Die Konferenz »Inside Iran« in Berlin

Insider unter sich

Auf der Berliner Konferenz »Inside Iran« trafen sich iranische Oppositionelle, um über Menschenrechte und die politische und ökonomische Situation im Iran zu diskutieren. Dabei wurde eine entscheidende Frage nicht gestellt: Warum gab es im Iran keine Revolution, wie sie jüngst in den arabischen Nachbarländern stattgefunden hat?

Standing Ovations gab es für die iranische Anwältin Mehrangiz Kar. Aber auf der Konferenz »Inside Iran« in der Niedersächsischen Landesvertretung in den Berliner Ministergärten, zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, wurde kein Popstar begrüßt. Dieser langanhaltende Applaus, bei dem einigen der Anwesenden Tränen in den Augen standen, war ein Zeichen von Respekt. In diesem Moment allein steckte vielleicht die ganze Bedeutung dieser Veranstaltung, die man kaum ohne umfangreiches Wissen unterschiedlichster Umstände, die zu ihr geführt haben, begreifen kann.

Das letzte Mal, als Kar in Berlin eine Konferenz besuchte, wurde sie bei ihrer Rückkehr in den Iran verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatte als Frau, Anwältin und Publizistin zuvor einen einsamen und harten Kampf an vielen Fronten geführt, wie ihre englischsprachige Autobiographie »Crossing the Red Line« eindrucksvoll belegt. Hier schreibt eine hochqualifizierte Intellektuelle über ihre Entscheidung, nach der »islamischen Revolution« von 1979 im Iran zu bleiben, obwohl ihr offenbar früher als vielen anderen ihrer Generation bewusst war, worauf das Land unter der Herrschaft Khomeinis und seiner Gefolgsleute zusteuerte. Am 8. März 1979 gehörte sie zu jenen Frauen, die gegen die von Khomeini verordnete Zwangsverschleierung auf die Straße gingen. Sie beschreibt die oft nicht auszuhaltenden Widersprüche, in die sich eine säkulare Frau begibt, wenn sie versucht, als Anwältin in einem Justizsystem zu arbeiten, das diesen Namen nicht verdient. Was Kar beschreibt, ist eine moderne Form religiöser Inquisition, in der sie ständig vor die Wahl gestellt wurde, entwürdigende Akte der Unterwerfung und Unterordnung zu vollziehen oder schlicht aufzugeben. Nach der »islamischen Revolution« hatte die konservative schiitische Geistlichkeit, »eine Gruppe gnadenloser und patriarchaler Männer« (Kar), nämlich auch die Justiz als Mittel einer umfassenden Islamisierung des Landes genutzt, um den über siebzigjährigen rechtlichen Säkularisierungsprozess rückgängig zu machen.
Diesen Verhältnissen stellte Kar sich dabei nicht nur des zweifelhaften Vergnügens wegen, sich in dieser grundfeindlichen Umgebung einen Platz zu erkämpfen, was ihr zeitweise sogar in bescheidenem, unter den Umständen bewundernswertem Maße gelang. Ihr Mann, der bekannte Filmkritiker Siamak Pourzand, wurde nach 1979 wegen angeblicher Sympathien für die Monarchie mit einem Publikationsverbot belegt. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten des Krieges zwischen dem Iran und dem Irak musste jemand für die Familie Geld verdienen.
Die Veranstaltung, die Kar dann im Jahr 2000 besuchte und die ihr zunächst einen kurzen Gefängnisaufenthalt sowie ein inzwischen zehnjähriges Exil einbrachte, war jene Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, die als »Berlin-Konferenz« bekannt geworden ist. Deren Zweck war es, wie Stiftungsvorstand Ralf Fücks unlängst bei einer Podiumsdiskussion des Mideast Freedom Forum erklärte, »den religiösen und säkularen Oppositionellen ein gemeinsames Forum zum Austausch zu schaffen«. Diese Intention ging jedoch damals unter, nicht zuletzt wegen der Aktion einer Teilnehmerin, die sich aus Protest gegen die »religiösen Oppositionellen« und deren Überzeugungen auszog. Das war aber nicht der Grund, sondern nur einer von vielen Vorwänden, um die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer unter abstrusen Anklagen wie »Handlungen gegen die nationale Sicherheit« und »Propaganda gegen die Islamische Republik« abzuurteilen.

