnung »Zweiter Weltkrieg« eigentlich darauf schließen lasse, dass es auch einen Ersten Weltkrieg gegeben habe. Nun wäre es zu begrüßen, wüsste ein Student in den USA, in welchem Konflikt sein Land 1917 folgenreich intervenierte, doch ist dieses Wissen nicht überlebenswichtig. In der Linken dagegen gilt das Bewusstsein von der Geschichte des Gegenwärtigen seit jeher als Grundlage des Handelns. Ausgerechnet in der Hamburger Linkspartei hat sich nun ein gravierender Fall historischer Amnesie ereignet.
Die »Antikapitalistische Linke« hatte ein Podium mit dem Titel »Die Antisemitismus-Falle« an­gesetzt – ursprünglich für den 9. November. Am Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938 finden in Hamburg traditionell Veranstaltungen zum Gedenken an die jüdischen Deportierten und Ermordeten statt. Wer sich von dem Titel Aufklärung über die antisemitischen Ausschreitungen an jenem Tag des Jahres 1938 und über die forcierte jüdische Auswanderung aus dem Reich – auch nach Palästina – versprach, wurde beim Blick in das Programm schnell enttäuscht. Statt um Antisemitismus geht es um die Abwehr des Vorwurfs, dieser breche sich in der Linkspartei bei Debatten um den Nahostkonflikt Bahn. Trotz vieler Beispiele für spezifisch antizionis­tische Formen des linken Antisemitismus wird die Kritik daran stets als Versuch gewertet, der »revolutionären Sache« Schaden zufügen zu wollen.
Dazu passt auch die personelle Zusammensetzung der Hamburger Veranstaltung: So soll auf dem Podium mit Susann Witt-Stahl eine Vertreterin der parteieigenen AG Medien sitzen. Sie ist auch bekannt als Theoretikerin einer Tierrechtsorganisation, deren Mitglieder ihren letzten unrühmlichen Auftritt bei der gewaltsamen Verhinderung einer Vorführung von Claude Lanzmanns Film »Warum Israel« hatten. Als Diskussionspartner ist Arnold Schölzel, Chefredakteur der Jungen Welt, vorgesehen. Da die Tageszeitung unter dem Label der »Israelkritik« seit Jahren den realsozialistischen Antisemitismus weiterführt, dürfte die Debatte mangels einer Kontroverse recht eintönig werden. Moderiert wird das Ganze schließlich von Thomas Immanuel Steinberg, einem verschwörungstheoretischen Blogger, der auf seiner Homepage die Welt mit Kategorien wie »Kriegsjuden und Friedensjuden« beglückt.
Es ist nicht die erste Verbindung dieses Datums mit einer solchen Position. Am 9. November 1969 zeigte sich ein militanter Teil der sogenannten »Neuen Linken« mit einem Attentatsversuch auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin und einer Reihe antizionistischer Schmierereien als historisch vollkommen bewusstlos. Der Vorfall gilt bis heute als einer der prominentesten Belege für jenen Vorwurf, zu dessen Abwehr das Podium organisiert wurde. Dass man in der »Antikapitalistischen Linken« nicht wissen will, wofür der 9. November steht, zeigt, wie schnell »Israelkritik« in Geschichtsrevisionismus umschlagen kann. Immerhin: Auf Druck von außen haben die Veranstalter die Veranstaltung inzwischen verschoben.