Dass die Konferenz »Inside Iran« nun in der iranischen Tageszeitung Kayhan, die als Sprachrohr des religiösen Führers Ali Khamenei gilt, als »zweite Berlin-Konferenz« bezeichnet wurde, war insofern als eine unverhohlene Drohung zu verstehen. Diese Drohung wurde auch dadurch nicht geringer, dass die geladenen Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer diesmal alle nicht aus dem Iran kamen, sondern zumeist seit einiger Zeit im Ausland leben und oft keine Möglichkeit haben, sicher in den Iran ein- und wieder auszureisen.
Denn wieder ist es das Schicksal von Mehrangiz Kar, das zeigt, wie das Regime zum Mittel der Geiselnahme greift, um jene zu treffen, derer es nicht direkt habhaft werden kann. Während sich Kar wegen einer Krebsoperation im Ausland dem Gefängnis relativ schnell entziehen konnte, wurde ihr Mann zunächst von Geheimdienstagenten verschleppt, später angeklagt, zu demütigenden Selbstbezichtigungen im Fernsehen gezwungen, von einem Gericht unter den abstrusesten Anschuldigungen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und nach einiger Zeit unter Ausreiseverbot freigelassen. Der völlig gebrochene 80jährige beging im April 2011 Selbstmord, seine Familie hatte er zehn Jahre nicht mehr sehen können. Insofern war der lange Applaus für Kar in Berlin nicht nur eine Bekundung von Respekt, sondern auch ein Akt der Kondolenz, nicht zuletzt aber auch der Identifikation, denn die meisten Anwesenden haben selbst Familienangehörige im Iran und sind sich der Gefahr bewusst. Es ist ihre Art zu sagen: »Seht her, wir wissen, zu was für skrupellosem Verhalten ihr fähig seid, wir sind trotzdem hier!« Die anwesenden Angehörigen des Botschaftspersonals der Islamischen Republik dürften dies bemerkt haben.
Die Proteste gegen die Konferenz im Jahr 2000 richteten sich vor allem gegen die Absicht der damalige Reformbewegung, die Islamische Republik durch Reformen zu verändern statt das Regime zu stürzen. Dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer damals von der Willkürjustiz des Regimes in die Mangel genommen wurden, sollte vor allem demonstrieren, was in der Islamischen Republik an Dissens erlaubt ist, nämlich wenig.
Als die »grüne Bewegung« nach der manipulierten Präsidentschaftswahl von 2009 entstand, wollten die alten Reformer sie als »Bürgerrechtsbewegung« definieren. Denn eines wollten sie zu keinem Zeitpunkt: einen Sturz des bestehenden Regimes. Die neue Zauberformel, die auf der Konferenz »Inside Iran« nun an die Stelle von »Reform« getreten ist, lautet »transition to democracy«.
In diesem Umfeld bewegen sich dann auch die geladenen Sprecher, etwa der renommierte Professor des internationalen Menschenrechts, Payam Akhavan, der dem Regime »als sein Rechtsberater« vorhält, die Geduld der Bevölkerung, die in Angst unter einer Willkürherrschft lebe, sei begrenzt. Die Machthaber sollten entweder »einen Transformationsprozess ermöglichen, der diesen Namen verdient, oder sich aussuchen, in welchem Kanalrohr sie sich am Ende verstecken müssen«, sagt er in Anspielung auf den Tod des libyschen Herrschers Muammar al-Gaddafi. Ein gewaltsames Ende würde dagegen seiner Ansicht nach nur zu neuer Tyrannei führen, die Revolution von 1979 sei dafür das beste Beispiel. Denn auch diese »Revolution« habe sich ja gegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungleichheit gerichtet. Dass das vielleicht wichtigste Motiv jener Revolution eine diffuse Mischung nationalistischer, religiöser und antiimperialistischer Vorstellungen von »Würde« war, unterschlägt Akhavan.
Der in Paris ansässiger Jurist Abdolkarim Lahiji meint hingegen, nach der Veröffentlichung des neuen Berichts der Internationalen Atomenergiebehörde (siehe Seite 15), der festgestellt hat, dass das iranische Regime sein militärisches Atomprogramm fortsetzt, seien konsequente Sanktionen die einzige Alternative zu einem Krieg.
Ali Ansari, Historiker und Iranistiker der schottischen Eliteuniversität St. Andrews, berichtet hingegen in seinem Vortrag über den Versuch Mah­moud Ahmadinejads, seiner Politik neuerdings einen persisch-nationalistischen Anstrich zu geben, indem er in einer überraschenden Wende die vorislamische Geschichte und die iranische Tradition instrumentalisiert. Ansari bezweifelt dabei, dass Ahmadinejad dieser »Ritt auf dem Tiger« gelingen könnte. Der iranische Nationalismus komme von unten und aus dem Volk, das islamische Regime habe diesbezüglich wenig Glaubwürdigkeit. Aber gerade weil die häufig widersprüchlichen und irrationalen nationalistischen Gefühle stark seien, glaube er, dass das nächste Regime ein nationalistisches sein werde. Auch das angesichts der katastrophalen sozialen Lage große Bedürfnis nach einem »starken Mann« müsse man sehr ernst nehmen. Wie einst Voltaire über das »Heilige Römische Reich« sagte, es sei weder ein Reich, noch römisch und heilig, sei auch die Islamsiche Republik Iran weder islamisch, »ganz bestimmt keine Republik« und im nationalistischen Sinne »auch nicht iranisch«, sagt Ansari.
Der schiitische Kleriker Hassan Yousefi Eshkevari betont den religiösen Aspekt, den Lieblings­topos sogenannter religiöser Intellektueller wie seines Laienkollegen Abdolkarim Soroush. Nach Ansicht dieser Kritiker droht die Islamische Republik durch ihre profane Herrschaftspraxis nämlich, »den Islam« in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren. Das findet Eshkevari als schiitischer Kleriker unerträglich: »Soweit ich das sehe, gab es in der iranischen und in der islamischen Geschichte bis dahin keine vergleichbare Bande, die so zerstörerisch und amoralisch gewirkt hat.« Mit »Bande« meint er Ahmadinejad und Khame­nei, aber auch das ist irreführend, denn es unterschlägt die viel gewaltsamere Herrschaft Khomeinis, zu dessen Adjutanten in den achtziger Jahren auch der heutige Oppositionsführer Mir Hussein Mousavi gehört.

Bei genauerem Zuhören stößt man auf eine ganze Reihe von Widersprüchen im Narrativ dieser Fraktion der iranischen Opposition, und der Eindruck entsteht, dass diese Oppositionellen nicht gänzlich mit dem System der Islamischen Republik brechen können oder wollen.
Am merkwürdigsten klingt das bei dem Vortrag von Gholam Khiabany. Die bereits aus seinem Buch »Blogistan« über die iranische Bloggerszene bekannte Kritik am Begriff »Twitter-Revolution« führt er noch einmal auf der Konferenz aus und kommt zu einem merkwürdigen Ergebnis. Zu Recht kritisiert er den Begriff als »technikfixiert«. Keiner käme auf die Idee, vergangene Revolutionen wie die französische nach den damals verwendeten Kommunikationsmitteln zu benennen. Letztlich blamiere sich der Begriff an der Tatsache, dass die Revolutionen in Tunesien und Ägypten zum Sturz der Diktatoren geführt haben, im Iran aber nicht. Merkwürdigerweise geht Khiabany aber nicht weiter auf die für viele Iraner quälende Frage »Chera Tunes tunest v ma natunestim?« (Warum konnte Tunesien, warum konnten wir nicht?) ein und wirft den »westlichen Medien« vor, angesichts ihrer eigenen Unkenntnis der Lage vor Ort »westliche Technik« zur Erklärung von Revolutionen heranzuziehen. Revolutionen würden eben von Menschen und nicht von der Technik gemacht. Damit umgeht er die viel interessantere Frage, die bezeichnenderweise auf der Konferenz überhaupt keine Rolle spielt: Warum ist es denn nun im Iran eben nicht zu einer Revolution gekommen? Selbstverständlich gab es Repression, aber der wichtigste Grund dürfte letztlich im fehlenden politischen Willen gelegen haben. Vor allem im fehlenden politischen Willen von Mir Hussein Mousavi und den ihm nahestehenden Kräften der alten Reformbewegung im Iran und im Ausland, eben jener Strömung, die hauptsächlich auf der Konferenz vertreten ist.

Warum wurde eine Revolution, wie sie in den arabischen Nachbarländern stattgefunden hat, noch im Moment ihrer Entstehung verhindert? Oder bestand diese Möglichkeit etwa von Anfang an nicht? Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten lassen dies zweifelhaft erscheinen. In manchen Vorträgen werden einige Gründe angedeutet, etwa die Angst vor politischem Chaos und sogar vor einem Bürgerkrieg, oder der unberechenbare Nationalismus der iranischen Bevölkerung.
Aber auch in Ägypten und Tunesien ist die Zukunft unsicher, die Popularität der Muslimbrüder ist ein besorgniserregendes Zeichen, das manche säkulare Iranerinnen und Iraner ironischerweise ausgerechnet mit dem chauvinistischen Vorurteil »sie sind eben Araber« abtun. Anderseits ist angesichts des Fortschritts des iranischen Atomprogramms ein langsamer und geordneter Übergang zur Demokratie vielleicht keine so vernünftige Option, wenn es einen drohenden Krieg zu verhindern gilt. Wer das befürwortet, muss sich auf die Sanktionen verlassen, die auch die Bevölkerung treffen, oder sich, schlimmer noch, in der Atomfrage am Ende auf die Seite des Regimes schlagen. Wollen die ehemaligen Reformer das?
Vor dem Gebäude demonstrieren dieses Mal nicht die Vertreterinnen und Vertreter der iranischen Exilopposition, für die es keine Verhandlungen mit dem Regime geben darf. Es protestiert eine Gruppe bärtiger Männer und kopftuchtragender Frauen mit Transparenten, auf denen Khomeini und Khamenei zu sehen sind, gegen die angebliche »Doppelmoral« der Konferenz. Man solle endlich auch über die Palästinenser sprechen. Und warum seien keine Vertreter des Regimes auf dem Podium anwesend? Nun ja, sie haben sicherlich in der letzten Reihe gesessen und fleißig mitgeschrieben.